# taz.de -- Die SPD nach dem Ende des Schulz-Hypes: Das Kokain der Politik
       
       > 20, 32, 26 Prozent – hoch und runter gehen die Umfragen und mit ihnen
       > taumelt die SPD. Wie kann die Partei damit umgehen?
       
 (IMG) Bild: Im Januar war Martin Schulz noch mega – was bleibt vom Hype?
       
       BERLIN taz | Miriam Wolters postet am 24. Januar auf Facebook eine
       Nachricht, die aus nur einem Wort besteht: „Done“ – erledigt. Wolters hat
       gerade ihren SPD-Mitgliedsantrag abgeschickt.
       
       Der Mann, dessentwegen sie Genossin werden will, pflügt am 9. März blendend
       gelaunt durch die Fußgängerzone in Darmstadt. Martin Schulz, 61,
       Ex-EU-Parlamentspräsident, Exbürgermeister von Würselen und frisch
       ausgerufener SPD-Kanzlerkandidat, streichelt Babys, macht Selfies mit
       Jusos, umarmt Bekannte. „Das ist ja wie bei Justin Bieber“, sagt eine junge
       Frau.
       
       Schulz ist heiter, locker und aufgekratzt. Mit Darmstadt 98, dem
       Tabellenletzten, werde es wieder aufwärts gehen, ruft er. Der Trainer,
       Torsten Frings, sei ja aus Würselen. Fußball und Würselen, das geht immer.
       Jubel. An einer Currywurstbude fragt eine Lokalreporterin, wie Schulz mit
       dem Hype um seine Person klar komme. „Ich war ganz unten. Ich habe eine
       Mitte. Ich hebe nicht ab.“
       
       Das ist viel Ich in drei Sätzen, aber an diesem Tag in Ordnung, denn Schulz
       strahlt wie eine kleine Sonne. Seine SPD liegt in Umfragen bei 32 Prozent,
       ein Rekordwert. Schulz, der Herausforderer, und Kanzlerin Angela Merkel
       liegen Kopf an Kopf. Alles scheint möglich. Schulz, diese Stimmung liegt in
       der Darmstädter Luft, könnte der nächste Bundeskanzler werden.
       
       In der SPD hatten sie damals ein beseeltes Lächeln im Gesicht, wenn sie von
       ihm sprachen. Auf Twitter sammelten sich begeisterte Posts unter den
       Überschriften #JetztistSchulz oder #GeileSau. Auf dem Cover des Spiegels
       stupst Schulz eine steinerne Merkel vom Sockel.
       
       Heute, gut zwei Monate später, ist Darmstadt aus der Bundesliga
       abgestiegen. Die SPD hat drei Landtagswahlen verloren, zuletzt die im
       wichtigen Nordrhein-Westfalen. Neumitglied Miriam Wolters beißt in einem
       Café am Berliner Spreeufer in ein Franzbrötchen und sagt: „Fair ist das
       nicht – und auch ein bisschen traurig.“
       
       ## Fukushima: +6 Prozent, Schulz: +12 Prozent
       
       War alles nur Hype? Eine Luftblase, eine Autosuggestion, in der „Martin
       Schulz“ ein ungedeckter Wechsel war, eine Projektionsfläche ohne eigenes
       Gewicht? Kommt da noch was? Oder war’s das mit Schulz?
       
       Zum Hype scheint zu gehören, dass alle Medien dauernd fragen, ob das, was
       gerade passiert, Hype ist – und trotzdem keiner aussteigt. Und er hat viel
       mit Gefühlen zu tun.
       
       „Martin Schulz ist einfach ein guter Typ. Nahbar, authentisch, humorvoll.“
       Miriam Wolters, 41, Glitzerstecker in der Nase, türkisfarbener Blazer, kann
       sich in Begeisterung reden, wenn sie über Schulz nachdenkt. Der nehme sich
       nicht so ernst, sagt sie, sei ein überzeugter Europäer und einer, der die
       Sorgen einfacher Leute kenne. Schulz scheiterte in jungen Jahren als
       Fußballer, besiegte eine Alkoholsucht, arbeitete als Buchhändler, bevor er
       seine steile Politikkarriere hinlegte.
       
       Wolters, Referentin beim Deutschen Jugendherbergswerk, nennt sich selbst
       ein „Fangirl“, ironisch natürlich, denn was sie über die SPD-Liebe zu
       Schulz erzählt, ist reflektiert. Eine Illusion sei es, dass es in der
       Politik nur aufs Programm ankomme. „Personen sind entscheidend.“ Schulz sei
       für die Sozialdemokratie wie ein Befreiungsschlag gewesen.
       
