# taz.de -- Prominenz in Osnabrück: Besuch von Dalí, Lindenberg und Björk
       
       > Kunst braucht Demokratisierung: Die italienische Street-Art-Künstlerin
       > Roxy in the box konfrontiert das Osnabrücker Rosenplatzviertel mit
       > fremden Welten
       
 (IMG) Bild: Künstlerin Rosaria Bosso, alias Roxy in the box, posiert mit Eva & Adele
       
       OSNABRÜCK taz | Ein bisschen Tapetenkleister, dann ist es getan: Sängerin
       Björk wartet in Osnabrück auf den Bus, am Rosenplatz, Linie 41 Richtung
       Düstrup. Wer sich auf die Bank im Wartehäuschen setzt, sitzt direkt neben
       ihr. Okay, Björk ist in anarchisches Nachtschwarz getaucht und klebt, als
       Cut-out aus Acryl und Papier, auf einer Mauer. Aber lebendiger könnte sie
       nicht sein.
       
       Street-Art-Künstlerin Rosaria Bosso aus Neapel, alias Roxy in the box,
       rollt ihre Luftkammerfolie ein, verstaut Klebeband und Stift. Ihr nächstes
       Ziel ist die stahlgraue Fassade der städtischen Musik- und Kunstschule am
       Johannistorwall, nur ein paar Gehminuten von hier. Da kommt das
       Performance-Duo Eva & Adele hin. Genauso lebensgroß wie Björk, allerdings
       mit viel Pink.
       
       Pop-Art als prozesshafte Quartierserkundung, als Kommunikationsangebot an
       die Bewohner. Bild ausrollen, Leim drauf, fertig. „Und? Passt so? Oder
       weiter nach links?“, fragt Roxy. Punkig wirkt sie, guerillahaft. Aber das
       ist keine Attitüde.
       
       Neben jedem Cut-out klebt ein QR-Code. Wer will, kann vor Björk oder vor
       Eva & Adele oder vor all den anderen – von Frida Kahlo bis Yoko Ono, von
       Joseph Beuys bis Marina Abramović – ein Selfie machen, ein Video drehen,
       einen Kommentar einsprechen – und hochladen, zur Kunsthalle Osnabrück, auf
       deren Einladung hin Roxys „Interventionen“ entstehen. Gleichzeitig öffnet
       der Code Wissenswertes zu den Ikonen der Kunstwelt, die hier in unseren
       Alltag einsickern.
       
       Einen Monat lang ist Roxy in the box im Osnabrücker Rosenplatzviertel
       unterwegs, bis Ende August. Fünfzehn Stationen sind geplant, der
       öffentliche Raum als temporäre Ausstellungsfläche. In den urtümlichen,
       sozial nicht unproblematischen, eher kulturfernen Quartieri Spagnoli in
       Neapel, in denen sie lebt, hat sie es genauso gemacht: Bild ausrollen, Leim
       drauf, Häuserwand, fertig. Das senkt Hemmschwellen, baut Berührungsängste
       ab.
       
       Julia Draganović, Leiterin der Kunsthalle Osnabrück, war früher lange als
       Kuratorin in Neapel, daher der Kontakt zu Roxy in the box: „Roxy nimmt der
       zeitgenössischen Kunst das Stigma, dass man Experte sein muss, um sich ihr
       zu nähern.“ Die Künstlerin meint dazu: „Auf die Menschen zugehen, nicht
       zurückscheuen vor neuen Erfahrungen, das ist doch das Wichtigste, für alle
       von uns. So viele Kulturen durchmischen sich heute, überall – darin steckt
       eine ungeheure Chance.“ Pause. Nachdenklicher Zug an der Zigarette. „Viele
       von uns begnügen sich mit einer sehr kleinen Welt. Aber man kann da raus.“
       
