# taz.de -- Neues Album von OMD: „Die Popkultur frisst ihre Geschichte“
       
       > Orchestral Manoeuvres In The Dark waren die Vorhut der 80er-Popmusik – in
       > einer Zeit, die zugleich reaktionär und zukunftsweisend war.
       
 (IMG) Bild: OMD repräsentieren die Ästhetik der Achtziger wie kaum eine andere Band
       
       Eins vielleicht vorweg: Andy McCluskey und Paul Humphreys haben’s immer
       noch drauf. Also nicht generell. Beziehungsweise auch generell. Aber ganz
       groß war die Band der beiden Briten – Orchestral Manoeuvres In The Dark
       (OMD) – vor allem darin, Stimmungsbilder zu erzeugen. Mit dahingeschnippten
       Synthies. Ultradickem Gesangspathos. Simplen Beats.
       
       Es sind Stimmungsbilder, die uns auch auf ihrem neuem, dem 13. Album der
       Band („The Punishment Of Luxury“) schlagartig das Blütejahrzehnt von OMD in
       Erinnerung rufen: die achtziger Jahre. In dem Song „As We Open, So We
       Close“ zum Beispiel: mit minimalistischem Keyboard, getragenem Gesang und
       ein paar Schlüsselwörtern, die fallen: „Veil of Sorrow, Washed Away /
       Bathed in Love, I’m New Today“. Ein Trauerschleier hier, ein Bad in der
       Liebe dort – und schon sind Glanz und Elend der Achtziger, ach was, des
       Seins, wieder da.
       
       OMD, das kann man sagen, waren einst die Vorhut der 80er-Popmusik. 1978 in
       Liverpool gegründet, landeten sie zwei Jahre später mit „Enola Gay“ (1980)
       europaweit einen Hit. „Enola Gay“ war wie der Prototyp eines
       New-Wave-Songs: Ein Lied, zu dem man fröhlich hopsen konnte und das
       zugleich tiefe Abgründe verhandelte; es ging darin um den Atombombenabwurf
       auf Hiroshima. Zu hören ist das Stück auf dem zweiten Album „Organisation“,
       das wie das selbst betitelte Debüt (beide 1980) und „Architecture &
       Morality“ (1981) heute zu Klassikern des Postpunk gehört. Nachdem sich die
       Wege des Duos Ende der Achtziger zunächst trennten und McCluskey OMD allein
       betrieb (ehe er die Band 1998 auflöste), spielen sie seit 2006 wieder in
       Originalbesetzung zusammen.
       
       ## Neue Klänge für den Pop
       
       Spricht man heute mit Sänger und Bassist Andy McCluskey über die Achtziger,
       so will er – wenig überraschend – nicht auf dieses Jahrzehnt reduziert
       werden. Und dennoch redet er gern über Hits wie „Maid Of Orleans“ (die
       bestverkaufte Single in Deutschland im Jahr 1981) oder eben „Enola Gay“:
       „Diese Songs waren sehr eingängig und melodisch, Millionen von Leuten
       mochten und kauften sie. Wir sind sehr stolz auf sie.
       
       Wir spielen sie auch immer noch live, sie sind Teil unserer Geschichte“,
       sagt der 58-Jährige während eines Interviews im Konferenzraum seines
       Plattenlabels in Berlin. McCluskey trägt schwarzes Hemd, lockige
       Kurzhaarfrisur. Der Haaransatz ist etwas nach hinten gerutscht, er sieht
       ein bisschen Elder-Statesman-mäßiger aus als zu der Zeit, als er bei „Top
       of the Pops“ oder „Peters Pop Show“ zu Gast war.
       
       McCluskey glaubt, OMD hätten damals eine neue Klangfarbe in den Pop
       gebracht: „Die Achtziger waren eigentlich nicht melancholisch – aber wir
       haben diese Melancholie ins Spiel gebracht. Das geschah nicht bewusst, es
       passierte einfach so. Es war auch der Kontrast zwischen menschlichen und
       maschinellen Elementen, der sich in unseren Songs widerspiegelte.“
       McCluskey erzählt vom großen Einfluss der Düsseldorfer Krautbands wie Neu!
       und Kraftwerk, der in Anfangstagen von OMD dominierte – und dem sie eine
       gehörige Portion Pop hinzugefügt haben.
       
       OMD repräsentieren somit die Ästhetik der Achtziger wie kaum eine andere
       Band. Denn die Dekade war, wenn man so will, ein bipolares Jahrzehnt, eines
       der Gegensätze. Mensch und Maschine, Beton und Plastik, Biedermeier und
       Boheme. Zehn Jahre, die sterbenslangweilig waren – und megaaufreibend.
       Politisch reaktionär, ästhetisch zukunftsweisend.
       
       ## Bomber und BSP
       
       Das erklärt, warum die Rückbesinnung auf die Zeit von Neonfarben und
       Ballonseide anhält: Bands wie Bananarama oder Erasure kehrten oder kehren
       zurück, und jüngere Stars wie Future Islands oder Robyn transformieren den
       Sound in die Gegenwart. Kein Wunder, dass auch OMD noch heute mittelgroße
       Hallen ausverkaufen.
       
