# taz.de -- Simon Strauß’ Roman „Sieben Nächte“: Literarischer Versicherungsmakler
       
       > Ecken und Kanten fehlen in „Sieben Nächte“. Simon Strauß probiert es mit
       > Herablassung – doch dafür fehlt ihm der Sinn fürs Komische.
       
 (IMG) Bild: Autor Simon Strauß im Februar 2017
       
       „Sieben Nächte“ heißt das literarische Debüt des FAZ-Redakteurs Simon
       Strauß, das seinen Protagonisten auf eine existenzielle Expedition schickt.
       Es gilt, den Bereich des Wohlbekannten zu überschreiten und sich dem Sog
       des Erlebens auszusetzen. Der Erzähler, der stark autobiografische Züge
       trägt, stürzt sich wagemutig am Hochseil von einem Gebäude, verbringt zur
       Abwechslung mal einen ganzen Tag zu Hause, schlägt sich in einem
       Edelrestaurant den Bauch voll, setzt und gewinnt Geld bei Pferdewetten,
       besucht einen Maskenball, beneidet die Alten um ihr Verhältnis zur
       Bibliothek und kämpft gegen die Wut an, die während einer Autofahrt in ihm
       aufsteigt.
       
       Strauß versucht sich damit an einer zeitgenössischen Annäherung an die Idee
       der sieben Todsünden, zumindest gibt sie dem Buch seine Struktur und hält
       all diese Begebenheiten als Klammer zusammen: Hochmut, Völlerei, Faulheit,
       Habgier, Neid, Wollust, Jähzorn.
       
       Die Sündenthematik bildet lediglich den Hintergrund, vor dem Strauß
       sondiert, wie man heute, inmitten der Saturiertheit, leben, denken und
       schreiben kann. Die Existenz verkümmert. Was nach der materiellen
       Absicherung bleibt, ist Selbstekel und Überdruss. Ennui darf nicht
       langweilig sein. Das war aber schon bei Ronja von Rönnes Debütroman der
       Fall und damit ein Problem, bei Simon Strauß’ „Sieben Nächten“ ist es nicht
       anders.
       
       Woher kommt dieser Intensitätsmangel? Woher diese Unfähigkeit, sich
       Leidenschaft ins Leben zu spritzen? Man sollte jede Gelegenheit nutzen,
       sich von Freunden im LSD-Rausch verprügeln zu lassen. Einfach mal mit
       Jürgen Kaube acht Schnitzel verdrücken. Oder mit der eigenen Oma abstürzen.
       Strauß begnügt sich damit, in seinen FAZ-Artikeln rumzujammern: Der Martin
       Schulz hat uns die „Stahlgewitter“ weggenommen, Papa.
       
       ## Wortreich verneinen
       
       Der vom Autor zur Schau gestellte Wille zur Erneuerung wird beständig von
       der Sprache unterlaufen, die ihm kein Verbündeter ist, sondern ihn
       fortwährend auf jene Vorgestanztheit zurückwirft, der er doch entkommen
       will. Da ist von der Reibung die Rede, die einem fehlt, von Ecken und
       Kanten, die es bräuchte, vom Segeln in den Sonnenaufgang, vom Mut zur
       großen Erzählung, von der Notwendigkeit, mehr Gedichte zu lesen, um den
       Horizont zu erweitern. Schreibt so jemand, „der nicht das nachmacht, was
       andere ihm vormachen, der selbst seinen Ton findet“? Der Autor stellt sich
       diese Frage und muss wortreich verneinen.
       
       Selbst wenn das Neue ihn auf der Straße gewaltsam überwältigte, würde er
       die Szene im eigenen Text als Kostümdrama zur Aufführung bringen. Der
       Zugriff auf Klassiker möchte als wissender Wink verstanden werden, als
       schöpferische Entwendung. „Souverän ist, wer über die stärkste Phantasie
       verfügt.“ So kann man Carl Schmitt auch entwaffnen: durch Strafversetzung
       in den Kindergarten.
       