       Raus aus der Eingefahrenheit. Wie gut das tut, hat Roxy in the box sich
       bewiesen, als sie 18 war. „Da habe ich meinen Namen geändert: Nennt mich ab
       jetzt Roxy!“ Und die Box? „Das kam durch einen Job bei einer
       Telefongesellschaft, da saß jeder von uns in so einer kleinen Bürobox“,
       sagt sie. „Und da hieß es dann immer: Wo ist Roxy? Antwort: In der Box!“
       Natürlich gibt es auch noch eine übertragene Bedeutung – wie für alles bei
       Roxy: „Kein eingeengtes Denken zulassen. Entdecken, was außerhalb deiner
       Grenzen liegt.“
       
       Roxy in the box – unter diesem Namen hat sie Videos gedreht, fotografiert,
       performt, Installationen gebaut. Hat gemalt – oft schrill, extrem bunt,
       comicartig. Hat zu Themen wie Spiritualität oder Gewalt gegen Frauen
       gearbeitet. Hat 2013 für das Projekt „Save the icon“ fünf Monate lang wie
       Elvis gelebt. 2016 hat sie – als Dolce & Gabbana ein Juliwochenende lang
       Neapel für ihre 30-Jahres-Feier zu einem Laufsteg des Luxus und Glamours
       machten – als Kontrast Bilder von Celebrities an die Häuser gemalt, die
       Alltägliches tun: Isabella Rossellini mit einem Brotkorb, Naomi Campbell
       beim Saubermachen.
       
       Und nun eben ihre Cut-outs von Kunst-Ikonen. An Orten, an denen niemand
       Kunst erwartet. Ihr Credo: „Retten wir die Ikone, bewahren wir die
       historische Bedeutung hinter ihr, retten wir unsere Geschichte und dadurch
       vielleicht unseren Planeten, auf dem uns alles immer schneller entgleitet.“
       
       An der Iburger Straße, neben dem Eingang zum Osna Grill, ist
       Graffiti-Künstler Jean-Michel Basquiat zu sehen. Auch er eine solche Ikone.
       Karola Siol hat im Osna Grill gerade zwei Currywürste serviert. Jetzt
       wendet sie Frikadellen: „Ist eigentlich nicht so meine Welt, Kunst und all
       das. Aber ist schon mal interessant. Die Leute bleiben stehen,
       fotografieren. Einige kommen auch rein und fragen.“
       
       Auf einer mit Graffiti besprayten Häuserwand, ein bisschen die Straße
       runter, kleben Udo Lindenberg und Albrecht Dürer. Kuratorin Draganović
       erklärt: „Lindenberg haben die Leute natürlich erkannt. Aber bei Dürer
       wurde es lustig. Das reichte dann von Jesus und Sophia Loren bis Conchita
       Wurst.“
       
       Aber das macht nichts. Genau dieser niedrigschwellige Austausch ist Sinn
       der Sache. In den Quartieri Spagnoli lief das ähnlich. „Ich habe dann oft
       die Lebensgeschichte der Dargestellten erzählt und die Passanten erzählten
       mir im Gegenzug ihre eigene“, sagt Roxy.
       
       Das Rosenplatzviertel bildet zu den Quartieri Spagnoli eine Parallele.
       Beides sind Problemzonen. Zwar wurde der Rosenplatz bis 2016 aus Mitteln
       von Stadt, Land, Bund und EU saniert, 15 Jahre lang, im Rahmen des
       Förderprogramms „Soziale Stadt“. Aber nach wie vor machen Gutverdienende
       und Akademiker einen Bogen um das Viertel, hingegen ballen sich
       Alleinerziehende, Arbeitslose, Alte, Migranten. Rosenplatz? Trotz des
       Namens duftet es hier höchstens nach Abgasen. Und dass der Beton der Straße
       in einem Rotton gefärbt ist, hilft auch nicht viel. Wer hier wohnt, sieht
       in der Regel nie ein Museum von innen. „Mein Ziel“, sagt Roxy, „ist eine
       Demokratisierung der Kunst.“ Das ist ihr Anspruch, seit sie vor 20 Jahren
       zu malen begann.
       
