# taz.de -- Philosophin über Nutztierhaltung: „Bio ist keine Alternative“
       
       > Friederike Schmitz lehnt Öko-Tierhaltung ab: So oder so werde ein Wesen
       > getötet. Sie findet, dass man sich auch ohne Fleisch, Milch und Eier gut
       > ernähren kann.
       
 (IMG) Bild: „Säuglinge etwa sind nicht sprachfähig oder moralisch verantwortlich. Kein Grund, sie töten zu dürfen“
       
       taz: Frau Schmitz, Sie lehnen Fleisch, Milch und Eier ab, weil die Tiere
       leiden würden. Warum kommen selbst Bioprodukte für Sie nicht infrage? 
       
       Friederike Schmitz: Bio ist keine Alternative, schon weil die meisten
       Biotiere im normalen Schlachthof getötet werden. Der Transport ist oft
       äußerst leidvoll, manchmal funktioniert die Betäubung nicht. Dann werden
       die Tiere bei vollem Bewusstsein abgestochen. Auch in der Biohaltung werden
       Rindern die Hörner ausgebrannt, auch da werden routinemäßig die Eltern von
       den Kindern getrennt.
       
       Manche Höfe halten ihre Rinder auf der Weide und töten sie dort schnell und
       quasi schmerzlos. Reicht das nicht? 
       
       Erstens ist das kein Modell, mit dem wir viele Tierprodukte herstellen
       können. Zweitens erleidet das Tier einen Schaden, auch wenn es nichts von
       seinem Tod mitkriegt. Es verliert immer noch sein Leben. Wir würden es ja
       auch nicht akzeptabel finden, einen Menschen um die Ecke zu bringen, nur
       weil es heimlich und ohne Schmerzen passiert.
       
       Trotzdem sind Tierschützer dafür, die Tierhaltung beizubehalten.
       Tierrechtler wie Sie dagegen wollen sie abschaffen. Können beide Gruppen
       dennoch zusammenarbeiten? 
       
       Ich könnte mir solche Koalitionen vorstellen, wenn die Tierschützer
       aufhören würden, minimal verbesserte Bedingungen zu bewerben. Nicht
       akzeptabel finde ich zum Beispiel, dass der Verein Provieh Fleisch von
       Ebern anpreist, die zwar nicht kastriert wurden, aber ansonsten unter
       denselben schlimmen Bedingungen wie die meisten anderen Schweine gehalten
       wurden. Der Deutsche Tierschutzbund sollte aufhören, sein Tierschutzlabel
       zu propagieren, das ebenfalls kaum Fortschritt bringt. Solche Projekte
       schaden eher mehr, als sie nutzen.
       
       Warum? 
       
       Weil sie die Leute beruhigen, dass alles in Ordnung sei, obwohl
       typischerweise auch unter verbesserten Bedingungen Tiere stark leiden.
       Deshalb sollten wir uns politisch darauf konzentrieren, die Tierhaltung zu
       reduzieren, anstatt sie zu verbessern.
       
       Wie könnte eine Allianz zwischen Tierschützern und -rechtlern konkret
       aussehen? 
       
       Meine Gruppe „Tierfabriken-Widerstand“ zum Beispiel arbeitet mit
       Bürgerinitiativen gegen Mastanlagen und Schlachthöfe zusammen. Die sind
       meistens nicht vegan. Aber die wollen eine Verringerung der Tierhaltung,
       und es ist klar, dass im Rahmen gemeinsamer Kampagnen nicht für
       Biotierhaltung geworben wird.
       
       Gehen Sie davon aus, dass ein Tier genauso viel Recht auf Leben hat wie ein
       Mensch? 
       
       Ja, ethisch lässt sich ein Unterschied zwischen fühlenden Tieren und
       Menschen nicht rechtfertigen – auch wenn das praktisch schwer umzusetzen
       ist. Entscheidend ist, dass sie empfindungsfähig sind.
       
       Aber Tiere unterscheiden sich doch von Menschen in vielen anderen Aspekten,
       Hühner beispielsweise sind weniger intelligent. 
       
       Warum sollte man jemanden töten dürfen, nur weil er keine moralische
       Verantwortlichkeit hat oder weniger intelligent ist? Solche Unterschiede
       sind nicht moralisch relevant. Viele der angeblichen Unterschiede zwischen
       Menschen und Tieren treffen auch nicht auf alle Menschen zu. Säuglinge etwa
       sind nicht sprachfähig oder nicht moralisch verantwortlich. Doch das ist
       natürlich kein Grund, sie töten zu dürfen.
       
       Trotzdem widerspricht es der Intuition der meisten Menschen, dass ein Tier-
       genauso wichtig wie ein Menschenleben sein soll. Was sagen Sie dazu? 
       