       Dabei ist Stellung zu beziehen für Strauß erste Bürgerpflicht. Im Vergleich
       zu den jüngeren Fahnenträgern der politischen Wut nehmen sich seine
       Einlassungen jedoch seltsam fahrig und ziellos aus. Niemand verkörpert „The
       New Rude“ derzeit besser als Grey Anderson, der in seinen spannenden
       Artikeln für n+1 und Foreign Policy für die liberale Mitte nur klugen Spott
       und analytische Abscheu übrig hat. Die Konservativen senden stattdessen die
       Opas an die Medienfront, die sich dort nochmal als Agora-Hools austoben
       dürfen.
       
       Strauß probiert es mit Herablassung, doch dafür fehlt ihm der Sinn fürs
       Komische, stattdessen wird der Leser mit Witzigkeit und Einwürfen zur
       Bierflasche, „jedes Deutschen Glückes Unterpfand“, traktiert. Wo rechtes
       Denken einst Minen fabrizierte, die lautlos explodieren, spezialisiert man
       sich mittlerweile auf Pointen, die nicht zünden.
       
       ## Der Drang ist unbändig
       
       Der Drang ist unbändig, die Mittel gering, der inhaltliche Offenbarungseid
       dadurch nicht zu vermeiden: Strauß hat erschreckend wenig zu sagen. Dass er
       Banalitäten dann tatsächlich als Selbstgedachtes, als zur Sentenz
       komprimiertes Resultat geistiger Aktivität präsentiert – „Die Bibliothek,
       das ist ein Hort der Vielstimmigkeit“ –, gehört zu den wiederkehrenden
       Ärgernissen dieses Buches.
       
       Strauß hingegen wittert eine Verschwörung gegen die Emphase, die es
       erforderlich mache, sich „schützend vor das Pathos des anderen“ zu stellen.
       Das Problem sind nicht die gewaltigen Passionen, die hier aufgerufen
       werden, sondern die Empfindsamkeit aus zweiter Hand, die abgestandenen
       Affekte, die Strauß mobilisiert, um ihnen gerecht zu werden und sie zu
       kanalisieren.
       
       Die geschwätzige Gedankenarmut macht das formale Gerüst der sieben
       Todsünden nicht zur Stütze des Textes, sondern zu einem Kerker, aus dem
       sich Strauß auch dann nicht zu befreien vermag, wenn er sich und dem Leser
       eingesteht, dass dieses kleinformatige Buch und die Intensitäten, die es
       heraufbeschwört, gleich mehrere Nummern zu groß für den Autor sind und er
       sich gerade deshalb an ihnen abarbeitet. Um ein anderes Leben geht es in
       Wirklichkeit nicht, viel eher schon um ein wenig Aufschub, der jedoch, das
       wird immer wieder deutlich und im letzten Kapitel noch einmal haarklein
       erläutert, vom Ende her gedacht wird, als Teil eines handelsüblichen
       Bildungsromans, in den er sich später einfügen wird. „Ich habe gesehen, was
       es heißt zu reifen.“
       
       Dass Strauß den Einsatz, das, was auf dem Spiel stand, letztlich wieder
       kleinredet, es einem Bekannten überlässt, das gesamte Unterfangen für
       gescheitert zu erklären, mag als konsequente Geste gelten. Ich wurde indes
       den Eindruck nicht los, dass hier einmal mehr auf Sicherheit gespielt
       wurde, der Autor als literarischer Versicherungsmakler in eigener Sache
       auftritt, sich für alle Eventualitäten wappnet.
       
       Auch deshalb ist Strauß ein Jungautor, wie ihn sich Literaturkritiker um
       die 50 wünschen. Im Wettstreit der Generationenbücher übergibt ihm Florian
       Illies höchstselbst den Staffelstab und findet sogar noch Zeit, dem
       Nachfolger auf die Schulter zu klopfen. Der Spiegel ruft umgehend eine
       dynastische Wende in der deutschen Gegenwartsliteratur aus: Autorenkinder
       an die Macht! Was kann da schon schiefgehen?
       
       11 Aug 2017
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Danilo Scholz
       
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