# taz.de -- Pharoah Sanders Konzert in Berlin: Gut fürs Karma
       
       > Sonore Standfestigkeit und viel Spirit: US-Saxofonlegende Pharoah Sanders
       > bei seinem Deutschlandkonzert im Berliner Festsaal Kreuzberg.
       
 (IMG) Bild: Black Ommmmmmm: Pharoah Sanders am Dienstag in Berlin
       
       „The black ommmmmmm“, die Anrufung des Kosmos hat der US-Autor Amiri Baraka
       in der „Unity Music“ des New Yorker Free Jazz der späten Sechziger gehört
       und dabei speziell den aufrüttelnden Sound des Tenorsaxofonisten Pharoah
       Sanders gemeint, einem der willensstärksten Künstler jener Zeit. Seine
       Interpretation von Free Jazz war nie hermetisch und stets am Kollektiven
       und zugänglich Songförmigen orientiert. Am Dienstag trat Sanders im
       Berliner Festsaal Kreuzberg auf, zum ersten Mal seit 2003 gastierte er
       wieder als Headliner in der Hauptstadt. Es war sein einziges Konzert in
       Deutschland.
       
       Was vor Kurzem noch undenkbar war, Jazz in einem Popkontext zu
       präsentieren, an diesem kühlen Herbstabend gelang es scheinbar mühelos. Die
       Veranstalter, ansonsten aktiv in den Feldern Dancefloor und HipHop, lockten
       mehr als 700 Zuschauer an: ein Querschnitt der Volksrepublik Kreuzberg,
       Jung und Alt, einheimisch und international, hip und verzauselt, auch ein
       Sechsjähriger mit Schallschutz-Kopfhörer wurde im Schlepptau seiner Mutter
       gesichtet. Überhaupt waren sehr viel mehr Frauen anwesend als bei
       Jazzkonzerten üblich. Hey Jazzfest, ahm das mal nach!
       
       Wie dann der Amsterdamer House-DJ Hunee zur Einstimmung die Ohrmuskeln mit
       homöopathischer Klangdosierung massierte und etwa steinalte tranceartige
       Minimal Music von Terry Riley in aktuellen äthiopischen Pop münden ließ,
       mutete spirituell an und zugleich spröde und es ließ hoffen: Dank
       gelegentlicher perkussiver Extravaganzen blieb allzu Esoterisches nämlich
       ausgespart. Was sich genauso von Rabih Beaini sagen lässt, dem Produzenten
       (und ehemaligen Club-Transmediale-Kurator), dem es oblag, die Bühne für
       Pharoah Sanders zu bereiten. Mit einem alten Koffer-Synthesizer und einigen
       Effektgeräten rührte der Libanese schroffe Elektroakkustik an, deren steile
       Soundsinuskurven die Zuschauer bis fast zum Schluss goutierten. Als ein
       Stroboskop in die Menge blitzte, wurde es dann doch des Guten zu viel.
       
       ## Goatee und Sonnenbrille
       
       Ohne Getöse betrat Sanders in Begleitung dreier Sidemen (des Pianisten
       William Henderson, des britischen Bassisten Oli Hayhurst und Gene
       Calderazzo an den Drums) gegen 22 Uhr die Bühne, man hätte eine Stecknadel
       fallen hören können. War ihm die wogende Menge unheimlich? Jedenfalls
       setzte der 76-Jährige mit dem langen grauen Goatee erst mal eine
       Sonnenbrille auf und schüttelte ungläubig den Kopf, bevor er seine Kanne
       zur Hand nahm und nach vorne kam.
       
       „Welcome“, eine Komposition von John Coltrane, bildete den Auftakt seines
       Sets. Sekunden zuvor taperte Sanders auf der Bühne umher, doch dann kam in
       seinem Saxofonspiel urplötzlich die sonore Standfestigkeit und der
       unkaputtbare Spirit zum Vorschein, aber auch die hymnische Intensität,
       dichte Tremoli und schneidende Staccati, Growls und Cries, all jene
       technisch anspruchsvollen, aber auch seelenvollen Eigenschaften, die
       Sanders Mitte der Sechziger unentbehrlich an der Seite seines Mentors John
       Coltrane machten und eine mehr als 50-jährige Weltkarriere begründeten.
       
