# taz.de -- Koch über sein Private-Kitchen-Konzept: „Alte Kartoffeln sind spektakulär“
       
       > Nur zwölf Gäste können an einem Abend im „Ernst“ essen, aber sie kriegen
       > bis zu dreißig Gänge. Der Koch Dylan Watson-Brawn über seine
       > Restaurant-Philosophie.
       
 (IMG) Bild: Es wird Ernst: Die Vorbereitungen der Restauranteröffnung werden auf Instagram dokumentiert
       
       taz.am wochenende: Herr Watson-Brawn, Sie eröffnen eine Private Kitchen, in
       der die Gäste quasi in der Küche sitzen. Wie muss man sich das vorstellen? 
       
       Dylan Watson-Brawn: Bei uns, im Ernst, werden Sie an einer Bar sitzen,
       dahinter steht ein kleines Team von vier Leuten. Pro Abend bekochen wir bis
       zu zwölf Gäste. Es gibt keine Speisekarte, das Menü besteht aus 20 bis 30
       Gängen, je nach Saison.
       
       Was ist für Sie als Koch an diesem Setting mit wenigen Gästen so
       interessant? 
       
       Die Kontrolle. Wenn man für so wenige Gäste kocht, ist es möglich, sich um
       vieles mehr Gedanken zu machen als in einem großen Restaurant und sich dann
       auch selbst darum zu kümmern.
       
       Bei 30 Gängen ist aber trotzdem viel zu tun. 
       
       Denken Sie jetzt nicht an Gänge wie im Sterne-Restaurant! Dort liegen meist
       fünf bis zehn Komponenten auf dem Teller. Das werden sie bei uns nicht
       bekommen. Ein bis zwei Komponenten, mehr nicht.
       
       Sehr puristisch. 
       
       Es kommt uns sehr auf die Frische an, die Reife der Zutaten, auf das, was
       gerade Saison hat. Es geht uns nicht darum, als Köche unsere Muskeln zu
       zeigen, sondern um die Stärke und Qualität der Produkte. Das ist mir viel
       wichtiger als eine komplizierte Zubereitung.
       
       Nehmen wir eine Tomate. 
       
       Gutes Beispiel. Wir werden sie nicht einfrieren und zerklopfen, wir werden
       kein Gelee davon machen oder sie für irgendeinen Zweck in Klarsichtfolie
       packen. Aber wir werden sicherstellen, dass sie zum idealen Zeitpunkt
       gepflückt wurde, dass sie auf dem Weg vom Feld in die Küche nie im
       Kühlschrank war und dass sie die richtige Temperatur hat, wenn sie auf den
       Teller kommt. Wir werden sie erst im letzten Moment schälen und dann so
       schneiden, das sie das beste Aroma hat, vielleicht mit etwas Salz dazu.
       
       Sie haben lange in Japan gearbeitet. Auch in Sushi-Bars stehen die Köche
       den Gästen direkt gegenüber, und es gibt viele kleine Gerichte. 
       
       Diese Philosophie hat mir imponiert. Die konzentrierte Suche nach Qualität
       bei den Zutaten. Bis wir eine ähnliche Sensitivität entwickelt haben, ist
       es noch ein langer Weg. Es wird bei uns übrigens auch Fisch geben, aber
       viel mehr Gemüse.
       
       Was verändert sich, wenn man so viele Teller vorgesetzt bekommt? 
       
       Es geht weniger um das einzelne Gericht. Viele Gäste möchten sich zwar gern
       an ein oder zwei besonders gute Gerichte erinnern. Es gibt Köche, die ihren
       Menüs eine Dramaturgie geben, um einzelne Gänge ins Licht zu setzen. Das
       wollen wir nicht. Das Essen bei uns soll ein Prozess sein, das mit der
       Reservierung anfängt und erst aufhört, wenn der Gast uns verlässt.
       
       Schon bei der Reservierung? 
       
       Wir werden nicht mit normalen Reservierungen arbeiten, sondern mit einem
       Ticketsystem.
       
       Ich muss Wochen vorher ein Ticket kaufen, so wie für ein Konzert? 
       
       Ja. Bei einer so kleinen Zahl von Plätzen können wir uns keine Gäste
       leisten, die sich am Nachmittag überlegen, dass sie abends etwas anderes
       vorhaben. Und wenn wir nicht ständig ein Ohr am Telefon haben, bleibt mehr
       Zeit, sich ums Essen zu kümmern.
       
       Was ist der Unterschied, wenn man so nah am Gast ist? 
       
       Es ist ein ganz großer. Wir möchten nicht nur Interaktion mit unseren
       Gästen. Das Setting erlaubt es, dass das ganze Team an einem Gericht
       arbeitet.
       
       Normalerweise funktioniert eine Restaurantküche anders. 
       
       Ja, man muss ständig vom Hauptgang zum Dessert und wieder zu einer
       Vorspeise switchen. Die Küche ist arbeitsteilig. Normalerweise steht der
       Chefkoch am Pass, am Ausgang der Küche. Er kontrolliert und richtet an. Ich
       habe mit diesem Konzept Probleme.
       
       Warum? 
       
       Wenn der Chefkoch derjenige ist, der am besten kochen kann, sollte er genau
       das tun. Und so ist unser Restaurant organisiert: Es soll Zeit bleiben,
       sich um Zutaten zu kümmern, Produzenten zu besuchen und zu kochen. Die
       Administration haben wir so weit wie möglich minimiert.
       
       Was sagt es über unsere Esskultur aus, wie wir Köche behandeln? 
       
       In Japan werden Köche mit mehr Respekt behandelt, in Europa ist das anders.
       Es gibt zwei Extreme: die wenigen prominenten, um die ein Kult gemacht
       wird, daneben die namenlose Masse an Köchen, jederzeit austauschbar. Ich
       verstehe nicht, warum es nichts dazwischen geben kann. Menschen, die für
       ihr Handwerk mit Respekt behandelt werden. Wenn Köche Rockstars sind, geht
       es doch nicht mehr ums Kochen.
       
       Sie legen so viel Wert auf die Qualität und die Auswahl der Produkte. Mir
       drängt sich das Bild vom Koch als Kurator auf. 
       
       Ein schöner Vergleich. Der Kurator wählt ja nicht nur aus, er arbeitet mit
       den Künstlern zusammen. So wollen wir das auch machen. Mit den Produzenten
       sprechen, ihre Erfahrungen hören, Anregungen geben.
       
       Gehen wir mit dem Vergleich noch weiter. Geht es darum, dass die Produkte
       ins beste Licht gesetzt werden? 
       
       Definitiv. Nur ganz selten werden wir die Qualität noch verbessern können,
       denn eigentlich ist das unmöglich. Man kann kein exzellentes Gericht
       machen, wenn man keine exzellenten Zutaten hat. Und Exzellenz hat nichts
       damit zu tun, ob man Kaviar, Hummer oder Kartoffeln einsetzt. Es geht nur
       um den richtigen Moment.
       
       Und was ist der richtige Moment für Kartoffeln? 
       
       Frische Kartoffeln sind gut, aber noch besser sind Kartoffeln, wenn sie
       einige Monate gelagert werden, bis Januar oder Februar. Sie dehydrieren
       etwas, der Geschmack intensiviert sich und auch die Farbe. Das Gelb ist
       viel tiefer. Das ist spektakulär.
       
       16 Apr 2017
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Jörn Kabisch
       
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