       Wissenschaftlich gesehen ist medialer Hype – eigentlich ein Ausdruck für
       PR-Kampagnen für neue Produkte – mehr als Übertreibung. Es bezeichnet einen
       Grenzzustand: Medien bilden die Wirklichkeit nicht mehr nur ab, sie werden
       selbst zu Akteuren, die Nachrichten produzieren, über die sie berichten.
       
       So wächst eine Scheinwelt, ein System, das sich selbst beschleunigt. Bis
       zum Kollaps. Die Umfragewerte der SPD schnellten vom Moment der Nominierung
       Martin Schulz’ am 24. Januar in vier Wochen von 20 auf 32 Prozent.
       
       Nach Fukushima 2011 stiegen die Werte für die Grünen um 6 Prozent. Die
       Union verlor im Jahre 2000 mal 13 Prozent – allerdings in drei Monaten,
       nicht in drei Wochen. Damals weigerte sich Helmut Kohl, der Justiz die
       Namen illegaler Parteispender zu nennen. Es war die tiefste Krise der Union
       seit 1949.
       
       Thomas Petersen, Demoskop beim Allensbach-Institut, sagt: „Die bloße
       Ankündigung einer Personalie hat noch nie einen solchen Umschwung
       ausgelöst.“ Petersen hält die Schulz-Nominierung für das Paradebeispiel
       eines Zusammenspiels von medialer Übertreibung und Umfragehagel, ein System
       von sich gegenseitig verstärkenden Echoräumen.
       
       Erst präsentierten Medien Schulz als Sensation, dann beauftragten sie
       Umfrageinstitute, die – kein Wunder – melden, dass die SPD beliebter sei.
       Das war wiederum eine Nachricht, die zu beweisen schien, dass es richtig
       war, viel und positiv über Schulz zu berichten. Das war, so Petersen, „ein
       Kreis, ein sich selbst nährendes System aus Berichten und oberflächlichen
       Blitzumfragen“.
       
       Kurzum: eine Blase. Großen Anteil haben die Umfrageinstitute. Die
       Konkurrenz ist groß, und die Verführung, neue spektakuläre Zahlen zu
       liefern auch. In den vier Wochen nach Schulz’ Nominierung veröffentlichten
       7 Institute 23 Umfragen, fast jeden Tag eine. Und für eine Headline taugt
       „SPD erstmals bei 30 Prozent“ eher als SPD bei 29 Prozent. Der
       Aufmerksamkeitsmarkt braucht Nachschub. Umfragen, die scheinbar nur messen,
       was der Fall ist, sind ideale Beglaubigungen.
       
       Die Überschriften waren entsprechend: „Ein Monat Schulz: SPD erstmals seit
       2006 in Umfrage vor der Union.“ Oder dass Schulz beliebter als Merkel sei.
       Die Umfragehausse des SPD-Manns, so Petersen, „hat im Februar sogar Trump
       eine Weile aus den Schlagzeilen verdrängt“.
       
       ## Viele Sympathisanten, wenig Wähler
       
       Außerdem herrscht medial zunehmend die Logik des Entweder-oder. Von
       ja/nein, neu/alt, in/out. Die Amplituden der Politumfragen werden extremer,
       weil die Sender, Politiker und Medien kürzere und schnellere Signale senden
       und die Empfänger, die Bürger, zunehmend nur noch eindeutige, laute, oft
       gesendete Botschaften wahrnehmen. Das ist nicht neu. Aber heftiger als
       früher.
       
       Natürlich war der Schulz-Effekt nicht pure mediale Rückkoppelung. Kein
       Medium kann eine Stimmung ohne Resonanzraum schaffen. Der Hype ist auf dem
       Politmarkt ein Echo, das einen Ton verstärkt und verzerrt. Der SPD half
       Ende Januar schon die Tatsache, dass Sigmar Gabriel, der auch bei
       SPD-Anhängern mulmige Gefühle auslöste, von der Bildfläche verschwand.
       Schulz war nett, lustig, bekannt genug, um Hoffnungen zu binden, unbekannt
       genug, um niemand zu verschrecken.
       
       Die Umfrageausschläge sind womöglich bei der SPD heftiger, weil die Partei
       sehr viele vage Sympathisanten hat und sehr wenig Wähler. Fast zwei Drittel
       der Deutschen fanden es Ende Januar gut, wenn die SPD regiert – so viele
       wie bei keiner anderen Partei. Doch gewählt hätten sie damals nur 20
       Prozent.
       