       McCluskey weist darauf hin, dass 80er-Jahre-Musik ja viel mehr als nur der
       Mainstreampop dieser Zeit gewesen sei. Es habe doch etwa auch US-Hardcore,
       Jazz-Punk-Pop-Crossover und die Anfänge von House und Techno gegeben. Was
       aber die dominierenden Strömungen wie New Wave und New Romantic
       kennzeichnete, war, dass alles zu Pop gemacht wurde, alles Pop war. Der
       B-29-Bomber von Hiroshima, nach welchem „Enola Gay“ benannt ist, genauso
       wie das „Bruttosozialprodukt“ (Geier Sturzflug) und Pershing II.
       
       Politisch waren Pop- und Rocksongs vorher auch schon – nur waren nun die
       Authentizitätsbehauptungen des 70er-Jahre-Rock passé. Die Achtziger waren
       auch das Jahrzehnt, in dem Queerness und Camp in den Mainstream kamen – das
       kann man ebenfalls bei den frühen OMD beobachten (nicht umsonst lässt der
       Titel „Enola Gay“ auch eine sexuelle Konnotation zu).
       
       ## Keine Experimente
       
       Das Gute an OMD heute ist, dass sie sich nicht auf diesen Pionierstatus
       zurückziehen. Im Gegenteil, sie reflektieren auf „The Punishment Of Luxury“
       die „Retromania“ (Simon Reynolds) – also das Prinzip der Rückbesinnung – im
       Pop, zum Beispiel im Song „Art Eats Art“.
       
       „Die Popkultur frisst ihre eigene Geschichte“, sagt McCluskey. „Es ist fast
       unmöglich, heute etwas zu machen, das total neu ist.Deshalb rekurrieren
       junge Bands auf die Vergangenheit. Etwas ganz Neues zu probieren, ist sehr,
       sehr schwer. Gerade weil die Musikindustrie nicht mehr die Umsätze von
       einst einfährt, setzt sie auf Vertrautes. Sie investiert nicht in Künstler,
       die etwas total anderes machen, weil sie glaubt, es verkauft sich nicht.
       Deshalb stagniert der Pop ein wenig und kommt nicht vorwärts.“
       
       Der Band aus Liverpool (McCluskey) und London (Humphreys) tut man aber in
       gewisser Weise auch unrecht, wenn man sie auf die drei, vier eingängigen
       Songs aus den Hitparaden der damaligen Zeit beschränkt. Denn OMD haben
       damals schon gegen die immer gleichen 80er-Klänge angekämpft, sie wollten
       verhindern, dass der Pop sich selbst frisst: Nachdem sie mit „Architecture
       & Morality“ reüssiert hatten, legten sie ein experimentelles Album vor, das
       „beinahe ihre Karriere gekillt“ hätte, wie McCluskey sagt. „Dazzle Ships“
       (1983), so der Titel, war ein Konzeptalbum, bei dem sie sich plötzlich an
       der modernen Avantgarde orientierten. „Abba und Stockhausen“ zugleich habe
       man sein wollen, sagte McCluskey dazu einmal. Das Album war bei Kritikern
       schon damals hochgeschätzt, verkaufte sich aber nach Bandangaben nur
       300.000 Mal – für OMD-Verhältnisse wenig seinerzeit.
       
       ## Zu viele Möglichkeiten
       
       Und wie klingt das neue Album? Eines ist mit „The Punishment Of Luxury“
       ganz sicher anders als vor 40 Jahren: die Produktion der Stücke. Songs wie
       der allererste OMD-Hit „Electricity“ (1979) basierten noch auf den
       Synthesizer-Sounds eines Roland CR-78. Schlagzeugbeat und Gesang kamen
       dazu, fertig war der Song. Heute arbeiten OMD mit dem weit verbreiteten
       Studio-Computerprogramm Pro Tools. Den Willen zum Bombast hört man, das
       Album wirkt durchgestylt und kommt mit Pomp daher. „Manchmal ist das
       Problem, dass du bei den Computerprogrammen zu viele Möglichkeiten hast“,
       sagt McCluskey. „Aus der Library für Bass- oder Drum-Sounds kannst du
       zwischen 325.000 verschiedenen Klängen auswählen. Welchen willst du da
       nehmen?“
       
       Interessanterweise klingen OMD in ebenjenen Songs am besten, wo sie das
       Arrangement 80er-Jahre-typisch beschränken (zum Beispiel in „What Have We
       Done“). Manchmal versinken sie etwas zu sehr im Synthesizerrausch („Robot
       Man“), und insgesamt ist das Album zu lang geworden – Songs wie „One More
       Time“ klingen wenig inspiriert und nach archetypischem OMD-Bausatz eben
       einfach hinzugefügt.
       
       So ist „The Punishment Of Luxury“ zwar nur ein überdurchschnittliches Album
       – aber immerhin das beste, das OMD seit ihrem Comeback gemacht haben.
       Erinnern kann es einen in jedem Fall an die Verdienste dieser Band. Und
       damit auch an die Verdienste eines großen Popjahrzehnts.
       
       24 Nov 2017
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Jens Uthoff
       
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