# taz.de -- Welterbe in Wien: Glücklich ist, wer vergisst
       
       > Ein schillernder Risikokapitalmanager tritt auf den Plan – und Wien gibt
       > trotz Protesten im In- und Ausland sein Weltkulturerbe preis.
       
 (IMG) Bild: Wegen dieses Turms riskiert Wien seien Welterbe-Status
       
       Am 1. Februar läuft das Ultimatum ab, das die Unesco der Republik
       Österreich gestellt hat. Bis dahin fordert das Welterbe-Komitee ein
       Bekenntnis dazu, dass die Pläne für ein Hochhaus im Unesco-geschützten
       Zentrum Wiens revidiert – und endlich seriöse Konzepte für die
       Innenstadtentwicklung erarbeitet werden. Andernfalls wird die City
       kommenden Sommer ihren Welterbe-Titel verlieren. Doch nichts deutet darauf
       hin, dass Österreichs Politik nach jahrelangem Ignorieren aller Kritiken
       kurz vor Verstreichen der Frist noch umschwenkt. Kategorisch ausgeschlossen
       hat dies bereits das Wiener Rathaus, das behauptet, selbst zu wissen, was
       für die Stadt gut sei – und das umstrittene Bauprojekt von Anfang an
       unterstützte.
       
       Projektbetreiber ist der schillernde Risikokapitalmanager Michael Tojner,
       dessen Geschäftsfreunde 2008 ein 10.000 Quadratmeter großes Grundstück
       unweit der Wiener Ringstraße von der öffentlichen Hand erwarben – laut
       Rechnungshof für weniger als die Hälfte des erzielbaren Preises. Nach Kauf
       des benachbarten Hotels Intercontinental – eines sanierungsbedürften 43
       Meter hohen Riegels aus den 60er Jahren – übernahm der Investor 2012 auch
       das vom Wiener Eislaufverein genutzte Areal seiner Businesspartner, um in
       bester Lage einen multifunktionalen Komplex mit Wohn-, Hotel-, Kongress-,
       Gastronomie- und Freizeitnutzungen zu entwickeln sowie das gesamte, etwas
       heruntergekommene Gebiet neu zu gestalten.
       
       Letzteres rückte die rot-grüne Stadtregierung als geradezu historische
       Chance in den Vordergrund und rechtfertigte das Großprojekt als notwendige
       Voraussetzung für die erhoffte Aufwertung des Freiraums durch den
       Immobilienentwickler. Nicht zum ersten Mal trat die Wiener Stadtplanung
       fortan als Partner, ja beinah als Dienstleister des Investors auf. Die
       städtebaulichen Ziele für den Standort stammten nicht etwa von der
       Planungsbehörde, sondern vom Projektwerber selbst. Und keine
       Planungsbeamten befanden über die angemessenen Dichten und Höhen, sondern
       ein von Tojner bezahltes Team. Dieses empfahl 2012, auf Basis eher
       beliebiger stadträumlicher Überlegungen, als Höhepunkt des Karrees ein
       „identitätsstiftendes Gebäude mit Leitfunktion und Signalwirkung“, das mit
       73 Metern ganze 30 Meter über jenem Maximalwert lag, den die Unesco in
       Anlehnung an die Maßstäblichkeit der benachbarten Hotelscheibe schon vorab
       als gerade noch stadtbildverträglich definiert hatte.
       
       Die breite Empörung über einen derartigen Dimensionssprung am Rande der
       Altstadt, scheinbar allein auf Wunsch eines Investors, jedenfalls aber ohne
       jegliches übergeordnete Konzept, ließ das Rathaus schließlich doch noch
       einen Masterplan für die gesamte Ringstraßenzone ausarbeiten, um den
       städtebaulichen Entwurf zumindest nachträglich zu rechtfertigen. Und da das
       Hochhauskonzept von 2002 einen Tower im Welterbe-Gebiet untersagte,
       beauftragte das Rathaus ein neues, „flexibleres“ Regelwerk. Vor Beschluss
       des Konzepts Ende 2014, also im Widerspruch zu den damals noch gültigen
       alten Hochhausrichtlinien, wurde ein Architekturwettbewerb für das
       Tojner-Projekt durchgeführt, der vom Brasilianer Isay Weinfeld für sich
       entschieden wurde und die kritische Planerszene Wiens besänftigen sollte.
       
       ## Protest gegen die Preisgabe politischer Verantwortung
       
       Doch stießen sich die Architektenkammer, sämtliche unabhängigen
       Architekturinstitutionen, die Gemeinderatsopposition sowie namhafte
       Fachleute aus dem In- und Ausland nicht so sehr am Hochhaus an sich, als an
       der seit Jahrzehnten üblichen, diesmal aber allzu durchsichtigen Willkür
       planungspolitischer Entscheidungen – gegen die Grundsätze einer seriösen,
       demokratischen Stadtplanung und zum Nutzen einzelner Geschäftemacher. Wien
       erweist sich seit den 1990er Jahren als keineswegs reaktionäre,
       hochhausfeindliche Stadt, auch wenn die heute zu Dutzenden in den Himmel
       ragenden Türme mangels konkreter städtebaulicher Vorgaben selten jene
       „urbane Anreicherung“ darstellen, die ihre Macher ein ums andere Mal
       versprechen.
       