       Einer, der unter dem Schulz-Hype litt, ist Michael Kellner. Der
       Zweimetertyp mit dichten Locken und schwarzer Brille managt als
       Bundesgeschäftsführer den Wahlkampf der Grünen. Die SPD hob ab, die Grünen
       rutschten ab. Elf Prozent, neun, sieben. Sogar ein Scheitern an der
       Fünfprozenthürde war denkbar.
       
       Medien erkundeten lustvoll die Misere der Grünen. Sind sie zu zahm? Zu
       links? Zu konservativ? Zu langweilig? „Das ist wie eine Welle“, sagt
       Kellner. „Jeder Journalist muss die Geschichte einmal geschrieben haben.
       Keiner will abseits stehen.“ Ein Trend laufe und zwei Wochen später komme
       der Nächste. Da helfe nur Gelassenheit.
       
       Umfragen sind das Kokain der Politik. Alle wissen, dass man ihnen nicht
       trauen darf, aber alle sind von ihnen abhängig. Erfolg bei den Wählern,
       auch virtueller, das ist die einzige Währung, die zählt. Und die Dosen
       werden stärker. Früher gab es zwei, drei Institute, die die politische
       Stimmung der Deutschen abfragten. Heute gibt es mehr als doppelt so viele.
       Der Kreisel dreht sich immer rasanter, der Zirkus füttert sich selbst – und
       zwingt Politiker zu immer schnelleren Reaktionen.
       
       YouGov, ein börsennotiertes britisches Institut, veröffentlichte Ende April
       eine todesbedrohende Nachricht für die Grünen-Fraktion im Düsseldorfer
       Landtag. Nur noch fünf Prozent würden der Partei ihre Stimme geben. Die
       Zahl wurde eine halbe Stunde vor einer länger geplanten Pressekonferenz der
       Spitzenkandidatin Sylvia Löhrmann veröffentlicht. Vor den Journalisten
       formulierte sie dann einen Hilferuf an die WählerInnen. Jetzt gehe es um
       alles. Am selben Tag korrigierte YouGov die Zahl nach oben.
       
       Grüne schütteln bis heute darüber den Kopf. Politiker wirken ab und an wie
       Getriebene, während Medien und Institute den Takt vorgeben. Vor einem
       halben Jahr dachten alle, die entscheidende Auseinandersetzung sei die
       zwischen Demokraten und AfD, zwischen Weltoffenheit und Nationalismus. Dann
       kam Schulz. Jetzt ist die Lindner-FDP hipp. „Sofort auf Geschichten, Spins
       oder Attacken zu reagieren, ist wahnsinnig wichtig geworden“, sagt Kellner.
       
       Die Grünen setzen auch deshalb auf maximale Flexibilität. Ihre Kampagne
       wird eine Werbeagentur erfinden und betreuen, die sich eigens für diesen
       Auftrag gegründet hat – und danach wieder auflöst. Eine handvoll Kreative
       aus verschiedenen Agenturen. Sie sollen zum Teil sogar in der
       Grünen-Geschäftsstelle sitzen.
       
       Früher entwarf traditionell die Großagentur Zum goldenen Hirschen die
       grünen Kampagnen. Kein Tanker mehr, sondern ein Schnellboot. Kurze
       Entscheidungswege, Arbeiten auf Zuruf, blitzschnelle Reaktionen. „Sehr
       glücklich“ sei er mit dieser Entscheidung, wenn er sich die vergangenen
       Landtagswahlen anschaue, sagt Kellner.
       
       Dass die Umfragen für die SPD „wegen Schulz so gut waren, war auch ein
       Fluch“, sagt Frank Stauss. Er ist einer der erfolgreichsten
       Politkampagnenplaner hierzulande. 2016 half er Malu Dreyer (SPD) in
       Rheinland Pfalz ihre Konkurrentin Julia Klöckner (CDU) auf den letzten
       Metern zu besiegen. Stauss, 52, hat ein erfolgreiches Buch über Wahlkämpfe
       geschrieben. Zuletzt warb er für Hannelore Kraft in NRW. Das ging schief.
       
       Der Schulz-Hype habe der SPD bei den Landtagswahlen eine „falsche
       Sicherheit“ suggeriert. In allen drei Bundesländern waren die realen
       Wahlergebnisse am Ende nahe an dem Durchschnitt von 2016.
       
