# taz.de -- Kolumne Immer bereit: Der blanke Horror
       
       > Brennnesseln und Farne überwuchern alles. Engelstrompeten verspeisen
       > Fischreiher: Der andauernde Regen macht einen ja kirre.
       
 (IMG) Bild: Wann wird's mal wieder richtig Sommer?
       
       Es regnet. Die Brennnesselstauden in unserer Straße haben längst die Bäume
       unter sich begraben. Farnwurzeln haben das Pflaster gesprengt. Unsere
       Balkontür wurde aus Sicherheitsgründen versiegelt, seit wir mitansehen
       mussten, wie die Engelstrompete einen Fischreiher verspeiste, der vom Sturm
       in die Ranken des wilden Weins geweht worden war.
       
       Als ich das letzte Mal draußen war, bin ich nachts in Regenhose und -jacke
       mit dem Rad gegen den Wind unter wogenden Baumkronen die Schönhauser
       entlanggestrampelt und dachte an Ödön von Horváth, den
       österreichisch-ungarischen Schriftsteller, der im zarten Alter von 36
       Jahren auf der Champs-Élysées von einem herabstürzenden Ast erschlagen
       wurde. Nachdem er sein Leben lang Angst vor jeglicher Art von Unfällen
       hatte!
       
       Nebenbei hörte ich „Es“ von Stephen King über Kopfhörer, wo aller Schrecken
       mit dem Regen beginnt, genauer „mit einem Boot aus Zeitungspapier, das
       einen vom Regen überfluteten Rinnstein entlangtrieb“. Nie wurde der Ekel
       vor dem Nassen, Ursprünglichen, vor der Natur selbst eindringlicher
       dargestellt; der Horror vor dem Unbewussten, das in diesem Fall tatsächlich
       ein – vom Deutschen ins Englische mit subconscious übersetztes (weil es
       unconscious schon gab, was nämlich ohnmächtig heißt) und von dort so gerne
       falsch ins Deutsche rückübertragenes – Unterbewusstes ist; ein
       Untendrunter, unter der Hose, unter der Oberfläche, in der Kanalisation.
       
       Außerdem ist „Es“ eine Kindergeschichte über Freundschaft und
       Erwachsenwerden. Fast wie Harry Potter, dessen erster Band vor 20 Jahren
       auf Englisch erschien.
       
       Mein Tagebuch von 1997 ist so schrecklich, dagegen ist „Es“ wie „Wir Kinder
       aus Bullerbü“.
       
       ## „Ihnen hängt da was aus der Hose“
       
       Eine Frage drängt sich mir auf: Wo sind eigentlich all die Exhibitionisten
       hin, von denen es in den 1990ern in Prenzlauer Berg nur so wimmelte? Eine
       völlig unrepräsentative Umfrage unter meinen Freunden ergab, dass die
       Prenzlauer-Bergerinnen tatsächlich ganz vorne lagen bei der Anzahl der
       erigierten Penisse, die sie in ihrer Kindheit und Jugend unfreiwillig zu
       Gesicht bekommen hatten.
       
       „In jeder S-Bahn drückte sich an der Tür irgendein Typ im langen Mantel
       rum“, bestätigte Frieda. Und jede von uns hatte am Ende einen Spruch parat,
       um den Übergriffen zu kontern. Meiner war: „Ihnen hängt da was aus der
       Hose.“ Irgendwann wurden Überwachungskameras in öffentlichen
       Verkehrsmitteln eingeführt, dann hörte das auf.
       
       Meine Freundin Wiebke meinte, sie habe neulich mal einen auf der
       Verkehrsinsel an der Kreuzung Eberswalder Straße gesehen. Am helllichten
       Tag.
       
       Bestimmt stand er mit einem Bein in einem Gully.
       
       30 Jul 2017
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Lea Streisand
       
       ## TAGS
       
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