# taz.de -- Muslimische Zivilgesellschaft: Ausgegrenzte Helden
       
       > Fast jeder zweite muslimische Mensch hilft Geflüchteten.
       > Gesellschaftliches Misstrauen erschwert das Engagement.
       
 (IMG) Bild: Muslimische Menschen werden selbst dann noch diskriminiert, wenn sie anderen helfen
       
       BERLIN taz | Während sie zum ersten Mal zusammen beteten, räumte Davids
       Katze Kasems Rucksack aus. Nach dem Gebet musste Kasem los. Die beiden
       jungen Männer verabredeten sich noch zum Konsolespielen. Dann saß David
       allein in seiner Einzimmerwohnung und dachte über Vorurteile nach.
       
       David betreut als Mentor den Geflüchteten Kasem. So wie viele Mentor*innen
       des Wegweiser-Programms studiert er noch. Organisiert wird es von Inssan,
       einem Verein junger Leute aus verschiedenen Berliner Moscheen. Wegweiser
       habe „trotzdem ein gutes Image“, sagt Projektleiterin Natalia Loinaz. „Weil
       wir nicht so offensiv als muslimische Organisation wahrgenommen werden.“
       
       Das „trotzdem“ der Helferin ist begründet. Vorurteile behindern viele
       muslimische Hilfsorganisationen. Die Ankömmlinge würden nicht in die
       Gesellschaft integriert, sondern bloß in muslimische Gemeinden, lautet
       eines. Sie radikalisierten Geflüchtete, ein anderes. Diese Annahme sei
       „haltlos“, kommentiert nun die Bertelsmann Stiftung. „Allenfalls bei ein
       bis zwei Prozent der Helfer kann von einer Absicht, Geflüchtete zu
       radikalisieren, gesprochen werden.“
       
       Die Stiftung veröffentlichte am Montag ihren aktuellen Religionsmonitor.
       Ein Ergebnis der Studie: 44 Prozent der muslimischen, 21 Prozent der
       christlichen und 17 Prozent der konfessionslosen Befragten in Westeuropa
       gaben an zu helfen.
       
       ## „Mit uns fühlen die sich wohler“
       
       Fast jeder zweite muslimische Mensch engagiert sich also in der
       Geflüchtetenhilfe. Auch rund die Hälfte der Ankommenden ist muslimisch.
       „Durch ihre eigenen Integrationserfahrungen und ihre demokratischen
       Kompetenzen können engagierte Muslime in der Flüchtlingshilfe ein Vorbild
       sein“, bekundet die Bertelsmann Stiftung. Wegweiser-Projektleiterin Loinaz
       formuliert ihren Eindruck so: „Mit uns fühlen die sich wohler.“
       
       Die Gemeinde der Hamburger Al-Nour-Moschee war weder von
       Wohlfühlüberlegungen noch von Radikalisierungsplänen motiviert. Im Sommer
       2014 kamen Helfer*innen vom nahen Hauptbahnhof in die Moschee und fragten,
       ob die neuen Ankömmlinge im Gebetsraum schlafen könnten. So wurde die
       Moschee ungeplant zu einer Notunterkunft für Hunderte und blieb es über
       Monate.
       
       Die Gemeinde fühlte sich damals von der Stadt alleingelassen. Statt Geld
       schien die Verwaltung ihnen eher Misstrauen entgegenzubringen. „Die Arbeit
       muslimischer Gemeinden in der Flüchtlingshilfe wird von der Gesellschaft
       mit äußerstem Misstrauen beobachtet“, sagte etwa Migrationsforscher Werner
       Schiffauer der dpa.
       
       ## Stundenlange Diskussion über Öffentlichkeitsarbeit
       
       „Alles, was negativ ist, wird in der Öffentlichkeit wahrgenommen. Was wir
       sonst noch machen, kriegt niemand mit“, sagt Loinaz. Deshalb organisiert
       sie seit letztem Jahr regelmäßig Treffen muslimischer Helfer*innen. Sie
       veranstaltete auch eine Pressekonferenz. Bloß kam die Presse nicht.
       
       Das Thema des zweiten Netzwerktreffens war daher Öffentlichkeitsarbeit.
       Acht Männer und sechs Frauen saßen an einem Samstag im Februar im Kreis.
       Sie vertraten allesamt Organisationen, die mit Geflüchteten arbeiten, etwa
       ein Pflegeheim, eine Stadtratsfraktion, ein Psychologenverband, Moscheen
       und Islamverbände. Stundenlang diskutierten sie „Synergien“ und
       „Strukturen“, wie man auf Zeitungen zugeht – und warum eigentlich kaum
       jemand die Facebookgruppe muslimischer Hilfsorganisationen geliked hat.
       
       28 Mar 2017
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Jana Anzlinger
       
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