# taz.de -- Katja Kipping über die Zukunft der Linken: „Ja, vereint im Dagegen“
       
       > Linken-Chefin Katja Kipping erläutert, was hinter dem Streit ihrer Partei
       > über Einwanderung steckt und warum sie keine Angst vor einem Sturz hat.
       
 (IMG) Bild: Vorwärts immer: Katja Kipping will Parteivorsitzende bleiben
       
       taz: Frau Kipping, Sie sind seit über fünf Jahren Vorsitzende der
       Linkspartei. Was braucht man für Eigenschaften, um so lange an der Spitze
       zu bleiben? 
       
       Katja Kipping: Man muss Überzeugungstäterin sein, eine gute Intuition
       haben, und es ist hilfreich, Teamspielerin zu sein.
       
       Sind Sie eine gute Parteichefin? 
       
       Ja, ich denke, wir machen in der Parteispitze einen guten Job und haben die
       Linke weiter vorangebracht.
       
       Sie sollen 2018 wieder antreten. Zusammen mit Bernd Riexinger? 
       
       Ja, wir wollen beide wieder kandidieren.
       
       Es gibt Bestrebungen in Ihrer Partei, Sie und Riexinger zu stürzen. Wie
       groß ist die Gefahr, dass Sie beide im Sommer abgewählt werden? 
       
       Ich bin da gänzlich unerschrocken. Wenn es alternative Kandidaturen gibt,
       gehört das zu einer demokratischen Partei dazu. Aber ich bin mit unserer
       Bilanz zufrieden und deswegen zuversichtlich für das Modell, für das wir
       stehen: eine demokratische Linke, eine Partei in Bewegung, die in der
       linken Geschichte verankert ist und die Zukunftsfragen in Angriff nimmt.
       Ich werbe für eine verbindende Partei, die Modernisierungsoptimisten wie
       -skeptiker gleichermaßen anspricht und sich dem konservativen Zeitgeist
       entgegenstemmt.
       
       Oskar Lafontaine sieht das anders. 
       
       Wir sind eine freie Linke mit freier Meinung, und es gehört zu einer
       pluralistischen Partei, dass nicht alle von allen gleichermaßen überzeugt
       sein müssen
       
       Herr Lafontaine hat nach der Bundestagswahl gepostet, dass Sie und Bernd
       Riexinger bei den Wählern nicht ankommen, sich aber trotzdem nie mit der
       Spitzenkandidatur der beiden Fraktionschefs Sahra Wagenknecht und Dietmar
       Bartsch abgefunden hätten. Sägt Lafontaine an Ihrem Stuhl? 
       
       Das müssen Sie ihn selber fragen. Ich streite für eine aktive linke
       Mitgliederpartei.
       
       Herr Lafontaine nicht? 
       
       Ich beschreibe meine Position. Ich empfehle allen, seine Facebook-Einträge
       zu lesen und zu sehen, welche Kommentare er da unwidersprochen stehen
       lässt. Da erklärt sich vieles selbst, wie ich finde. Es gibt offensichtlich
       in der Linken eine gewisse Sehnsucht nach einem autoritären Führungsstil.
       Ich glaube aber, dass man in Zeiten der Digitalisierung nicht mit den
       Herrschaftsmethoden des Fordismus Politik machen kann. Ich möchte, dass
       unsere Mitglieder nicht nur applaudieren und Flyer verteilen, sondern
       vielmehr selbstständige Akteure sind.
       
       Die Angriffe auf Sie nehmen zu. In einem Text im Neuen Deutschland werden
       Sie als naiv und neoliberal bezeichnet, in Kommentaren auf Facebook als
       noch Schlimmeres. Prallt das an Ihnen ab?
       
       Das hängt von der Tagesform ab. Mich ärgert aber diese Politik der
       Verunklarung, wenn ich beleidigt werde oder wenn mir die persönliche
       Integrität abgesprochen wird, anstatt den Konflikt in der Sache zu führen.
       
       Sie wollen diese Angriffe nicht parieren? 
       