       Osnabrück, nach Neapel die zweite Station ihrer Cut-outs, ist also eine Art
       Laborversuch für die Künstlerin. Unter dem Titel „in & out“ ist Roxy in the
       box Teil des Vermittlungsprogramms „Die Rakete“ der Kunsthalle Osnabrück.
       Und ihre Mission hat mehrere „Zündstufen“. Nummer 1: „in goes out“ – Roxys
       Interaktions-Aktionen im Viertel, auch mit Schülern, auch auf dem
       Rosenplatzfest Mitte August. Nummer 2: „out comes in“ – am 26. August, zur
       17. Osnabrücker Kulturnacht, sind alle Selfies, Videos und Kommentare der
       Bewohner als Sample in der Kunsthalle zu sehen. Nummer 3: „will be
       continued“ – die Ausstellung fordert auf, das Rosenplatzquartier neu zu
       entdecken.
       
       Heute ist Roxy ganz in Schwarz: Schuhe (na gut, weiße Sohlen und
       Schnürsenkel), Leggins, Kleid, Jacke, Tasche, Kopftuch (na gut, mit weißen
       Totenköpfen). Aber das ist kein Schwarz wie es Johnny Cash trug: „Till
       things are brighter, I’m the man in black.“ Roxy lächelt. Hintergründig,
       fragend. Das tut sie gern. „Ich mag Farben. Meine Farben bekleiden mein
       Schwarz.“
       
       Spontaneität teilt sich mit und Reflexion, Sensibilität und Toughness. „Ich
       sehe vieles kritisch, das stimmt. Auch hier im Rosenplatzviertel. Es wirkt
       sehr kalt auf mich. Fast keine Orte, an denen Menschen sich aufhalten
       können, einfach draußen sein, miteinander reden. Aber ich kritisiere nicht.
       Ich beobachte, mache aufmerksam.“ Das Ristorante und Eiscafé Da Paolo,
       direkt am Platz, auf dem nur wenig rosig ist, ist die einzige Ausnahme.
       Cappuccino kommt, Wasser, Eis. „Ein bisschen wie zu Hause“, sagt Roxy.
       
       An der Hausecke der Asna-Apotheke, nur einen kleinen Block weit entfernt,
       beobachtet Salvador Dalí den vorbeidröhnenden Verkehr. Apotheker Karl-Bernd
       Frerker sagt: „Das Konzept hat mich sofort überzeugt. Toll fürs Viertel.
       Öffnet die Augen, bringt Menschen in Kommunikation. Spannend. Und eine
       witzige Künstlerin.“ Seine eigenen Schaufenster, fraglos die lustigsten der
       Stadt, sind fast Kunst. Im Moment sind hier Bierkisten gestapelt, viele
       Dutzend, von Veltins bis Becks: „Gesundheit ist unser Bier!!!“
       
       Und was, wenn Leute die Promis mitnehmen? Sprayer was drübertaggen?
       Dauerregen das Papier aufweicht? Roxy ist entspannt: „Macht nichts. Ist
       eben Street-Art.“ Und dann erzählt sie von diesem türkischen Supermarkt
       nicht weit von hier, an den Andy Warhol kommt und dass bald die ersten „in
       & out“-T-Shirts aus der Druckerei kommen. Und wie vielsagend es ist, wenn
       Passanten sich in Pose stellen – zu Promis, die sich in Pose gestellt
       haben. Sie selbst posiert übrigens auch – vor ihren Arbeiten.
       
       Und nach Ende August? Eva & Adele bleiben, eine Plexiglasscheibe kommt
       darüber. Und bei Dalí, Lindenberg, Björk und den anderen dürfen die
       Hausbesitzer über den Fortbestand entscheiden.
       
       Ausstellung im Rosenplatzquartier in Osnabrück: bis 26.8.; in der
       Kunsthalle Osnabrück: 26.8.-22.10., Hasenplatz 1.
       
       8 Aug 2017
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Harff-Peter Schönherr
       
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