       Die These, dass wir keine Tiere töten sollten, um sie zu essen, braucht
       keine Gleichstellung von Menschen und Tieren. Man kann auch sagen: Tiere
       zählen zwar weniger als Menschen, aber so viel, dass wir sie nicht
       ausbeuten sollten. Und es ist ja so: Ich kann mich gut ernähren, auch ohne
       dass ich Tiere töte. Ich muss weder Fleisch noch Milch oder Eier essen, um
       mich zu ernähren.
       
       Vegane Ernährung kommt nicht ohne künstliche Vitamin-B12-Zusätze etwa durch
       Pillen aus. Sonst drohen langfristig Mangelerscheinungen. Zeigt das nicht,
       dass der Mensch von Natur aus tierische Lebensmittel braucht? 
       
       Wenn wir heutzutage Tiere essen, ernähren wir uns ja nicht natürlich. Im
       Gegenteil: Wie die Tiere produziert werden, ist alles andere als natürlich.
       Natürlichkeit ist auch kein ethischer Maßstab. Die medizinische Versorgung
       beispielsweise ist nicht natürlich, aber trotzdem gut.
       
       Brauchen wir Nutztiere, um Dünger für die Biolandwirtschaft zu produzieren,
       die ja auf Kunstdünger verzichtet? 
       
       Es gibt erfolgreich wirtschaftende Biobetriebe, die ohne tierische
       Exkremente arbeiten: im bioveganen Landbau. In Deutschland sind das nur
       wenige Betriebe, in England schon seit Jahrzehnten mehr, mit eigenem
       Anbauverband. Jetzt entsteht auch hier ein Verband.
       
       Es gibt keine belastbaren Daten, wonach diese bioveganen Betriebe dauerhaft
       und nachhaltig genügend hohe Erträge produzieren. Bio hat eh schon circa
       ein Drittel weniger Erträge als konventionell. Kann das funktionieren? 
       
       Von den Ressourcen her ist es viel besser, auf tierische Produkte zu
       verzichten. Wir brauchen viel weniger Fläche, wenn wir kein Weideland mehr
       nutzen und keine Futtermittel mehr herstellen müssten, die dann an Tiere
       verfüttert werden. In dem Sinne sind auch niedrige Erträge verkraftbar,
       weil wir anderweitig so viel Fläche einsparen würden. Das wäre auch im
       Hinblick auf Umwelt und Klima besser.
       
       Aber Bioprodukte sind schon jetzt bedeutend teurer als konventionelle.
       Biovegane wären noch teurer. Würde es da nicht noch schwieriger, Bio am
       Markt durchzusetzen? 
       
       Es braucht einen grundlegenden Kurswechsel und eine umfassende Agrarwende,
       die Wirtschaftsstrukturen und Machtverhältnisse ändert. Als Gesellschaft
       wären wir doch leicht in der Lage, eine ökologisch verträgliche
       Landwirtschaft ohne Gewalt und Ausbeutung zu organisieren – und auch die
       Früchte fair an alle zu verteilen. Im Moment sind Fleisch und Produkte aus
       industrieller Landwirtschaft ja auch nur scheinbar günstig. In Wahrheit
       zahlen wir alle den Preis – in Form von Klimawandel und Umweltschäden. Oder
       das Wasser wird teurer, weil es wegen zu viel Dünger aufwendig gereinigt
       werden muss. Es geht darum, das politisch anders zu gestalten.
       
       Und wenn wir doch mehr Dünger brauchen? 
       
       Wir dürfen nicht vergessen, dass wir im Moment viel zu viel davon haben,
       das ist das aktuelle Umweltproblem. Langfristig wäre das Richtige: Wir
       bringen die Nährstoffe aus unseren eigenen Ausscheidungen wieder aufs Feld.
       Dann wäre der Nährstoffkreislauf wirklich geschlossen. Es ist ein
       Irrglaube, dass die Tiere für eine Kreislaufwirtschaft nötig sind. Die
       müssen ja auch erst Nährstoffe aufnehmen, die anderweitig hergestellt
       werden müssen.
       
       Aber Klärschlämme enthalten doch auch Schwermetalle und Krankheitserreger. 
       
       Ja, deshalb werden sie zurzeit nur begrenzt als Dünger verwendet. Es sind
       aber Methoden in der Entwicklung, die Nährstoffe zur sicheren Verwendung
       herauszuholen.
       
       Fast alle Tierethiker sind dagegen, Fleisch zu essen. Wie kann es überhaupt
       eine erkenntnisreiche Diskussion über das Für und Wider geben? 
       
       Man diskutiert ja auch mit anderen Leuten als mit Tierethikern. Der
       Bauernverband zum Beispiel ist ganz anderer Meinung.
       
       Das ist ein ungleicher Kampf: Philosoph gegen Bauer. 
       
       Ja, aber der eigentliche Konflikt besteht nun einmal zwischen dieser gut
       begründeten ethischen Position und der gesellschaftlichen Realität. Unter
       Ethikern ist die Sache tatsächlich ziemlich klar.
       
       31 Oct 2017
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Jost Maurin
       
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