       Ich werde mich nicht an einer verbalen Eskalationsspirale der
       Beschimpfungen beteiligen. Da bleibe ich gelassen, aber ich werde
       leidenschaftlich, wenn es um den Charakter der Linken als Bastion der
       Flüchtlingssolidarität geht. Es geht gar nicht um meine Person. Es geht um
       einen inhaltlichen Streit. Und ich werbe dafür, dass wir gleichermaßen
       sowohl erste Adresse für jene sind, die im Kapitalismus strukturell
       benachteiligt werden, aber eben auch für all jene, auf die das nicht
       zutrifft, für die aber trotzdem Weltoffenheit und Solidarität wie
       selbstverständlich zu ihrem Lebensentwurf gehören. Soziale Gerechtigkeit
       ist die Basis aller Freiheit. Diese Gewissheit unterscheidet uns Linke von
       allen anderen Parteien, und ich finde, es ist unsere Aufgabe, das immer
       wieder zusammenzubringen.
       
       Sie diskutieren in der Linken gerade über ein Einwanderungskonzept. Im
       Wahlkampf hat die Linke offene Grenzen für alle gefordert – und mit dieser
       wolkigen Forderung auch viele Wähler an die AfD verloren. Sehen Sie ein,
       dass das ein Fehler war? 
       
       Ich würde erst mal sagen, dass wir als Linke sehr vieles richtig gemacht
       haben. Wir waren nicht nur Teil der Willkommensbewegung, wir haben auch von
       Anfang an die Fluchtursachen thematisiert. Ich habe dazu ein ganzes Buch
       geschrieben. Und wir haben eine soziale Offensive für alle eingefordert.
       Aber ja, wir haben einen Fehler gemacht. Wir haben nicht offensiv über die
       Frage, wie Einwanderung vorstellbar ist, diskutiert. Da sollten wir uns
       ehrlicher machen.
       
       Zur Ehrlichkeit gehört auch, dass ein Teil der Wähler und der Mitglieder
       Einwanderung begrenzen möchte. Sahra Wagenknecht hat viel Zustimmung
       erfahren für ihre Kritik, dass Deutschland Ärzte aus armen Ländern abwerbe
       und seine Fachkräfte doch lieber selbst ausbilden solle. 
       
       Da Deutschland längst ein Einwanderungsland ist, muss es auch um die
       Verrechtlichung des Zuzugs und der sozialen Teilhabe gehen. Darüber hinaus
       geht es um eine Demokratisierung der Grenze. Die Frage ist doch, wie wir
       das in eine handelnde linke Politik übersetzen können. Diejenigen, die
       Bewegungsfreiheit als Ziel haben, legten mit ihrem Einwanderungskonzept
       jetzt einen Vorschlag vor. Ich finde aber, um redlich zu diskutieren,
       müssen nun jene, die die Einwanderung nicht ermöglichen wollen, jetzt auch
       mal sagen, wie sie sich das eigentlich als linkes Konzept in Zeiten der
       Globalisierung vorstellen.
       
       Sie wollen Frau Wagenknecht aus der Reserve locken und dann eine
       Richtungsentscheidung herbeiführen? 
       
       Ich möchte eine ordentliche Debatte in der Sache mit Erkenntnisgewinn für
       uns alle.
       
       Wie kommt man zwischen den extremen Forderungen, Einwanderung zu begrenzen
       und „offene Grenzen für alle“, auf einen gemeinsamen Nenner? 
       
       Zunächst gilt unser Wahlprogramm. Wir haben das mit großer Mehrheit
       verabschiedet und damit auch ein gutes Ergebnis bei der Wahl erzielt.
       Außerdem haben wir jetzt einen Debattenprozess. Das trägt zur
       Versachlichung bei. Es hat schon im Zuge der Debatte ein paar
       Erkenntnisfortschritte gegeben, und man wird sehen, wohin das am Ende
       führt. Ob das ein Gesetz wird oder ein Katalog von Rechten zur
       Einwanderung, das ist offen. Was uns übrigens alle eint, ist die Ablehnung
       der neoliberalen Einwanderungsgesetzvorschläge der anderen Fraktionen.
       Niemand von uns möchte Einwanderung nach dem Supermarktmodell, im Sinne,
       wir holen uns weltweit die besten Fachkräfte.
       
