# taz.de -- Parteitag der Linken: Fundamentalrealismus
       
       > Landesverbände mit Regierungsbeteiligung müssen sich Verrat vorwerfen
       > lassen – aber es gibt auch Applaus für sozialpolitische Erfolge.
       
 (IMG) Bild: Erste Delegierte am Samstagmorgen in Hannover
       
       HANNOVER taz | Katina Schubert, Chefin der Linkspartei in Berlin, ist
       eigentlich keine mitreißende Rednerin. Sie gehört zum Reformerflügel der
       Partei, in Berlin regiert die Linkspartei mit SPD und Grünen. Und es ist,
       grade auf Parteitagen, für die Reformer nicht so einfach mit Erfolgen in
       Landesregierungen zu glänzen. Denn da geht’s schnell um Details. Die linken
       Linken hingegen haben es rhetorisch leichter. Der Feind ist klar, die Linie
       auch: Wir gegen die.
       
       Ein Spitzenlinker hatte verkündet, dies sei überhaupt der erste Parteitag
       ohne Zoff im Vorfeld. Doch so ist es nicht. Im Inneren der Partei rumort
       es, weil die Bundesländer, in denen die Genossen mitregieren, Thüringen,
       Berlin und Brandenburg, in der letzten Woche im Bundesrat der hart
       erkämpften Neureglung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen zustimmten. Die
       Länder bekommen nun knapp zehn Milliarden jährlich mehr vom Bund. Doch Teil
       des Pakets war, die, wenn auch auf Druck von SPD und Linkspartei am Ende
       einhegte Möglichkeit, Autobahnen auch mit privatem Kapital zu bauen. Das
       war Schäubles Bedingung.
       
       Ein Genossin aus Bayern hält das für Verrat. Die Landesregierungen „fallen
       uns in den Rücken“ sagt sie. In der Generaldebatte scheint das Meinungsbild
       klar. Sabine Leidig, Bundestagsabgeordnete, wettert, dass das Votum der
       Landesregierungen die Widerstandsbewegungen gegen Autobahnprivatisierung
       schwäche. Wer appelliert, dass die Linkspartei laut „Nein“ sagen müsse oder
       das Bündnis „mit prokapitalitischen Parteien“ meiden müsse, dem ist Applaus
       sicher. Als Christian Görke, Finanzminister in Brandenburg, das Votum zu
       verteidigen sucht („Wir sind von Schäuble erpresst worden“) gibt es
       Buh-Rufe.
       
       Bis Schubert ans Pult tritt. „Wir verstaatlichen doch in Berlin
       Wohneigentum“ ruft sie energisch. Sie meint das NKZ, einen Gebäudekomplex
       in Kreuzberg, der an einen Privatinvestor verkaufen werden sollte. Doch der
       Bezirk verhinderte den Deal. Die Linkspartei mühe sich, so Schubert, in der
       rot-rot-grünen Regierung Zwangsräumungen von Hartz-IV Beziehern zu
       verhindern, und dass säumigen Mietern, der Strom abgedreht werde. Dafür, so
       Schubert, brauche der Senat Geld. 490 Millionen Euro pro Jahr bekommt
       Berlin jährlich vom Bund mehr. „Wir würden nackt durch die Stadt getrieben,
       wenn wir darauf verzichtet hätten“ ruft Schubert. Donnernder Applaus.
       Schulterklopfen für die Realo-Linke auf den Gängen danach.
       
       Die Stimmung in der Linkspartei in Sachen Regieren oder Opponieren ist
       nicht so einfach zu begreifen. Es gab sogar ein paar Delegierte, die
       klatschten als den Regierungslinken Verrat attestiert wurde und bei
       Schuberts vehementer Verteidigungsrede. Parteichefin Katja Kipping hatte zu
       Beginn geschickt dafür plädiert, sich alle Möglichkeiten offen zu halten –
       und auf Attacken auf Rot-Grün verzichet. Mit der Parole „nur Opposition“,
       so Kipping, mache sich die Partei „kleiner als sie ist“.
       
       Die wäre wohl mm liebsten beides: habituelle Opposition. Und Regierung
       auch.
       
       10 Jun 2017
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Stefan Reinecke
       
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