       Und die Bundestagswahl? Alles schon gelaufen? „Das Schulz-Hoch hat doch
       gezeigt, dass sich viele Leute vorstellen können, SPD zu wählen“, sagt
       Stauss. Merkel sei schlagbar, trotz allem. „Sie ist die sichere Bank. Aber
       nicht mehr. Keiner weiß, was Merkel in den nächsten vier Jahr mit dem Land
       vorhat.“ Dagegen, glaubt Stauss, muss die SPD auf Fortschritt setzen,
       offensiv und ehrgeizig.
       
       So wie Macron in Frankreich oder Trudeau in Kanada. Zum Beispiel mit dem
       digitalen Umbruch der Arbeitswelt: „Den Sicherheitsframe hat Merkel
       besetzt. Die SPD muss eine Aufbruchserzählung dagegensetzen und klar
       machen, dass nur Veränderung unsere Zukunft sichert. Sie darf sich nicht in
       die Retro-Ecke drängen lassen.“
       
       ## Nach ALG Q kam nicht mehr viel
       
       Also mehr als nur Gerechtigkeit. Die gehört zum Markenkern der SPD.
       Gerechtigkeit klingt gut und einfach. Und die Ungleichheit ist ja extrem
       gewachsen. Die unteren 40 Prozent der Deutschen haben in den letzten 20
       Jahren Einkommen verloren. Das ist amtlich. Es steht im Armut- und
       Reichtumsbericht der Bundesregierung.
       
       Und doch kann Gerechtigkeit als Wahlkampfthema vertrackt sein. Die Gefahr,
       am Publikum vorbeizusenden, ist groß. Denn die Selbsteinschätzung der
       Bürger ist anders als es die Sozialstatistiken nahe legen. So fanden vor
       zehn Jahren zwei Drittel, dass es in Deutschland ungerecht zugeht. Im März
       2017 war das anders: 50 Prozent glauben, dass es in der Bundesrepublik eher
       gerecht zugeht, 44 Prozent denken das nicht. Und vier von fünf sind mit
       ihrer wirtschaftlichen Lage zufrieden.
       
       Einer, der solche Zerklüftungen reflektiert, ist der Soziologe Heinz Bude.
       Im Februar lieferte er den theoretischen Soundtrack zu dem unvermuteten
       SPD-Höhenflug. Bude hatte ein Buch über Stimmungen („Das Gefühl der Welt“)
       geschrieben. Die Sympathiewelle für Schulz war, so Bude, nur verständlich
       auf der Folie einer „emotionalen Dissonanz“.
       
       Die meisten Bürger sagen, dass es ihnen persönlich gut geht, dass aber die
       Gesellschaft, das Kollektiv gefährdet sei. „Schulz und soziale
       Gerechtigkeit war das Angebot, diesen Widerspruch zu besprechen“, so Bude.
       Doch die SPD habe „diesen Kommunikationsfaden abreißen lassen“.
       
       Nach Schulz’ Ankündigung im Februar, ältere Arbeitslose mit Weiterbildung
       und ALG Q zu unterstützen, kam nicht mehr viel. Vielleicht weil Hannelore
       Kraft sich Ruhe für ihren Wahlkampf wünschte, wie es die SPD nun behauptet,
       vielleicht weil der Ruhm für den SPD-Star zu viel war. Weil in der
       Parteizentrale, dem Willy-Brandt-Haus, die Strategie fehlte. Die
       Kandidatenkür ging schnell. Und die Fähigkeit, so flexibel und schnell auf
       jede Stimmungsveränderung zu reagieren, wie es Kellner für nötig hält, war
       begrenzt.
       
       Auch Miriam Wolters ist unzufrieden mit ihrer Partei. „Politik ist ein
       Produkt“, sagt sie in dem Café am Spreeufer. Wenn es am Markt platziert
       sei, müssten neue Highlights her. „Ordentlich auf die Trommel hauen, Neues
       liefern. Da kommt zu wenig.“ Bude hält das für den zentralen Fehler:
       „Schulz wirkt wie jemand, der sagt: Komm, lass uns ein Haus bauen. Und sich
       dann nicht mehr meldet.“
       
       Nicht nur bei der Themendramaturgie war die SPD blass, sie sendete auch
       verwirrende Botschaften. Erst blinkte sie links Richtung Rot-Rot-Grün. Das
       passte, weil Schulz Gerechtigkeit reklamierte und als vitaler, überzeugter
       Pro-Euro-Mann auftrat. Nach der Saarland-Wahl folgte indes ein abrupter
       Schwenk weg von der Linkspartei und zur FDP. Wie das zu Schulz’
       Gerechtigkeitserzählung passte, verstand niemand. Das wirkte nicht
       souverän, sondern hektisch.
       