       Die Linke vereint im Dagegen. 
       
       Ja, vereint im Dagegen zum Nützlichkeitsdenken.
       
       Es gibt in der Linkspartei eine Frontstellung: Sie und Riexinger gegen das
       Bündnis von Bartsch und Wagenknecht. Lässt sich diese Konstellation
       aufsprengen? 
       
       Ich beschreibe das anders. Was Sie als Frontstellung bezeichnen, nenne ich
       das Ringen um den Kurs der Linken. Und das geschieht am besten durch den
       Austausch von Argumenten. Ich setze da auf die Kraft der konsistenten
       Argumente.
       
       Seit dem Machtkampf auf der Fraktionsklausur sind doch die Fronten
       verhärtet. Oder haben Sie sich inzwischen mit Sahra Wagenknecht versöhnt? 
       
       Natürlich war diese Fraktionsklausur sehr ärgerlich. Gerangel, wer in den
       Fraktionsvorstand kommt, gab es immer. Aber früher haben wir uns unter uns
       ausgesprochen, bis es eine Lösung gab. Jetzt hat das vor laufenden Kameras
       stattgefunden. Das war nicht das Mittel meiner Wahl, aber so war es.
       
       Haben Sie zu Frau Wagenknecht ein normales Arbeitsverhältnis? 
       
       Partei- und Fraktionsvorsitzende müssen professionell miteinander umgehen.
       Das ist mein Anspruch. Das war in der Vergangenheit nicht immer leicht.
       
       Und jetzt funktioniert die Verständigung? 
       
       Sie wird funktionieren.
       
       Reden wir noch über diesen Donnerstag: Vor der Parteizentrale findet eine
       Demo gegen Zensur statt. Anlass: Der Linken-Kultursenator Klaus Lederer
       hatte eine Preisverleihung an den Verschwörungstheoretiker Ken Jebsen
       kritisiert. War es ein Fehler von Lederer, diesen Konflikt zu eskalieren? 
       
       Ich bin sehr froh, dass sich der Parteivorstand in dieser Frage klar
       positioniert hat, nämlich gegen Querfrontlertum und für eine klare
       Solidarität mit all den Mitgliedern unserer Partei, die Querfrontlertum
       kritisieren und dann dafür Shitstorms ausgesetzt sind.
       
       Oskar Lafontaine hält den Begriff „Querfront“ für eine Erfindung der
       Geheimdienste. 
       
       So einfach kann man es sich nicht machen. Rechte ziehen immer
       Konfliktlinien entlang von ethnischen Linien, Linke entlang von sozialen
       oder ökonomischen Konflikten. Und Querfrontler versuchen genau diese
       Unterscheidung zu verwischen. Und wenn es um die Suche nach der geheimen
       Weltregierung geht – das ist in einem Roman von Dan Brown sicherlich
       unterhaltsam zu lesen. Aber politisch hilft das nicht weiter, sondern lenkt
       ab von dem notwendigen Konflikt zwischen oben und unten.
       
       Prominente Linke wie Diether Dehm beklagen, dass kritische Geister allzu
       leichtfertig als Querfrontler kritisiert würden. 
       
       Ach, Diether Dehm. Er schreibt übrigens gute Bücher. Seinen Roman „Bella
       Ciao“ habe ich wirklich gern gelesen. Er sollte viel mehr solche Bücher
       schreiben.
       
       Das ist aber ein vergiftetes Kompliment. 
       
       Nein, nein, das sage ich jetzt als studierte Literaturwissenschaftlerin.
       Und als Parteivorsitzende habe ich gelernt, dass es gut ist, immer die
       besonderen Fähigkeiten von Menschen zu sehen. Und zu Diethers Stärken
       gehört sein literarischer Schreibstil.
       
       13 Dec 2017
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Stefan Reinecke
 (DIR) Anna Lehmann
       
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