# taz.de -- Berliner Locationscout über seine Arbeit: „Berlin ist eine tolle Filmstadt“
       
       > Millionärsvilla, Operationssaal oder Spielerkabine im Stadion: Jan Lewis
       > kommt an Orte, die anderen verschlossen sind. Welche waren am
       > eindrucksvollsten?
       
 (IMG) Bild: „Einer der spannendsten Orte ist der Kühlturm vom Kraftwerk Reuter in Spandau“: Jan Lewis fotografiert im „Südblock“
       
       taz: Herr Lewis, Sie arbeiten als Locationscout für Film- und
       Fernsehproduktionen. Wie genau muss man sich Ihre Arbeit vorstellen? 
       
       Jan Lewis: Das eine ist, einen Drehort zu finden, der visuell stimmig ist
       für den Film, an dessen Produktion ich gerade beteiligt bin. Die andere
       Sache ist, dem Besitzer des Objekts – beispielsweise einer Wohnung – der
       als Drehort infrage kommt, zu vermitteln, was genau passiert, wenn ein
       Filmteam kommt. Man muss die Besitzer ja davon überzeugen, dass es toll
       ist, wenn sein Objekt zur Filmkulisse wird.
       
       Nach welchen Kriterien bemessen Sie die visuelle Stimmigkeit eines
       Drehorts, von der Sie sprechen? 
       
       Erst mal lese ich das Drehbuch, dabei versuche ich, mich in die Personen
       des Films hineinzudenken. Wie und wo würden die wohnen? Welcher Lebensstil,
       welche Wohnungseinrichtung passt zu denen? Wichtig ist dabei, möglichst
       nicht zu offensichtliche Klischees zu bedienen. Miteinbeziehen muss ich
       auch die Ansprüche der Regisseure. Manche legen großen Wert auf eine
       gewisse Authentizität und da muss man auch die Frage beantworten können, ob
       sich ein bestimmter Filmcharakter diese Wohnung oder dieses Haus wirklich
       leisten könnte. Anderen Regisseuren ist dagegen vielleicht die Schönheit
       oder Besonderheit eines bestimmten Drehortes wichtig.
       
       Sind die besten Orte Berlins nicht alle schon zig Mal in Filmen aller Art
       aufgetaucht? Nichts gegen das Badeschiff oder den Teufelsberg, aber beides
       will man im Kino doch einfach nicht mehr sehen. 
       
       Man kann bestimmte Orte gegebenenfalls ja auch umgestalten, dann sehen sie
       noch mal anders aus. Außerdem verändert sich die Stadt jeden Tag und
       Locations gewissermaßen mit ihr.
       
       Und welche Location, von der man noch nicht so oft gehört hat, ist in
       Berlin ein echter Knaller? 
       
       Einer der spannendsten Orte, die ich bisher überhaupt besichtigt habe, ist
       der Kühlturm vom Kraftwerk Reuter in Spandau. Der ist so groß, dass man
       dort die Gedächtniskirche reinstellen könnte.
       
       Wie findet man überhaupt Locations? Rennt man den ganzen Tag durch Berlin
       und knipst Örtlichkeiten ab? 
       
       Ich suche eigentlich nur auf konkrete Aufträge hin. Ich mach den Job ja
       schon seit zehn Jahren. In der Zeit habe ich mir ein Portfolio an Locations
       angelegt. Insgesamt habe ich über 100.000 Fotos in meinem Archiv. Die
       durchforste ich für die Suche vor meinem geistigen Auge oder auch ganz real
       vor dem Computer. Das ist der Beginn einer Motivsuche, nachdem ich ein
       neues Drehbuch bekommen habe. Daraufhin kann ich meistens schon mal einen
       Vorschlag machen.
       
       Ist Berlin mit seiner Größe und als Stadt des permanenten Wandels der
       ideale Ort für einen Locationscout? 
       
       Berlin ist eine tolle Filmstadt, wir haben tolle Möglichkeiten hier. In
       letzter Zeit habe ich aber doch manchmal das Gefühl, die Stadt frisst sich
       auf, weil hier zu viel gedreht wird. Hausverwaltungen beispielsweise sagen
       immer öfter: Nein, wir möchten nicht, dass hier gedreht wird. Wenn ich in
       einem bestimmten Haus klingel, sagen mir vielleicht zehn Bewohner Ja zu
       Dreharbeiten, aber ich muss eben noch die Hausverwaltung um eine
       Genehmigung bitten, und die bekomme ich dann nicht.
       
       Ich kann als Mieter also nicht einfach sagen: Kein Problem, Sie können
       ruhig ein paar Tage in meiner Wohnung drehen? 
       
       Wir dürften prinzipiell einfach drehen in einer Wohnung in Absprache mit
       dem Mieter, aber weil man auch das Treppenhaus benutzen muss und sich
       eventuell ein Teil des Teams auch im Hausflur aufhält, hat die
       Hausverwaltung das Recht zu sagen: Nein, das möchten wir nicht.
       Hausverwaltungen argumentieren oft, dass sich andere Mitbewohner gestört
       fühlen könnten.
       
       Und wie ist das beim Dreh von Straßenszenen? 
       
       Auf einem Privatgrundstück braucht man eine Drehgenehmigung vom Besitzer.
       Und wenn man im Land Berlin auf öffentlichen Straßen drehen möchte, braucht
       man eben eine Drehgenehmigung vom Land Berlin. Diese zu bekommen, ist ein
       einfacher Verwaltungsakt, das ist im Normalfall kein Problem. Wenn man ein
       spezielles Gebäude ins Bild nimmt, kann es aber auch sein, dass da der
       Architekt des Gebäudes ein Mitspracherecht, sozusagen eine Art Bildrecht an
       seinem Werk hat. Im Falle einer erteilten Drehgenehmigung können die
       Architekten auch bei Filmproduktionsfirmen die Hand aufhalten, falls ihr
       Objekt vor die Kamera kommt.
       