       Martin Schulz steht vor der Bücherwand einer Stadtteilbibliothek, die im
       fünften Stock eines Einkaufszentrums in Berlin-Neukölln untergebracht ist.
       Donnerstagmittag, blauer Himmel hinter einer Fensterfront. Es ist Tag vier
       nach dem Desaster. Die Niederlage in NRW hat Schulz, ein Freund von
       Sportmetaphern als Leberhaken bezeichnet, und versucht dabei tapfer
       auszusehen.
       
       Jetzt wirkt er etwas angeschlagen, nicht so aufgeräumt und spritzig wie
       damals in Darmstadt. „Wenn Martin unter Druck gerät“, sagt einer, der ihn
       seit Jahrzehnten kennt, „wird er unwirsch und bekommt schlechte Laune.“
       Kann sein, dass auch davon, ob Schulz Niederlagen wirklich sportlich
       wegstecken kann, abhängt, ob die SPD noch eine zweite Chance vor dem 24.
       September bekommt.
       
       Angela Merkel geht über rote Teppiche und trifft Präsidenten. Die Helene
       Nathan Bibliothek ist ein Ort, um Street Credibility zu demonstrieren.
       Schulz präsentiert 13 Thesen zur Bildungspolitik. Tenor: Viel mehr Geld und
       das Ende des Kooperationsverbotes, das dem Bund die Finanzierung von
       Bildung in den Ländern verbietet. Das System soll von Kita bis Uni und
       Meisterausbildung kostenfrei sein.
       
       Es ist ein Potpourri aus Ideen. Mehr Ganztagsschulen. Mehr Zeit und weniger
       Stress in der Schule. Auch Nichtakademiker sollen vom Erasmus-Programm
       profitieren.
       
       Bildung ist ein günstiges Thema für die SPD: Es siedelt an der Schnittlinie
       zwischen Gerechtigkeit und Zukunft. Ein Gewinnerthema eigentlich. Nur ganz
       verstockte Neoliberale können im Ernst auf Steuersenkungen beharren, wenn
       in den Schulen der Putz bröckelt.
       
       Deutschland, so Schulz, gebe nur 4,3 Prozent des BIP für Bildung aus, bei
       den OECD-Ländern sind es im Schnitt 5,2. Um wenigstens Durchschnitt zu
       sein, müsse Deutschland 12 Milliarden Euro im Jahr mehr ausgeben. Das
       stimmt nicht. Schulz korrigiert sich später: Es wären 30 Milliarden Euro
       mehr.
       
       Nach der Rede springt der örtliche SPD-Bundestagsabgeordnete auf, zeigt
       sich angemessen begeistert „von der ersten inhaltlichen Stellungnahme
       unseres Kanzlerkandidaten“ und sichert Schulz die Unterstützung der SPD
       Neukölln zu. Immerhin, die SPD Neukölln, sagt Schulz. Es soll heiter
       klingen, kippt aber ins Melancholische.
       
       Ein Schüler wünscht dem Kandidaten, dass er es im Herbst in die Regierung
       schafft. „In die Regierung kommen wir schon. Ich will sie vor allem
       anführen“, sagt der Kandidat. Er sagt überhaupt oft Ich. Wahrscheinlich
       wäre es besser, weniger Ich zu sagen. Und die Zahlen genauer zu kennen.
       Gerade weil er es mit einer Gegnerin zu tun hat, die die Fakten kennt und
       ganz selten Ich sagt.
       
       Ein recht handfester Effekt des Hypes sind jene 17.000, die in den letzten
       drei Monaten in die SPD eingetreten sind. Viele sind jung, eine gute
       Nachricht für die überalterte SPD.
       
       Die Neugenossin Miriam Wolters nimmt einen letzten Schluck Kaffee, sie muss
       weiter. Gibt es noch Hoffnung für die SPD nach dem schwindelerregenden
       Höhenflug und harten Aufprall? „Die Deutschen“, sagt sie, „sind ja
       widersprüchlich. Einerseits lechzen die Leute nach Veränderung,
       andererseits wollen sie Sicherheit.“
       
       Wenn Schulz es schaffe, beides zu verkörpern, warum nicht?
       
       25 May 2017
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Stefan Reinecke
 (DIR) Ulrich Schulte
       
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