# taz.de -- Bündnis will Brexit kippen: Allianz der Gestrigen
       
       > Die Front der britischen Brexit-Gegner, unter ihnen Ex-Premier Tony
       > Blair, organisiert sich. Als Erstes wollen sie Labour von den Linken
       > zurückerobern.
       
 (IMG) Bild: In kleinen Schritten Richtung EU?
       
       BERLIN taz | Der Rücktrittsbrief hatte es in sich. „Brexit ist ein
       populistischer, nationalistischer Reflex“, schrieb der scheidende Chef der
       britischen Infrastrukturkommission an Premierministerin Theresa May. „Eine
       verantwortungsbewusste Regierung würde das britische Volk darin führen, in
       Europa zu bleiben, und zugleich mit Leidenschaft die sozialen und
       ökonomischen Probleme in Großbritannien angehen, die zum Brexit-Votum
       beitrugen. Leider ist Ihre Politik das Gegenteil. Die Regierung braust
       Richtung EU-Notausgang ohne glaubwürdigen Plan.“
       
       Autor dieses Schreibens war Lord Adonis, Labour-Mitglied im Oberhaus, 2015
       vom damaligen konservativen Finanzminister George Osborne an die Spitze der
       Infrastrukturkommission berufen – eines beratenden überparteilichen
       Gremiums für Großprojekte. Seinen Rücktritt erklärte er am 29. Dezember,
       dem letzten Werktag des Jahres 2017. Damit positioniert sich Andrew Adonis,
       wie er mit bürgerlichem Namen heißt, als Anführer derer, die sich das Ziel
       gesetzt haben, 2018 den britischen EU-Austritt zu verhindern.
       
       Denn viele der Brexit-Gegner, die bei der Volksabstimmung vom Juni 2016 mit
       48 Prozent unterlagen, denken nicht daran, den Brexit tatsächlich
       stattfinden zu lassen. Und sie werden immer zuversichtlicher. Sie erwarten,
       [1][dass Theresa May über die Brexit-Verhandlungen mit der EU stürzt] und
       vorgezogene Neuwahlen eine [2][EU]-freundliche Regierung an die Macht
       bringen, die den Austrittsprozess stoppt.
       
       Bereits vor einem Jahr setzten sie vor dem Obersten Gericht durch, dass die
       Aktivierung des Artikels 50 der EU-Verträge – also des auf zwei Jahre
       angesetzten EU-Austrittsprozesses – vom Parlament beschlossen werden
       musste. Nachdem dies geschah, wechselten sie die Argumentationslinie: Die
       Aktivierung von Artikel 50 sei illegal, heißt es in einer neuen Klage: das
       Referendum war nicht rechtlich bindend, also habe sein Ergebnis keine
       Rechtskraft und das Parlament könne es nicht per Votum umsetzen. Die Klage
       wurde am 22. Dezember eingereicht.
       
       ## Man setzt auf Regierungswechsel
       
       2018 würden die Abgeordneten Brexit komplett stoppen, prophezeite Nick
       Clegg, ehemaliger Liberalenchef und 2010–15 Vizepremier, diese Woche [3][in
       der Financial Times]. Cleggs Szenario: Das Parlament lehnt den
       Austrittsdeal ab, den May ihm nach Abschluss der Gespräche mit Brüssel
       vorlegen muss. Das führt zu „politischen Turbulenzen, möglicherweise mit
       einem Führungswechsel bei den Konservativen und Neuwahlen“, und die EU
       werde dann sicher „einen Weg finden, den Artikel-50-Prozess zu
       suspendieren“. Nick Clegg – der bei den Wahlen 2017 seinen Parlamentssitz
       verlor – fühlt sich als Gewinner, seit die Abgeordneten im Dezember sein
       neues Buch „How To Stop Brexit“ zum „Buch des Jahres“ erkoren und die Queen
       ihn zum Jahresende in den Adelsstand erhob.
       
       Tony Blair – Labour-Premier 1997 bis 2007 – erklärte schon im Februar, es
       sei seine „Mission“, den Brexit rückgängig zu machen. Die Forderung nach
       einem zweiten Referendum, in dem die Briten über das Ergebnis der
       Brexit-Gespräche abstimmen, wird oft erhoben. Aber solange Umfragen einer
       Brexit-Ablehnung keinen Rückenwind geben, setzt man eher auf
       Regierungswechsel.
       
       Dafür muss aber die Labour-Opposition auf Kurs gebracht worden.
       Labour-Führer Jeremy Corbyn ist kein EU-Freund. Als Anführer eines
       leidenschaftlichen Anti-Brexit-Wahlkampfes ist er ungeeignet. Hier kommt
       nun der Vorstoß von Lord Adonis ins Spiel: In öffentlichen Stellungnahmen
       seit seinem Rücktritt hat er klargemacht, dass er den Brexit mit Labour
       verhindern möchte. Zum Vorbild erklärt er Clement Attlee,
       Labour-Premierminister ab 1945, als nach dem Zweiten Weltkrieg der
       Sozialstaat entstand.
       
       Der Name, der unter Brexit-Gegnern am häufigsten als [4][Corbyn]-Ersatz
       fällt, ist David Miliband – der letzte Labour-Außenminister, der nach
       Labours Machtverlust 2010 gegen seinen Bruder Ed Miliband den Kürzeren zog
       und dann als Leiter des Hilfswerks „International Rescue Committee“ in die
       USA ging. Seine Duftmarke setzte Miliband Anfang Dezember, als er der
       Financial Times sagte, der Brexit sei „verzweifelt und gefährlich“. Danach
       bestimmten drei Anti-Brexit-Gruppen Milibands ehemaligen Staatssekretär
       Mark Malloch-Brown zu ihrem Koordinator ab 2018.
       
       ## Einflussreiche Einflüsterer
       
       Karrierediplomat Malloch-Brown kommt für ein politisches Amt nicht in
       Frage. Adonis auch nicht: der Oxford-Absolvent stammt zwar aus einfachen
       Verhältnissen, hat sich aber noch nie einer Wahl gestellt und gehört als
       ehemaliger Chefberater Tony Blairs zu Zeiten des Irakkrieges zu einer
       diskreditierten Kaste einflussreicher Einflüsterer. Adonis war damals der
       Erfinder der unpopulären Studiengebühren, über die Cleggs Liberale 2015 aus
       der Regierung flogen, und das Hauptfeindbild junger linker Protestwähler,
       ohne die kein Labour-Sieg denkbar ist.
       
       Adonis macht nicht den Eindruck, dazugelernt zu haben. In einem Interview
       am Sonntag verriet er, der Rücktrittsentschluss sei ihm im Skiurlaub in
       Österreich gekommen, beim Weihnachtsgottesdienst. „Mitten in der Messe
       beschloss ich, zurückzutreten. Beim Skifahren am nächsten Tag begann ich,
       mein Rücktrittschreiben in meinem Kopf zu formulieren, während ich auf die
       Alpen blickte.“
       
       Das sei wie eine Karikatur, bemerkte Owen Jones, Autor eines vielbeachteten
       Buches über die britische Arbeiterklasse. Auf Twitter schrieb Jones:
       „Nichtgewählte Lords, die beim Ski in Österreich über den Rücktritt von
       Tory-Berufungen reden, erklären sich selbst zum Volkstribun gegen
       Referendumsergebnisse? Wird Lord Adonis dafür von Nigel Farage bezahlt?“
       
       3 Jan 2018
       
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