# taz.de -- Schriftsteller beim Bundespräsidenten: Schlossherr ohne Narren
       
       > Nur noch Groko-Gespräche? Ach was: Bundespräsident Steinmeier empfängt
       > die Schriftsteller Salman Rushdie, Eva Menasse und Daniel Kehlmann.
       
 (IMG) Bild: Eine große Koalition des Geistes spricht mit Bundespräsident Steinmeier
       
       Die Verunsicherung, die die Politik seit der Bundestagswahl in Deutschland
       erfasst hat, ist deutlich spürbar. Die große Politik fühlt sich vom kleinen
       Wähler missverstanden. Am deutlichsten ist dies [1][bei der SPD zu
       beobachten]. Deren Führung reagiert geradezu beleidigt auf den Liebesentzug
       der Massen.
       
       In der Selbstwahrnehmung hat man alles getan, um für ein gerechtes und
       solidarisches Deutschland in Europa einzustehen. Und dann das: Minus,
       minus, minus – und nur noch 20 Prozent der Stimmen. Doch liegt vielleicht
       in genau dieser um sich selbst kreisenden Haltung ein Teil des Problems,
       auf dem die wachsende Entfremdung zwischen Regierungen und Regierten
       gründet.
       
       Einiges davon scheint auch Frank-Walter Steinmeier zu spüren und
       umzutreiben. In einer Zeit, da sich FDP und SPD darin gefallen, Gründe
       gegen das Regieren in Koalitionen und in Kompromissen zu finden, lud der
       Bundespräsident Schriftsteller ins Schloss Bellevue. „Die Freiheit des
       Denkens in unruhigen Zeiten“ hieß die Veranstaltung mit Daniel Kehlmann,
       Salman Rushdie und Eva Menasse am Donnerstagnachmittag.
       
       Und, so die schöne Symbolik: Im Anschluss empfing er an gleicher Stelle die
       Spitzen von CDU, CSU und SPD. Als oberster Repräsentant der Republik redete
       er mit ihnen über ihre Pflicht, [2][zur Bildung einer Regierung
       beizutragen].
       
       ## Rushdie hat die Lacher auf seiner Seite
       
       Als das Bundespräsidialamt die Schriftstellerrunde plante, wird Steinmeier
       kaum geahnt haben, wie unruhig die Zeiten für ihn jetzt wirklich werden
       würden. Und wie wichtig sein Amt würde, das für Steinmeier tatsächlich wie
       maßgeschneidert zu sein scheint. Wie Frankreichs Emmanuel Macron beherrscht
       auch er kulturelle wie politische Sprechweisen, ohne dabei abgehoben zu
       wirken.
       
       Es klingt nicht aufgesetzt, wie der Präsident die Runde einleitet – „weder
       Schlossherr noch Hofnarr“ –, um auf dem Podium „als Bürger mit politischer
       Erfahrung“ selber Platz zu nehmen. Mit den alten Gewissheiten sei es
       vorbei, so Steinmeier – eine Anspielung auf Brexit, Trump und AfD. Er
       erhoffe sich, durch das kulturelle Feld Veränderungen wahrzunehmen, die
       dort mitunter schneller artikuliert würden als in der Politik.
       
       In der ersten Reihe verfolgen frühere Außen- und Innenminister die
       Diskussion, Multiplikatoren des Kulturbetriebs und der Medien sind zugegen.
       Sie können später auch Fragen stellen. Im lockeren Gespräch mit Steinmeier
       hat Rushdie schnell die Lacher auf seiner Seite, als er (der immer noch von
       islamistischen Fanatikern mit dem Tode bedroht wird) den Unterschied
       zwischen Deutschland und den USA damit erklärt, wie wenig vorstellbar im
       Vergleich zu hier eine Begegnung [3][mit ihm und Trump im Weißen Haus sei].
       
       ## Keinen „Brösel“ Erkenntnis gefunden
       
       Mit Steinmeier und Rushdie sind sich auch Menasse und Kehlmann einig, dass
       die Politik der Literatur oder Kunst keine unmittelbaren Vorgaben zu machen
       habe. Vielmehr trügen diese im Spiel mit Fiktion und Fakten zur
       Selbsterkenntnis bei, zur Stärkung von Widersprüchen. Dissens zwischen
       Menasse und Kehlmann gibt es, als Letzterer die Bedeutung des
       Schriftstellers als Intellektueller und Gesellschaftskritiker an „der
       Größe“ seines literarischen Werks festmachen will. Menasse kontert: Um ein
       guter Essayist zu sein, brauchst du kein „großes“ literarisches Werk, und
       überhaupt …
       
       Was allerdings die aktuellen Fragen zur Demokratie angeht, schwelgt man
       dank einer eher binnenzentrierten Moderation von Luzia Braun (ZDF) doch
       sehr im eigenen Saft. Braun sucht keine Widersprüche zu den Aussagen auf
       dem Podium. Sie gefällt sich in Selbstgewissheiten wie eitlen Witzen über
       Trumps Frisur. So kann man unter seinesgleichen punkten. Wird aber auch
       keinen „Brösel“ (Menasse) Erkenntnis finden, geschweige denn die Distanz zu
       denen überwinden, die die Dinge anders sehen.
       
       Rushdie redet von der Fragmentierung der Gesellschaft in den USA, auch
       Steinmeier spricht von dieser in Europa und Deutschland drohenden Spaltung
       in unüberbrückbare Lager. Doch dem Schlossherrn fehlen an diesem Nachmittag
       die wissenden Narren, jene, die ihm mutig von jenen Niederungen der
       Gesellschaft erzählten, um Selbstverständnis und Handeln am Hofe
       herauszufordern. Bevor er sich drei Stunden später zu den Gesprächen um die
       Verhinderung einer Staatskrise begab.
       
       1 Dec 2017
       
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