# taz.de -- Nachdenken über die „innere Uhr“: Wer nicht zur Ruhe kommt, tickt aus
       
       > Eule. Lerche. Morgenmuffel liebt Frühaufsteherin. Wie ticken wir? Einige
       > Gedanken zum Schlaf-Wach-Stress und der Frage, was er mit uns macht.
       
 (IMG) Bild: Und sie tickt und tickt und tickt
       
       Feiertage können einem auch auf die Nerven gehen. So wie der Tag der
       Einheit jetzt – huch schon wieder? Für Erwerbstätige ohne früh aufwachende
       und quengelnde Kinder ist es prinzipiell ja ganz nett, auch mal mitten in
       der Woche ausschlafen zu können. Andererseits kann sich das Lumpen in den
       Laken böse rächen: Je länger es am Dienstagvormittag dauert, desto
       mühseliger das Einschlafen am Dienstagabend, desto fieser das Aufstehen am
       Mittwochmorgen. Allzu leicht gerät die sprichwörtliche innere Uhr außer
       Takt.
       
       Manche werden schon durch einen einzigen Langstreckenflug aus ihrem
       persönlichen Zeitzonen-Rhythmus gekegelt, andere behaupten hartnäckig,
       unter der Umstellung von Sommer- auf Winterzeit schlimm zu leiden. Immer
       wieder kommt es auch zu unglücklichen Paarungen von Morgenmuffeln und
       Frühaufsteherinnen, von Eulen und Lerchen, die Folgen können verheerend
       sein: erst Schlaflabor, dann Scheidung.
       
       Auch deshalb ist es so erfreulich, dass der Nobelpreis für Medizin nun an
       drei Wissenschaftler geht, die die Mechanik der inneren Uhr intensiv
       erforschen: Die US-Amerikaner Jeffrey C. Hall, Michael Rosbash und Michael
       W. Young haben als Chronobiologen mit Fruchtfliegen experimentiert. Sie
       kamen dabei verschiedenen Proteinen auf die Spur, die den Schlaf- und
       Wach-Takt steuern, und das nicht nur bei besagten Insekten, sondern auch
       bei Pflanzen – und eben auch beim eitelsten und aufdringlichsten aller
       Lebewesen, dem Menschen.
       
       ## Noch keine App verfügbar
       
       Noch sind die Labor-Erkenntnisse nicht in eine anwenderinnenfreundliche App
       übersetzt, noch handelt es sich um Grundlagenforschung. Zur Bearbeitung und
       Überwindung des Krisenherds Schlaf muss man ohnehin auch noch andere
       Disziplinen heranziehen, etwa die Psychologie und die Soziologie. Und – die
       Ökonomie. Schuld am modernen Schlaf-Wach-Stress ist letztlich ja vor allem
       wieder einer: der Kapitalismus.
       
       Erst seit dem späten 18. Jahrhundert schielen wir ständig auf die Wand-,
       die Taschen-, die Stech-, die Armband- und unsere innere Uhr – und zwingen
       uns damit in die „Taktung der Produktion“, wie der Kulturwissenschaftler
       Patrick Eiden-Offe es aktuell in seinem erhellenden Band „Die Poesie der
       Klasse“ formuliert. Besonders übel ist jene Taktung für Menschen, die in
       Wechselschichten arbeiten (müssen), von Pflegekräften bis zu
       Flugkapitäninnen, vom Gastronomiepersonal bis zur Polizei. Unter der
       forcierten Flexibilisierung und mit zunehmender Gewöhnung an die
       24/7-Verfügbarkeit von Waren und Dienstleistungen wird ihre Zahl vermutlich
       eher steigen als sinken.
       
       Hierzulande ist fast jede vierte Frühverrentung eine Konsequenz
       langjähriger Schichtarbeit, heißt es beim Deutschen Gewerkschaftsbund DGB.
       ,,Die Wechselschicht ist ein Killer'‘, vermeldeten vor einigen Jahren
       britische Kollegen der nun ausgezeichneten amerikanischen Chronobiologen.
       Bluthochdruck, chronische Verdauungsprobleme, Herzkreislaufprobleme und ein
       höheres Unfallrisiko seien die Folgen, wenn dauerhaft gegen die eigene
       innere Uhr gelebt werde. Zusammengefasst: Wer nicht zur Ruhe kommt, tickt
       irgendwann aus.
       
       Einer der nun preisgekrönten Wissenschaftler, der 73-jährige Michel
       Rosbash, nahm den Anruf des schwedischen Nobel-Komitees an der US-Ostküste
       nach eigenen Angaben im Schlafanzug entgegen. Möge er seiner inneren Uhr
       treu folgen und sich von keinem Zeitunterschied aus der Ruhe bringen
       lassen. Möge er stets erholt und erfrischt weiter forschen.
       
       2 Oct 2017
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Katja Kullmann
       
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