# taz.de -- Rassismuskritischer Krimi von Liza Cody: Nichts ist, wie es scheint
       
       > Ihre Nachbarn verdächtigen „Miss Terry“ des Kindesmords, weil sie nicht
       > weiß ist. Auch die Polizei und ihre Verwandten sind ihr auf den Fersen.
       
 (IMG) Bild: Um einen Container voller Bauschutt dreht sich der Krimi beständig
       
       Sie ist die Beste. Wie sonst niemand in der weiten Welt des Kriminalromans
       schafft Liza Cody es, hochgradig unterhaltsame Genreliteratur zu schreiben,
       in der beiläufig die großen und kleinen Übel der (britischen) Gesellschaft
       verhandelt werden. Ihr Verfahren ist einfach, aber wirkungsvoll: Cody ist
       eine Meisterin der Figurenperspektive. Für die Dauer einer Romanlektüre
       beamt sie uns tief in den Kopf ihrer mitunter verpeilten, aber immer
       eigensinnigen Heldinnen.
       
       Nita Tehri, die Protagonistin von „Miss Terry“, Liza Codys eben auf Deutsch
       erschienenem, vorletztem Roman, ist aber weder eine Underdogfigur, noch
       steht sie außerhalb der Gesellschaft (anders als Eva Wylie, die Catcherin,
       oder die obdachlose Protagonistin in Codys „Lady Bag“). Nita ist Lehrerin,
       besitzt eine Eigentumswohnung und verfügt über eine Lebens- sowie eine
       Hausratversicherung. Doch mit den geregelten Verhältnissen ist Schluss, als
       ein Bauschuttcontainer in ihrer Straße aufgestellt wird.
       
       In dem Container soll die Leiche eines nicht sehr hellhäutigen Babys
       gefunden worden sein; und als einzige dunkelhäutige Person in der Straße
       gerät Nita in den Fokus der Polizei. Nachbarn rücken von ihr ab, in der
       Schule gibt es Gerüchte, und bevor Nita weiß, wie ihr geschieht, ist sie
       vorläufig von der Arbeit suspendiert.
       
       Die Turbulenzen der Handlung, die sich an mehreren Fronten gleichzeitig
       entwickelt, sind zu einem nicht unbeträchtlichen Teil der Tatsache
       geschuldet, dass Nita die ungute Tendenz hat, zu viel Vertrauen zu Männern
       zu entwickeln, die sich den Anschein geben, sie beschützen zu wollen. Auf
       die harte Tour muss sie lernen, dass nichts ist, wie es scheint – und dass
       es mit ihrer Menschenkenntnis offenbar nicht weit her ist.
       
       Der ältere Nachbar mit den netten Augen ist in Wahrheit alles andere als
       nett, wogegen der bärbeißige Polizist, der zunächst so ruppig auftrat, sich
       als einfache, aber gute Seele entpuppt. Und ausgerechnet der Mann, der Nita
       so verstört hat, weil er tagelang in einem Auto vor ihrem Haus sitzt,
       scheint endlich die breite Schulter zum Anlehnen bereitzustellen, auf die
       Nita insgeheim gewartet hat. Oder etwa doch nicht?
       
       Dass zwischendurch an einer anderen Stelle der Stadt ein Mord passiert, ist
       fast nur eine Fußnote des Geschehens. Die Person, die ihn begangen hat, ist
       jedenfalls nicht diejenige, die das Baby in den Container geworfen hat, und
       die wiederum ist nicht identisch mit jener, die eines Nachts versucht, das
       Haus anzuzünden, das Nita gemeinsam mit einem im Erdgeschoss lebenden
       schwulen Paar bewohnt. Diese beiden stehen Nita im Übrigen treu zur Seite;
       und weil ja, wo Gefahr ist, auch das Rettende wächst, findet sie in all dem
       Schlamassel sogar noch ein paar neue Freunde. Das nützt allerdings wenig,
       nachdem im Zuge der polizeilichen Ermittlungen ihrer Familie zu Ohren
       gekommen ist, wo sie wohnt. Denn Nitas männliche Verwandte, allen voran ihr
       Vater, sind hinter ihr her, weil sie nach traditioneller Auffassung die
       „Familienehre beschmutzt“ haben soll. Nur ihr kleiner Bruder hält zu ihr.
       
       Virtuos verschränkt Liza Cody verschiedene thematische Fäden miteinander
       und lässt sie in einen dramatischen Höhepunkt münden. Daneben gelingt ihr
       wieder einmal ein sehr eindringliches Porträt einer Frau am Rande des
       Nervenzusammenbruchs. Anders als andere Cody-Heldinnen ist Nita eine
       Person, die ihre eigenen Schwächen und kulturellen Prägungen reflektiert,
       ohne dass es ihr gelingt, neuerliche Fehler zu vermeiden. Dass der
       psychologische Realismus, der hinter diesem eindrucksvollen Frauenporträt
       steht, auch den Nährboden bildet, auf dem sich die Handlung erst so richtig
       fruchtbar entwickeln kann, ist der Clou des Ganzen. Das ist die große Kunst
       der Liza Cody.
       
       4 Mar 2017
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Katharina Granzin
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Schwerpunkt Rassismus
 (DIR) Homosexualität
 (DIR) Mord
 (DIR) Transgender
       
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