# taz.de -- 18-jähriger Italiener bleibt in U-Haft: Das G20-Exempel
       
       > Fabio V. sitzt seit dem G20-Gipfel in U-Haft. Hamburgs Staatsanwaltschaft
       > besteht darauf. Am Tatort gesehen hat ihn niemand.
       
 (IMG) Bild: Muss vorerst weiterhin in Haft bleiben: der 18-Jährige Fabio V.
       
       HAMBURG taz | Wenn es sich um irgendein anderes Verfahren handelte, ohne
       Bezug zum G20-Gipfel, wäre der Beschuldigte schon lange frei. Da ist sich
       der Anwalt von Fabio V., Arne Timmermann, sicher. Es ist Mittwoch, der
       letzte von vier ursprünglich vorgesehenen Prozesstagen, und die
       Verteidigung zieht eine Zwischenbilanz: „Nach allem, was wir bisher gehört
       und gesehen haben – wie ist es da möglich, dass der dringende Tatverdacht
       gegen meinen Mandanten weiter aufrecht erhalten wird?“
       
       Vorgeworfen wird Fabio V., auf einer Demo am Rondenbarg gewesen zu sein,
       aus der heraus die Polizei „massiv angegriffen“ worden sein soll.
       Demonstrant*innen sollen Steine und Feuerwerkskörper auf die Beamt*innen
       geworfen haben. V. selbst wird das aber nicht vorgeworfen. Der Vorwurf
       gegen ihn lautet nur, dabei gewesen zu sein. Das sind nach Ansicht der
       Staatsanwaltschaft drei Delikte: schwerer Landfriedensbruch, versuchte
       gefährliche Körperverletzung und tätlicher Angriff auf
       Vollstreckungsbeamte.
       
       Bloß, dass keiner der Zeugen, die bisher vor Gericht ausgesagt haben, Fabio
       direkt belasten kann, weil ihn keiner am Rondenbarg gesehen hat. Alle
       Polizisten antworteten auf die Frage, ob sie ihn schon mal gesehen hätten:
       „Nein“. Dass das auch bei den noch ausstehenden Zeugenaussagen so sein
       wird, hat das Gericht bereits zugegeben.
       
       Hinzu kommt, dass der Polizeieinsatz am Rondenbarg zu den umstrittensten
       Einsätzen während des G20-Gipfels zählt. Fabio V. soll am Freitag, den 7.
       Juli, mit etwa 200 anderen Aktivist*innen vom Volkspark in Richtung
       Innenstadt gezogen sein. Am Rondenbarg stießen sie auf die Polizei. Dass
       ein „massiver Angriff“ stattgefunden hat, dokumentieren mehrere
       Polizeivideos.
       
       Ob der allerdings von den Aktivist*innen oder von Polizist*innen ausging,
       ist Interpretationssache. Auf den Videos sieht man einige Gegenstände aus
       den Reihen der Aktivist*innen in Richtung der Polizist*innen fliegen. Dann
       sieht man, wie die Beamt*innen losstürmen und binnen Sekunden die Demo
       zerschlagen.
       
       Was man nicht sieht, was aber viele Demo-Teilnehmer*innen berichtet haben,
       ist, wie einige von ihnen auf der Flucht vor der Polizei versuchten, über
       ein Geländer zwei Meter in die Tiefe auf einen Parkplatz zu springen. Das
       Geländer brach ab, die Demonstrant*innen fielen mitsamt Geländer auf eine
       Leitplanke. Einige Schwerverletzte blieben liegen.
       
       Das Polizeivideo zeigt, wie ein paar junge Menschen, die nicht vor der
       Polizei geflohen oder nicht weit gekommen sind, auf dem Parkplatz stehen.
       Einer von ihnen ist Fabio – er könnte es zumindest sein. Er guckt nach
       unten, guckt nach oben, gestikuliert. Was man auch nicht sieht: Neben ihm,
       zwischen parkenden Autos, liegt eine Frau mit einem offenen Bruch. Er will
       offenbar auf sie aufmerksam machen. Seine Mutter sagt: Fabio habe
       entschieden, nicht zu fliehen, um bei der Schwerverletzten zu bleiben.
       
       ## Freilassung erneut verhindert
       
       „Dringender Tatverdacht und Fluchtgefahr“ lautet die Begründung, mit der
       die Staatsanwaltschaft sich für eine weitere Untersuchungshaft einsetzt. Am
       Freitagabend wäre V. fast freigekommen. Die Richterin hatte die Haft
       aufgehoben, aber die Staatsanwaltschaft legte Beschwerde ein. Das
       Landgericht lehnte diese ab und entschied, V. sei unverzüglich zu
       entlassen. V.s Mutter Jamila B. fuhr nach Hahnöfersand, um ihren Sohn
       abzuholen. Doch die Staatsanwaltschaft legte wieder Beschwerde ein, über
       die nun das Oberlandesgericht (OLG) entscheiden muss. Bis dahin bleibt V.
       in Haft.
       
       Jamila B. stand vor der Haftanstalt, als ihr Sohn sie anrief und sagte:
       „Die lassen mich doch nicht raus.“ Dass die Entscheidung nun beim OLG
       liegt, verheißt nichts Gutes: Schon einmal hatte das Gericht die Entlassung
       verhindert. In einem Beschluss von Ende Juli hatte es V. „schädliche
       Neigung“ und erhebliche „Erziehungsmängel“ attestiert. Seine Anwältin legte
       Beschwerde beim Verfassungsgericht ein, das sich aber nicht zuständig sah.
       
       Warum diese Härte gegen einen 18-Jährigen, dem keine individuelle Tat
       vorgeworfen wird? „Es ist ein Pilotverfahren“, sagt sein Verteidiger
       Timmermann. Die Polizei hat am Rondenbarg 75 Menschen festgenommen. Kommt
       Fabio frei, wird es für das Gericht schwierig, die anderen härter zu
       bestrafen. Das Vorgehen der Staatsanwaltschaft nennt Timmermann „extrem
       unmenschlich“.
       
       Mittlerweile ist das Grundrechtekomitee aufmerksam geworden und schickt
       eine Mitarbeiterin zu jedem Prozesstermin. Auch ein italienischer Konsul
       kommt regelmäßig, neben deutschsprachigen auch ein italienischer Journalist
       und zahlreiche Unterstützer*innen. Wenn Fabio in Handschellen in den Saal
       geführt wird, applaudieren sie, rufen „Solidarietà“ und „Alerta“. Fabio
       lächelt dann.
       
       18 Nov 2017
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Katharina Schipkowski
       
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