# taz.de -- Der Kürbis und der Herbst: Eigentlich bloß Dämmstoff
       
       > Kürbislasagne, Kürbisauflauf, Kürbismus, Halloween – der Kürbis ist die
       > Geißel des Herbstes. Dabei hat er gar nicht viel zu bieten.
       
 (IMG) Bild: Wahnsinn!
       
       Das Klima mag sich wandeln und das Wetter verrückt spielen, aber eines ist
       doch sicher: Liegt der Kürbis im Schaufenster, steht der Herbst vor der
       Tür. Oder so: Köchelt die Kürbissuppe im Topf, fallen die Blätter vom Baum.
       Oder noch anders: Wenn die Blätter vom Baum fallen, raschelt es im
       Papierwald, und zwar gewaltig. Die Zeit nämlich, in der sich angeblich
       „alles um den Kürbis dreht“, ist angebrochen, mit „Rezepten, die Sie
       unbedingt probieren müssen“.
       
       Kürbislasagne. Kürbisbowle. Kürbisauflauf mit Kartoffel und Hühnchen.
       Low-Carb-Kürbisfrittata und glutenfreies Kürbismus. Kürbismarmeladen,
       -waffeln und -kuchen. Kürbisbrot. Kürbisquiche. Kürbis süß-sauer.
       Fermentierter Kürbis.
       
       Reicht es Ihnen schon?
       
       Kürbisgelee mit Orange. Im Ofen gebackener Butternusskürbis.
       Kürbisfrikadellen, Kürbiscrostini mit Apfel-Lauch-Pesto,
       Kürbis-Kräuter-Stampf, Kürbischutney, Puten-Kürbis-Pie, Kürbisrisotto mit
       Pilzen, Leck-mich-am-Arsch-Kürbis.
       
       ## Kürbisweitwurf
       
       Und dabei haben wir uns noch gar nicht mit den Kürbis-Events beschäftigt.
       Die sind zum Teil noch bekloppter als die Rezepte. Der wahnwitzige
       Kürbisweitwurf – eine Sportart aus der Kürbisherkunftsregion Nordamerika –
       freut sich längst großer Beliebtheit auch zwischen Wildegg und
       Gierath-Gubberath (Orte, die hier nicht nur aufgrund ihres drolligen Namens
       aufgelistet werden, sondern weil sie tatsächlich als Austragungsorte
       solcher Wettkämpfe auffällig geworden sind).
       
       „Punkin Chunkin“, so bezeichnet der US-Amerikaner dieses Schleudern von
       Kürbissen, bei dem in der Regel mechanische Hilfsmittel zur Anwendung
       kommen. Im Bundesstaat Delaware wird sogar eine Weltmeisterschaft
       ausgetragen, immer am ersten Wochenende nach Halloween. Der Rekord liegt
       bei rund 1.430 Metern. Dieses Jahr allerdings muss der Wettbewerb
       ausfallen: Die Veranstalter stecken in einem Rechtsstreit mit einer Frau,
       die 2016 verletzt wurde, weil sich ein großes Teil einer Kürbisschleuder
       beim Abschuss gelöst hatte.
       
       Ja, der gemeine Kürbis ist in der Regel Amerikaner, wie ein Blick in das
       Kürbislexikon belegt: Atlantic Gigant und Baby Bear, Baby Boo, Blute
       Ballet, Blue Hubbard, Mini Bottle, Mini Red Turban, Neck Pumpkin.
       
       Und so ahnt man, woher der Kürbis-Hype rührt, der vor einigen Jahren über
       uns kam. Halloween, das Kürbisevent schlechthin, hat längst das gute, alte
       „Rübengeistern“ verdrängt, bei dem im Herbst frisch geerntete Futter- und
       Zuckerrüben mit einem Löffel ausgehöhlt und mit einem Messer zu Fratzen
       verziert wurden.
       
       Andererseits kann man in einer ausgehöhlten Zuckerrübe nicht über einen See
       fahren. Warum man das tun wollte? Es gibt durchaus Menschen, die solche
       Fahrten in Kürbissen absolvieren. Einfach, weil Herbst ist.
       
       Im nordrhein-westfälischem Mechernich wurde die diesjährige „Kürbisregatta“
       bereits durchgeführt, wie der Kölner Stadt-Anzeiger berichtete. Die für die
       Regatta benötigten Kürbisboote wurden von dem Kürbis-Experten Udo Karkos
       mithilfe von Säge und Messer aus etwa 350 Kilo schweren Kürbissen
       hergestellt. Karkos hält übrigens nach eigener Auskunft den Weltrekord für
       die größte Halloween-Kürbis-Laterne: „Ich habe einen 1.190,5 Kilo Kürbis
       ausgehöhlt und mit 4.500 Lumen zum Leuchten gebracht“, zitiert ihn die
       Zeitung.
       