       Auch der Protest Hunderter namhafter Kunst- und Kulturschaffender,
       durchwegs Vertreter des progressiven Lagers der österreichischen
       Gesellschaft, war kein Festklammern am bedrohten Welterbe-Titel. Er galt
       der leichtfertigen Preisgabe jener kulturpolitischen Verantwortung, zu der
       sich Österreich staatsvertraglich gegenüber der Unesco verpflichtet hatte –
       sowie der populistischen Stimmungsmache der Hochhausbefürworter, allen
       voran von Wiens sozialdemokratischem Bürgermeister Michael Häupl, gegen das
       Welterbe-Komitee und andere Kritiker.
       
       Um den Bundespräsidentschaftswahlkampf ihres Parteifreundes Alexander Van
       der Bellen nicht zu belasten, verordnete Wiens grüne Vizebürgermeisterin
       und Planungsstadträtin Maria Vassilakou 2016 öffentlichkeitswirksam ein
       „Vermittlungsverfahren“ zum geplanten Projekt – freilich ohne Einbindung
       der Unesco. Das Ergebnis war eine Reduktion der Turmhöhe um sieben Meter,
       bei gleichzeitiger Vergrößerung des Gesamtvorhabens um 25 Prozent.
       
       Speziell die Parteibasis der Wiener Grünen, die vor ihrer
       Regierungsbeteiligung 2010 gegen derartige Gunst-Planungen Sturm gelaufen
       waren, vermochte sie damit nicht zu überzeugen. Die parteiinternen
       Projektgegner gewannen in einer erzwungene Urabstimmung aller Mitglieder
       darüber, wie die Grünen Abgeordneten im Gemeinderat über Tojners
       Bauvorhaben abstimmen sollten. Doch setzte sich Vassilakou darüber hinweg
       und verlieh mit ihren Gefolgsleuten im Frühling 2017 den Plänen des
       Investors Rechtskraft: Für viele ein Verrat urgrüner Werte – und Mitgrund
       für die vernichtende Niederlage der Partei bei den Nationalratswahlen im
       darauf folgenden Herbst.
       
       ## Ein Glück, dass das Gros der Österreicher gleichgültig ist
       
       Als wenig später noch eine Spendenaffäre um Wiens grünen Planungssprecher
       Christoph Chorherr publik wurde, der für seine humanitären Aktivitäten über
       Jahre hohe Summen ausgerechnet aus der Immobilienszene erhielt, war die
       Glaubwürdigkeit der Stadtpartei am Boden angelangt. Nun zeigten auch jene
       Medien wieder ihre Zähne, die sich davor – bedingt durch persönliche
       Verbundenheit oder auch wirtschaftliche Abhängigkeit von den Inseraten des
       sozialdemokratisch dominierten Rathauses und der Bauwirtschaft – für
       Michael Tojners Projekt ins Zeug gelegt hatten.
       
       Welch Glück für alle Beteiligten, dass das Gros der Österreicher mit
       Gleichgültigkeit und Vergesslichkeit gleichermaßen gesegnet ist. Schon der
       Beschluss der Unesco im vergangen Sommer, Wiens Innenstadt auf die Rote
       Liste des gefährdeten Welterbes zu setzen, hätte zumindest heftige Debatten
       wie einst in Köln oder Dresden auslösen müssen, tat es aber keineswegs. Und
       auch die nun bevorstehende Streichung von der Welterbe-Liste werden die
       Verantwortlichen wohl ohne Imageschaden überstehen – zumindest im Inland.
       Im Ausland wird man sich wohl seinen Teil denken, wenn Österreich
       ausgerechnet im Europäischen Jahr des Kulturerbes und zu Beginn seiner
       EU-Ratspräsidentschaft im Juli regungslos zusieht, wie die Unesco offiziell
       die Zerstörung des Welterbes Wien proklamiert.
       
       Zwar hat die neue schwarz-blaue Bundesregierung in ihrem Programm
       vollmundig angekündigt, zum Schutz des Weltkulturerbes in die Bau- und
       Raumordnungen von Ländern und Kommunen eingreifen zu wollen. Immerhin
       hatten beide Parteien noch im Vorjahr im Wiener Gemeinderat gegen Tojners
       Hochhaus gestimmt, allen voran der nunmehrige Kanzleramts- und
       Kulturminister Gernot Blümel. Doch scheinen die Interessen des Investors im
       rechten Lager ebenso gut aufgehoben wie im linken. Vielleicht klappt es ja
       beim nächsten Mal. Denn Österreich hat noch andere Welterbestätten, die vor
       bauwirtschaftlichen Begehrlichkeiten keineswegs sicher sind – und auch Wien
       setzt weiter auf Hochhäuser, ohne stadtplanerisches Konzept.
       
       30 Jan 2018
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Reinhard Seiß
       
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