# taz.de -- Versöhnung in Palästina: Hoffnung auf besseres Leben
       
       > In Gaza herrscht nach Unterzeichnung des Abkommens zwischen den
       > verfeindeten Palästinenserparteien Fatah und Hamas vorsichtiger
       > Optimismus.
       
 (IMG) Bild: Ein Dattelverkäufer wartet an einer Straße in Nusseirat im Gaza-Streifen auf Kundschaft
       
       GAZA taz | „Alles wird besser werden“, frohlockt Aysar Farruk. Der
       20-jährige Palästinenser studiert Rechnungs- und Finanzwesen in Gaza. Mit
       dem Versöhnungsabkommen zwischen den beiden großen Bewegungen Fatah und
       Hamas werde es „bald mehr Arbeit geben“, vor allem für junge Akademiker.
       
       Mitte Oktober [1][unterzeichneten die zerstrittenen Parteien ein
       Grundsatzabkommen], das zunächst darauf abzielt, die Verwaltung des
       Gazastreifens erneut unter eine gemeinsame Kontrolle der Palästinensischen
       Autonomiebehörde (PA) zu stellen. „Sobald die Grenzen geöffnet werden und
       Material reinkommt“, sagt Farruk optimistisch, werde es auch für Handwerker
       bessere Möglichkeiten geben, ihren Lebensunterhalt zu verdienen.
       
       An Kreuzungen und vielen Läden hängt die ägyptische Flagge. Die Menschen
       sind zuversichtlich, dass das durch Vermittlung der Regierung in Kairo
       Mitte Oktober erreichte Abkommen Früchte trägt. Die ägyptische Führung
       drängt beide Seiten, aufeinander zuzugehen, und verspricht, die Grenze zu
       öffnen, sollte das Projekt gelingen. „Einmal verreisen“, sagt Farruk, „das
       ist mein größter Traum.“
       
       Israel sperrte die Grenzen gleich nach dem Sieg der Hamas, die Anfang 2006
       die Wahlen in den Palästinensergebieten für sich entschied. Für die
       Regierung in Jerusalem und später auch die USA und die EU ist Hamas eine
       Terrororganisation. Ägypten folgte ein Jahr später, als im Sommer 2007
       Hamas-Kämpfer die Sicherheitskommandanten der Fatah aus dem Gazastreifen
       vertrieben und deren restliche Truppen entwaffneten.
       
       ## Rückkehr der Präsidialgarde
       
       Die Regierung in Kairo knüpfte einen geregelten Grenzverkehr an die
       Bedingung, dass nicht die Hamas, sondern die Fatah-nahe Präsidialgarde die
       Grenzkontrolle übernimmt. Die Delegierten der Fatah und der Hamas einigten
       sich in dem jüngsten Abkommen auf den Stichtag 1. November für die Rückkehr
       der Präsidialgarde an die Grenzposten.
       
       Offene Grenzen, Arbeitsplätze, Freiheit und Wirtschaftswachstum ist, was
       sich die Menschen im Gazastreifen von der Wiedervereinigung erhoffen. „Als
       Rami Hamdallah kam, feierten ihn die Leute nicht als Regierungschef,
       sondern wie den Heiland“, berichtet Dr. Atef Abu Saif, Fatah-Politiker im
       Gazastreifen. „Sie sahen ihn als Gasflasche und Lichtquelle“, sagt lachend
       der Dozent für politische Wissenschaften.
       
       Ganz so schnell werde die Erlösung jedoch nicht kommen. Vorläufig
       beschränke sich der Versöhnungsprozess auf „Fototermine mit freundlichen
       Gesichtern“. Eine konkrete Übergabe der Kontrollen, eine „Machtteilung, um
       die es jetzt im Gazastreifen geht“, habe noch nicht stattgefunden.
       
       ## Die Skepsis bleibt
       
       „Es ist nicht so, dass die Hamas eines Tages aufwacht und erkennt, dass elf
       Jahre Regierung ein einziger Fehler waren.“ Und auch die Fatah „vergeht
       nicht plötzlich vor lauter Liebe für die Hamas“. Abu Saif ist skeptisch, ob
       Präsident Abbas sein Versprechen wahrmacht und bald wieder in den
       Gazastreifen reist, wo die Truppen des militärischen Hamas-Flügels
       al-Kassam, die einst seine Sicherheitsleute in die Flucht schlugen, ihrem
       Training nachgehen.
       
       Abbas soll, fordern die Leute, die Gehälter der PA-Beamten in Gaza wieder
       in voller Höhe bezahlen. Um Druck auf die islamistische Führung auszuüben,
       reduzierte der Palästinenserpräsident die Gehälter auf rund zwei Drittel,
       auch die Rechnungen für den aus Israel bezogenen Strom wollte er nicht mehr
       in vollem Umfang bezahlen.
       
