# taz.de -- Asta-Vorsitzende über heutigen Uni-Muff: „Vom Protest der 68er lernen“
       
       > Vor genau 50 Jahren entstand an der Uni Hamburg das berühmteste Foto der
       > Studentenbewegung. Was die Aktion von damals für Studierende heute
       > bedeutet.
       
 (IMG) Bild: Der 9. November 1967 an der Universität Hamburg
       
       taz: Frau Hildebrandt, der Talar spielt an Ihrer Universität eine besondere
       Rolle. Haben Sie mal einen gesehen? 
       
       Franziska Hildebrandt: Ich habe den Talar gesehen, der bei uns an der
       Stelle für Uni-Geschichte ausgestellt ist. Und im historischen Rektorzimmer
       im Hauptgebäude der Uni Hamburg hängt ein zweiter Talar. Für mich sind das
       Museumsstücke. Ich denke dabei an Richter oder Priester, nicht an
       Uniprofessoren.
       
       Vor 50 Jahren stand er für verkrustete Hochschulstrukturen. Der Spruch
       „Unter den Talaren – Muff von 1000 Jahren“ brachte die Stimmung auf den
       Punkt. Wie könnte man die Lage heute zusammenfassen? 
       
       Die Lage ist ja anders, weil wir die Studentenbewegung und ihre
       Errungenschaften hatten. Es gibt heute die tendenzielle demokratische
       Verfassung der Universität, es gibt die Verfasste Studierendenschaft als
       solidarische Kampfgemeinschaft, es gibt stärker öffentliches Erinnern an
       den Faschismus. Darauf können wir aufbauen. Gleichzeitig hat über die
       neoliberale Phase die demokratische Verfassung und die kritische
       Wissenschaft erheblich gelitten.
       
       Inwiefern? 
       
       Zunächst war die Gleichstellung von Studierenden, Assistenten und
       Professoren ein wesentlicher Erfolg. Das wurde 1969 mit dem Hamburgischen
       Hochschulgesetz durchgesetzt. Das heißt, die drei Gruppen hatten in den
       akademischen Gremien je gleich viele Stimmen. Neben dem Akademischen Senat
       gab es damals auch das Konzil, eine große Universammlung, die den
       Akademischen Senat in politischen Fragen beraten hat und auch den
       Präsidenten gewählt hat. Das war sinnvoll und demokratisch. In der
       neoliberalen Phase wurde jedoch der Hochschulrat eingeführt, in dem keine
       Studierenden, dafür aber Wirtschaftsvertreter sitzen.
       
       Zur neoliberalen Phase zählt auch die Bolognareform, die die Studienzeiten
       verkürzen sollte. Empfinden Sie das Studium als zu durchgetaktet? 
       
       Die wesentliche Veränderung ist die erneute Selektionshürde nach dem
       Bachelor-Abschluss. Wir Studierende sind von Anfang an in Konkurrenz
       zueinander um einen Platz für das Masterstudium. Das ist eine erhebliche
       Kulturveränderung. Dazu kommt, dass sich das Studium durch die enge
       Modularisierung und die Credit Points stärker an diesen Merkmalen
       orientiert als an der Frage: Was interessiert mich?
       
       Was wären aus Ihrer Sicht die drängendsten Reformen? 
       
       Zum einen Bachelor-Master-System abschaffen und Studiumsdauer auf fünf
       Jahre erhöhen, Prüfungen reduzieren. Zum anderen müsste es Bafög wieder als
       Vollzuschuss geben, damit wir die soziale Grundlage haben für
       demokratisches Engagement an den Hochschulen. Das war ja 68 schon
       durchgesetzt. Dann muss der Hochschulrat ersatzlos gestrichen werden. Und
       inhaltlich sollte sich die Wissenschaft wieder stärker gesellschaftlichen
       Problemen zuwenden.
       
       Dringen Sie mit solchen Forderungen durch? Heute erregt es kein Aufsehen
       mehr, wenn Studierende Transparente bemalen oder Räume besetzen. 
       
