# taz.de -- Kopftuchverbot an Schulen: Berlin für Grundsatzentscheidung
       
       > Die Schulsenatorin engagiert Seyran Ateş, um das Kopftuchverbot für
       > Berliner Lehrerinnen zu retten. Die Anwältin ist unter Muslimen
       > umstritten.
       
 (IMG) Bild: Betet sie dafür, dass das Kopftuch-Verbot bleibt? Seyran Ateş
       
       BERLIN taz | Dass ausgerechnet die Anwältin Seyran Ateş jetzt vom Land
       Berlin beauftragt wurde, Berlins Kopftuchverbot für Lehrerinnen vor Gericht
       zu verteidigen, sorgt für Kritik. Die aufgrund ihrer islamkritischen
       Haltung bekannte 54-jährige Publizistin hat erst kürzlich einen Gebetsraum
       eröffnet, in dem Männer und Frauen gemeinsam beten. Sie selbst bezeichnet
       sich neuerdings als „Imamin“ und fordert zugleich eine Reform des Islam.
       
       Berlins Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD) setzt auf Ateş, um Berlins
       umstrittenes „Neutralitätsgesetz“ zu retten, und lobte ausdrücklich deren
       Haltung „hinsichtlich religiöser Fragen“. Zudem stehe die Publizistin „für
       ein tolerantes Miteinander über die Religionsgrenzen in unserer Stadt
       hinaus“, betonte die Senatorin.
       
       Das sehen nicht alle so, denn Ateş ist unter Muslimen umstritten. Burhan
       Kesici, der Vorsitzende des Islamrats, nennt die Personalie „unsensibel“.
       Und Fereshta Ludin, die vor vielen Jahren als erste muslimische Lehrerin
       vor das Bundesverfassungsericht zog, weil sie in Baden-Württemberg mit
       Kopftuch unterrichten wollte, und damit eine bundesweite Kopftuch-Debatte
       auslöste, empörte sich: „Die SPD wähle ich bestimmt nicht mehr“, schrieb
       sie auf Facebook.
       
       ## Senat ergreift Partei in religiöser Frage
       
       „Das Land Berlin will sich anscheinend in Religionsinterpretationen üben“,
       wundert sich Zeynep Çetin vom Berliner „Netzwerk gegen Diskriminierung und
       Islamfeindlichkeit“. Es sei nicht Sache des Berliner Senats, zu
       entscheiden, welche religiöse Lesart richtig sei, oder sich auf eine Seite
       zu schlagen. Das habe mit staatlicher Neutralität nichts zu tun. Das
       Bundesverfassungsgericht habe klargemacht, dass Lehrerinnen nicht aufgrund
       ihres Kopftuchs benachteiligt werden dürften. Ihr Verband hat seit 2010
       mehrere Lehrerinnen, die aufgrund ihres Kopftuchs diskriminiert wurden,
       juristisch unterstützt.
       
       Die Hauptstadt Berlin ist das einzige Bundesland, das seinen Lehrerinnen
       und Lehrern, Polizisten und Juristen das Tragen jeglicher religiöser
       Symbole untersagt und an einem strikten Kopftuchverbot festhält. Das
       Bundesverfassungsgericht hält ein generelles Kopftuchverbot allerdings nur
       für gerechtfertigt, wenn der Schulfrieden konkret gefährdet ist, wie es
       schon vor zwei Jahren urteilte. Die meisten Bundesländer haben ihre
       Kopftuch-Verbote seither gelockert, Lehrerinnen können dort auch mit
       religiös motivierter Kopfbedeckung unterrichten.
       
       Nur Berlin bleibt eisern. Zuletzt hatte es deshalb eine zunehmende Zahl von
       Gerichtsverfahren gegeben. Das Land Berlin lässt sich seine harte Linie
       etwas kosten: Im Februar sprach das Landesarbeitsgericht einer Lehrerin,
       die wegen ihres Kopftuches an Grundschulen abgelehnt worden war, erstmals
       eine Entschädigung von 8.680 Euro zu. Einer anderen Klägerin, die aufgrund
       ihres Kopftuchs als Quereinsteigerin an einem Gymnasium abgelehnt worden
       war, musste das Land Berlin Ende Juni eine Entschädigung in Höhe von 6.915
       Euro zahlen.
       
       ## Erstes Urteil für Januar 2018 erwartet
       
       Das Land strebt jetzt eine Grundsatzentscheidung an. Unter Umständen sei
       man bereit, bis zum Bundesverfassungsgericht und zum Europäischen
       Gerichtshof zu gehen, kündigte Seyran Ateş an.
       
       Im aktuellen Fall hat eine bereits angestellte muslimische Lehrerin dagegen
       geklagt, dass sie aufgrund ihres Kopftuchs von einer Grundschule an eine
       Berufsschule versetzt worden war. An Berufsschulen wird auch in Berlin eine
       Ausnahme vom Kopftuch-Verbot für Lehrerinnen gemacht.
       
       Beim Gerichtstermin am vergangenen Donnerstag gab es keine gütliche
       Einigung, nun wird der Prozess fortgesetzt. Ein erstes Urteil dazu wird für
       den Januar 2018 erwartet. Die Arbeitsrichterin machte bei der
       Güteverhandlung am Donnerstag allerdings schon deutlich, dass sie von einer
       Diskriminierung der Lehrerin ausgeht.
       
       21 Aug 2017
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Daniel Bax
       
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