       Seit Monaten läuft Abu Mohammads Geschäft miserabel. Hunderte verschiedene
       Lippenstifte, Parfüm, Haarclips und bunte Schleifchen sind bei ihm zu
       haben, aber „die Leute kaufen nicht mehr“. Viele seiner Kollegen hätten
       ihre Läden schon schließen müssen. Hauptgrund dafür sei die
       Gehaltskürzungen für rund 70.000 PA-Beamte.
       
       ## Mehr Geld für Beamte
       
       Als erster Schritt im Versöhnungsabkommen von Fatah und Hamas ist die
       Zahlung der vollen Beamtengehälter geplant. „Wenn die Leute Geld verdienen,
       kommen sie und kaufen“, meint Abu Mohammad zuversichtlich, auch die Abgaben
       würden sinken. „Die Hamas verlangt von uns 25 Prozent Mehrwertsteuer“,
       früher seien es nur 17 Prozent gewesen. Dazu kämen Einfuhrzölle und
       Gebühren, wenn er Ware auf den Bürgersteig stellt.
       
       So sehr sich die Menschen die Einheit wünschen, so tief sitzt vor allem bei
       den politisch Verfolgten das Misstrauen dem innerpalästinensischen Feind
       gegenüber. Die Spaltung forderte Opfer. Rund 400 meist der Fatah
       angehörende Sicherheitsbeamte wurden bei den Kämpfen im Sommer 2007
       getötet, einige regelrecht hingerichtet. Die Hamas folterte
       Fatah-Angehörige in Gaza, und im Westjordanland litten umgekehrt
       Hamas-Aktivisten unter denselben qualvollen Methoden, die beide Seiten
       einst vom israelischen Besatzer lernten.
       
       „Nur weg aus Gaza“ will Taher Abu Ermano, einer von fünf Häftlingen, die
       die Hamas jetzt auf freien Fuß setzte. 14 Mal sei er von den islamistischen
       Sicherheitskräften verhaftet worden. Schlafentzug, Schläge, „manchmal
       hängten sie mich für Stunden an den Händen auf, damit ich die Namen von
       Kontaktleuten preisgebe“.
       
       Ermano stand unter dem Verdacht der Spionage für die Fatah-Führung im
       Westjordanland. Seine größte Sorge gilt den gut zwei Dutzend anderen
       politischen Häftlingen, die die Hamas noch festhält. „Einige sind zum Tode
       verurteilt worden“, sagt der Mann aus Khan Younis, der schwer traumatisiert
       wirkt. An Vergeltung denke er nicht, aber im Gazastreifen bleiben – „das
       wäre für mich nicht auszuhalten“.
       
       ## Vom Erzfeind zum Versöhner
       
       Ausgerechnet Mohammad Dahlan, ehemals Fatah-Geheimdienstchef im
       Gazastreifen und Erzfeind der Hamas, macht sich stark für die Versöhnung
       der Gesellschaft. Er sammelt Spenden in Saudi-Arabien für Familien, die bei
       den Kämpfen 2007 einen Angehörigen verloren haben. 50.000 Dollar pro Opfer,
       egal ob es der Fatah oder der Hamas angehörte.
       
       Dahlan, der noch viele Feinde im Gazastreifen hat, bereitet damit auch
       seine Rückkehr in die Heimat vor. Hamas-Sprecher Abd Latif Qanoua spricht
       in den höchsten Tönen von dem Mann, der einst die Folter von Hamas-Kämpfern
       befahl. Dahlan sei es zu verdanken, dass den Familien eine Wiedergutmachung
       für ihren Verlust zukommt.
       
       Qanoua räumt ein, dass es noch einige Hürden zu überwinden gibt bei der
       innerpalästinensischen Versöhnung, für die die Hamas sich „zum Wohl des
       Volkes“ und um die palästinensische Position international zu stärken
       entschied. Nicht sich gegenseitig, sondern den gemeinsamen Feind, die
       Besatzung, wolle man bekämpfen.
       
       Eins der schwierigsten Probleme ist die Fusion der Verwaltungs- und
       Sicherheitsdienste. Neben 70.000 PA-Beamten stehen 40.000 von der Hamas
       engagierte Verwaltungsbeamte und Polizisten auf den öffentlichen
       Gehaltslisten. Frühpension und Teilzeitarbeit sind die Zauberworte für den
       Personalabbau.
       
       „Wer zehn Jahre gearbeitet hat, kann nicht einfach vor die Tür gesetzt
       werden“, findet Qanoua, der vage bleibt, wie die Pensionen finanziert
       werden sollen. Klar für ihn ist hingegen, dass eine Auflösung der
       Kassam-Brigaden nicht zur Diskussion steht. „In dem Moment, in dem die
       Besatzung endet, geben wir die Waffen ab.“ Über Krieg oder Frieden soll
       dann die Regierung entscheiden.
       
       30 Oct 2017
       
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