       ## Universalistische Power
       
       Heute droht es vergessen zu werden, dass emanzipatives afroamerikanisches
       Selbstbewusstsein gerade durch Künstler wie Sanders in den späten
       Sechzigern erst durch Schallplatten und Konzerte in die Welt hinausgetragen
       wurde. Man hört das in jeder Sekunde. Wobei Pharoah Sanders längst nicht
       mehr das Expressive seiner Sturm-und-Drang-Jahre pflegt. Seine Musik fußt
       auf einem Universalismus, einem zutiefst friedfertigen, aber doch
       kraftvollen Ton. Als Spiritualität ist dies völlig selbstverständlich und
       wird im atheistischen Kreuzberg auch so verstanden. „There’s got to be
       somebody with a lot of power, it helps me stay alive“, hat Coltrane einst
       über Sanders’ Charisma gesagt.
       
       Seine Power setzt Sanders heute sparsamer ein, nicht nur bei „Welcome“.
       Teile des Konzerts gestaltet der Pianist William Henderson, schon seit den
       frühen Achtzigern ein Solitär an Sanders’ Seite. Hendersons perlende Läufe
       lüften die Songs durch, dadurch nimmt sich Sanders zurück, setzt zu Blue
       Notes an, die selbst im Blues zuversichtlich klingen. Ergreifend wird es,
       als Pharoah Sanders zu singen beginnt. „The Creator has a Masterplan“, sein
       Signatur-Song vom Album „Karma“ (1969) ist der 30-minütige
       Konzert-Höhepunkt, bei dem er auch die weniger Gesangsaffinen im Publikum
       zum Beantworten seiner Call-&-Response-Singmelodien bringt. Am Ende ist der
       Jubel groß. Der Jazz von Sanders ist gut fürs Karma.
       
       15 Nov 2017
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Julian Weber
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Jazz
 (DIR) Album
 (DIR) Jazz
 (DIR) Festsaal Kreuzberg
 (DIR) Kopenhagen
 (DIR) Paris
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Free-Jazz-Ikone Albert Ayler: Hoch die agnostische Transzendenz!
       
       Die Box „Revelations“ vereint die zwei letzten Konzerte der
       US-Freejazz-Ikone Albert Ayler. Jetzt erscheinen sie erstmals vollständig.
       
 (DIR) Neues Album von Pharoah Sanders: Bären haben die Musik
       
       Mit „Promises“ veröffentlichen der Londoner Elektroniker Floating Points
       und US-Jazzsaxofonist Pharoah Sanders eine vibrierende Kollaboration.
       
 (DIR) John-Maus-Konzert in Berlin: Drittklässler im Sportunterricht
       
       Den Gesang auf Gefrierfachtemperatur runterkühlen, um den Saal zum Kochen
       zu bringen: 60 Minuten John Maus live sind der Wahnsinn.
       
 (DIR) Afro-amerikanische Kunst in London: Als die Mauern Seele hatten
       
       In der Tate Modern und im Barbican Arts Centre richten zwei Ausstellungen
       den Blick auf afro-amerikanische Kunst und ihre Inspiration durch Jazz.
       
 (DIR) Jazzfestival Kopenhagen: Wo selbst der Wind Musik macht
       
       Die Sonne lacht, weil ihr die Darbietung so gut gefällt. Das 39.
       Jazzfestival in Kopenhagen schlägt einen weiten Bogen von der Geschichte in
       die Zukunft.
       
 (DIR) Jazzsaxofonist Barney Wilen: Interkulturelles Jamming
       
       Der französische Saxofonist Barney Wilen spielte schon 1959 mit Thelonious
       Monk. Zwei seiner tollen Alben wurden nun wiederveröffentlicht.