       Beschweren sich nicht auch schon mal Anwohner, wenn in ihrer Straße schon
       wieder gedreht wird? 
       
       Dass Anwohner nicht glücklich sind, wenn bei ihnen in der Straße gedreht
       wird, das kommt vor, kann aber vor Ort meistens friedlich geregelt werden.
       Schließlich guckt ja fast jeder Kino und Fernsehen und findet so eine
       Arbeit an einem Film auch ganz spannend.
       
       Also muss man manchmal regelrecht um eine Location ringen? 
       
       Durchaus. Bei der BVG etwa ist es auch schwierig. Die Filmleute wollen
       natürlich immer die Welt anhalten und dass sich alles nur noch um ihren
       Film dreht, sie träumen oft davon, eine ganze U-Bahn für sich alleine zu
       haben. Das passt dann nicht mit dem alltäglichen Bedarf der
       Personenbeförderung zusammen. Ein wenig kann ich das auch verstehen. Man
       sucht dann nach Lösungen. An bestimmten Berliner Bahnhöfen gibt es tote
       Gleise und da kann man dann eine U-Bahn hinstellen, in der man nach
       Belieben drehen kann.
       
       Und wie ist das mit anderen Behörden und Betrieben? 
       
       Ganz toll ist die Charité. Die haben extra Mitarbeiter, die für die
       Betreuung von Filmteams zuständig sind. Schulen dagegen sind ein
       schwieriges Thema. Direktoren neigen dazu, einen Dreh zu erlauben, der den
       Schulalltag nicht groß stört. Aber oft hat die Schulaufsicht etwas dagegen.
       Früher durfte man auch bei der Polizei drehen, heute nicht mehr. Die
       Polizei argumentiert, sie habe nicht genügend Personal, um einen Dreh in
       einer Polizeidienststelle zu betreuen.
       
       Wo spielen denn dann die ganzen „Tatorte“ und „Polizeirufe“? 
       
       In leer stehenden Büros, die entsprechend eingerichtet werden. Aber auch
       der Leerstand wird immer knapper in Berlin. Deswegen gibt es immer mehr
       unbewohnte Wohnungen, die nur für Filmdrehs zur Verfügung stehen.
       
       Wer seine Location beim Film unterbringt, bekommt dafür richtig Geld? 
       
       Ich sag mal so: Mit normaler Arbeit verdient man nicht so viel, wie wenn
       man seine Wohnung eine Weile für den Film zur Verfügung stellt. Finanziell
       ist das sehr lohnenswert.
       
       Muss man immer Örtlichkeiten finden, bei denen jeder sofort weiß: Aha, die
       Handlung spielt in Berlin? 
       
       Nicht nur. Man dreht in Berlin oft auch etwas, das eben nicht nach Berlin
       aussehen soll. Ich habe erst neulich einen Drehort gesucht für einen Film,
       der eigentlich in den sechziger Jahren in Nordrhein-Westfalen spielt. Wegen
       Maßgaben der Filmförderung mussten einige Szenen dafür in Berlin gedreht
       werden. Die Wohnung in Berlin sollte dann nach Ruhrpott wie vor 50 Jahren
       aussehen und wenn man aus dem Fenster blickte, durfte man natürlich nicht
       gleich den Fernsehturm sehen.
       
       Bei welchen Filmen, an denen Sie zuletzt mitgewirkt haben, hat sich Ihre
       Arbeit so richtig gelohnt? 
       
       Was mir da persönlich zuletzt visuell am besten gefallen hat, war die
       sechsteilige Serie „Tempel“ 2016, die letztes Jahr bei ZDF Neo lief.
       Richtig spannend waren auch die Hochhausghettowelten, die in Gropiusstadt
       in Szene gesetzt wurden für den Film „Tigermilch“, der im August ins Kino
       kommt.
       
       Berliner neigen oft dazu, kaum aus dem eigenen Kiez rauszukommen. Ein
       Kreuzberger war vielleicht schon in Paris, aber noch nie in
       Oberschöneweide. Haben Sie denn einen besseren Überblick? 
       
       Ich schaue mir schon mal am Vormittag Villen in Dahlem an und nachmittags
       fahre ich nach Gropiusstadt und begutachte Hochhaussiedlungen. Dieser
       Kontrast innerhalb einer Stadt ist für mich spannend. Und ich kann viele
       Orte besichtigen, die anderen verschlossen bleiben: eine Spielerkabine im
       Olympiastadion, einen Operationssaal in der Charité oder den Tresor einer
       Bank. Auch ist es reizvoll, die unterschiedlichen Lebenswelten zu sehen.
       Den bewohnten Bauwagen, die Sozialwohnung, das romantische Haus am See, das
       Loft oder die Millionärsvilla. Bei Berliner Villen fällt übrigens oft eines
       auf.
       
       Und zwar? 
       
       Es gibt tolle Villen in dieser Stadt. Mich wundert aber oft, wie Leute, die
       so ein tolles Haus haben, geschmacklich so wenig in die Einrichtung
       investieren. Da passt dann nichts zusammen. Wenn ein Villenbesitzer Glück
       hat und sein Haus für Dreharbeiten zur Verfügung stellt, wird ihm die
       Wohnung neu eingerichtet von einem Szenenbildner, der im Normalfall sehr
       geschmackssicher ist, und dann kann der Besitzer der Villa nach den
       Dreharbeiten einfach sagen: Lasst das doch bitte einfach so.
       
       5 Jul 2017
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Andreas Hartmann
       
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