       ## Kürbisfestival
       
       Das Gewicht der Kürbisse beschäftigt die Menschen allerortens. 12.000
       Menschen kamen vergangenes Wochenende zum Ippenburger Herbstfestival, dort
       wurde die 13. Niedersächsische Kürbismeisterschaft ausgetragen. Der
       Siegerkürbis stammte auch in diesem Jahr aus Bösel im niedersächsischen
       Landkreis Cloppenburg und wog stolze 498,9 Kilogramm – groß genug für eine
       Skandinavienfähre.
       
       Beim Meeraner Kürbisfest – Meerane liegt im Nordwesten des Landkreises
       Zwickau, Sachsen – war vergangenes Wochenende auch schwer was los, wie die
       Chemnitzer Freie Presse berichtete. Hier ging es jedoch nicht um Gewicht,
       sondern um Kreativität: Prämiert wurden die am kreativsten gestalteten
       Kürbisse, unter den Gewinnern war die Kita „Regenbogen“, die für ihre bunt
       bemalten Kürbisse im Bollerwagen ausgezeichnet wurde. Sogar der örtliche
       Fleischer hatte sich ob des Kürbisfestes zu veganen Höhen aufgeschwungen
       und offerierte Kürbis-Roster, Kürbis-Beefsteak und Kürbis-Gemüsetaler.
       
       Wobei uns das weite Feld der Kürbiskulinarik nicht ablenken soll vom
       Unwesen des teilweise zum Verzehr gar nicht geeigneten sogenannten
       Zierkürbis. Besonders dieser, mal genoppt und mal gestreift, mal in Grün
       und mal in Orange, ist geeignet, uns allesamt in den sepiafarbenen
       herbstlichen Wahnsinn zu treiben. Er lauert überall, auf oder gar in der
       Fleischtheke, im Café, das ansonsten unser Vertrauen genießt, im Kuchen und
       auf dem Tisch.
       
       Bekannte, die über einen Garten verfügen, bringen einem das Zeug gleich
       tütenweise mit. Spätestens jetzt betritt man als gutgewillter Freund
       regionaler pflanzlicher Erzeugnisse abschüssiges Terrain. Denn wer jetzt
       nicht Obacht gibt, wird zur Desperate Housewife und marmoriert plötzlich
       pralle Zierkürbisse mit Wasserfarbe in den Trendfarben Mauve und
       Hibiskusrot. Oder klappert die Geschäfte nach Zieräpfeln und Heidekraut ab,
       um ein dekoratives Kürbis-Ensemble für den Esstisch zu zaubern.
       
       Ja, der Kürbis ist die Geißel des Herbstes, weil es einfach kein Entrinnen
       gibt. Kürbis im Herbst ist wie Spargel im Frühsommer und Dominosteine im
       Winter. Lebensmittel, die zu Verfolgern werden – obwohl gerade Dominostein
       und Kürbis eigentlich gar nicht viel zu bieten haben.
       
       Was ist eigentlich so interessant am Kürbis, dessen Fruchtfleisch über
       einen eher belanglosen Eigengeschmack verfügt. Leicht süßlich, breiig,
       muffig. Bei Licht betrachtet ist das Kürbisgewebe nichts anderes als eine
       farbige Trägersubstanz, die man mithilfe von allerlei Gewürz ordentlich
       pimpen muss, damit das Gericht auch schmeckt. Was wäre eine Kürbissuppe
       ohne den entscheidenden Ingwer?
       
       Zugegeben: Stellt man es richtig an – so wie die Italiener – und röstet den
       Kürbis, zerstampft ihn mit Thymian, Muskat und Parmesan zu einer Masse, die
       man hernach mit Nudelteig ummantelt, bekommt man etwas wirklich Feines.
       Cappellacci di Zucca nämlich.
       
       ## Kürbispop
       
       Auch dem Pop hat dieses Gemüse etwas geschenkt. Das Album „Mellon Collie
       and the Infinite Sadness“ von der amerikanischen Indie-Band The Smashing
       Pumpkins ist lobend zu erwähnen, wenn es im Allgemeinen um die Bedeutung
       des Kürbis geht. Ansonsten aber besinne man sich, frei nach Goethe, lieber
       auf des Kürbis’ Kern: Das Öl, das man in der Steiermark aus den Kernen des
       „Steirischen Ölkürbis“ gewinnt, ist etwas, das den Hype tatsächlich
       verdient. Auch im slowenischen Teil der Steiermark wird das kostbare Öl
       gewonnen und darf hier gemäß EU-Verordnung ausschließlich unter der
       Produktbezeichnung „Štajersko prekmursko bučno olje“ (Steirisches
       Kürbiskernöl jenseits der Mur) vermarktet werden.
       
       Von den Österreichern wird die dunkel schimmernde Substanz auch liebevoll
       als „Maschinenöl“ bezeichnet. Sie schmeckt vorzüglich, zum Beispiel im
       Salat. Und zwar das ganze Jahr über. Nicht nur im Herbst.
       
       Aber halt, stopp. Gerade ist noch eine Meldung reingekommen. „Manfred hat
       den Mega-Kürbis“ berichtet die Bild-Zeitung über Ex-Lokführer Manfred
       Rauch, 76, aus Reinheim. 550 Kilo!
       
       Wahnsinn.
       
       30 Sep 2017
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Martin Reichert
       
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