       Es ist eine Herausforderung, gut pointierten und aufklärenden Protest wie
       die Muff-Aktion hinzubekommen und genau den Punkt zu treffen. Die sozialen
       Umstände dafür sind aber auch mies. 68 Prozent der Studierenden müssen
       neben dem Studium arbeiten. Dann sollen sie nach drei Jahren wieder von der
       Uni weg sein. Dadurch verschiebt sich auch der Fokus weg vom Studium und
       nimmt Raum für politisches Engagement.
       
       Wirklich? Es gibt Proteste gegen Studiengebühren. Gegen RektorInnen, die
       Zivilklauseln missachten. Gegen die neuen AfD-Hochschulgruppen. 
       
       Es gibt auch Fortschritte, richtig. Die Zivilklauselbewegung ist relativ
       stark, die allgemeinen Studiengebühren sind abgeschafft, die
       Hochschulgesetze werden zumindest ein bisschen demokratischer. In Hamburg
       haben wir wesentlich dazu beigetragen, dass Olympia nicht stattfindet und
       dass es einen demokratischen, solidarischen Protest rund um den G20-Gipfel
       gibt.
       
       Das sind alles inhaltliche Konflikte. In den 68ern hingegen standen alle
       Konflikte unter dem Generationenkonflikt mit autoritären Profs als
       Feindbild. Ist das immer noch so? 
       
       Die Studentenproteste haben sich weiterentwickelt. Es geht weniger um die
       Kämpfe zwischen den Hochschulgruppen als zwischen weltanschaulichen Lagern.
       Bei manchen Themen kämpfen wir gruppenübergreifend an einer Seite.
       
       Wo zum Beispiel? 
       
       Zum Beispiel beim Kampf gegen prekäre Arbeitsbedingungen an den Unis. Mit
       den organisierten Hochschulmitarbeitern und deren Gewerkschaften Verdi und
       GEW arbeiten wir gut zusammen. Die sozialprekäre Lage und die Abhängigkeit
       von der Hochschule ist bei beiden Gruppen ähnlich. Wir kämpfen auch
       gemeinsam dafür, dass kritische Wissenschaft möglich ist, dass es zu einem
       demokratischen Streit kommen kann. Wir teilen auch die Kritik an der
       Exzellenzstrategie, die für Wissenschaftliche Mitarbeiter ja befristete
       Beschäftigungsverhältnisse und weniger Freiheit beim eigenständigen
       Forschen bringt.
       
       Die Stimmung beim wissenschaftlichem Nachwuchs ist seit Jahren mies. Kommt
       bald der Knall, ein zweites 1967? 
       
       Ich denke, die Stimmung hängt mit einer gesamtgesellschaftlichen
       Krisenstimmung zusammen. Finanzkrise, Trump, eine starke AfD im Bundestag.
       Viele merken: Mein Studium kann diese Krisen nicht erklären. Ich glaube,
       das führt wieder zu einer stärkeren Politisierung unter den Studierenden
       und damit der Gesellschaft. Und das ist auch nötig, um den Doublespeak an
       den Unis abzulegen. Also, dass Unimitglieder sich über die Zustände
       beschweren, wie die mangelnde Hochschulfinanzierung oder Drittmittel, aber
       dann doch die vermeintlichen Autoritäten wie die HRK oder den
       Wissenschaftsrat anerkennen. Da können wir vom Protest der 68er lernen. Wir
       müssen sagen: Bis hierhin und nicht weiter, es muss ganz anders werden. Wir
       machen nicht mehr mit.
       
       Und wie soll das gehen? Mit Boykott? 
       
       Mit Boykott und der Aufforderung, dass sich etwas ändern muss. Die Uni
       Siegen ist schon mal aus den Rankings ausgetreten. Eine Gesamtuniversität
       kann heute etwa entscheiden: Wir bewerben uns nicht bei der
       Exzellenz-Strategie, als Protest gegen die mangelnde Grundfinanzierung.
       Eine Gesamtuniversität kann auch sagen: Wir protestieren gegen Austeritäts-
       und Kriegspolitik in Deutschland. Das wurde früher viel stärker auch von
       Studierenden gemacht. Das ist meiner Meinung nach auch notwendig.
       
       9 Nov 2017
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Ralf Pauli
       
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