# taz.de -- Berlinale-Eröffnungsfilm „Isle of the Dogs“: Die Underdogs von Trash Island
       
       > Wes Anderson solidarisiert sich mit den Ausgegrenzten in seinem wunderbar
       > altmodisch-eckigen Animationsfilm „Isle of Dogs“.
       
 (IMG) Bild: Wes Andersons Staraufgebot: Hunde und Humanoide
       
       Die ersten Anzeichen waren auf dem Weg ins Kino zu sehen. Da klebten an
       einem Laternenpfahl unweit des Potsdamer Platzes Zettel mit der Aufschrift
       „Vermisst: Spots“, darunter die Zeichnung eines Hundes mit weißem Fell und
       ein paar schwarzen Flecken darin. Erstaunlich aufwändig gestaltet für einen
       Suchaufruf, daher allemal auffällig, selbst im Vorbeifahren.
       
       Allein: Spots ist kein entlaufener vierbeiniger Freund eines Berliner
       Haushalts. Nein, vielmehr ist er in Wes Andersons Animationsfilm „Isle of
       Dogs“, mit dem die Berlinale gestern eröffnete, der Leibwächterhund des
       Jungen Atari, dem Mündel von Bürgermeister Kobayashi in der fiktiven
       japanischen Stadt Megasaki.
       
       Man schreibt ein Jahr in der näheren Zukunft. Die Hunde sind offiziell zum
       Risiko für die Menschen erklärt worden, da sie mit Hundegrippe infiziert
       sind. Zum Schutz vor einer drohenden Epidemie verbannt der Bürgermeister
       die Vierbeiner auf die Mülldeponie „Trash Island“, die so weit vor der
       Stadt im Meer gelegen ist, dass man ihre Hochhäuser gerade noch erkennen,
       aber nicht mehr dorthin schwimmen kann, auch als Hund nicht.
       
       Die sich selbst überlassenen Tiere sind es, denen sich der Film fortan
       widmet. Ihrem Kampf um Essbares in den städtischen Abfällen, ihrer
       zunehmenden Verzweiflung über die hoffnungslose Lage und ihren wehmütigen
       Erinnerungen an bessere Tage, als ihre Herrchen und Frauchen sie noch mit
       exquisitem Hundefutter versorgten – Steak vom Kobe-Rind zum Geburtstag,
       immerhin.
       
       ## Die Protagonisten sind Puppen
       
       Jetzt können sie sich zwischen Bergen aus Metallschrott, stumpf-bunten
       Glasflaschen und radioaktivem Gerümpel die Zeit vertreiben. Sie vegetieren
       in einer Landschaft, die so pedantisch planiert, geschichtet und zu einem
       surreal-leblosen Gebirge arrangiert ist, dass man sich fragt, wie dort
       überhaupt Ratten und das ganze Ungeziefer leben können, mit denen sich die
       Hunde tagtäglich herumschlagen müssen.
       
       „Isle of Dogs“ ist, wie schon Andersons „Der fantastische Mr. Fox“ von
       2009, ein im Stop-Motion-Verfahren gedrehter Film, in dem die Protagonisten
       allesamt Puppen sind. Die Menschen haben wächserne Gesichter, bewegen sich
       in dieser altertümlichen Eckigkeit, während die Hunde mit derbem
       Stofftierfell ausgestattet sind, auf dem bloß die ungastliche Umgebung ihre
       Schmutzspuren hinterlassen hat. Auch sie verschweigen in ihrer statischen
       Körperhaltung nicht, dass sie aus Materie sind, die mühsam Bild für Bild
       belebt werden muss und sich nicht von selbst in einen fließenden Hundetrab
       versetzt.
       
       Die Hunde artikulieren sich im Film auf Englisch, mit den Stimmen von Stars
       wie Bill Murray, Tilda Swinton, Edward Norton oder Greta Gerwig, während
       die Menschen Japanisch sprechen – hier konnte man unter anderem Yoko Ono
       gewinnen. Manches davon wird übersetzt, vieles nicht. Auch nicht, als die
       Hunde von Atari Besuch bekommen, der sich auf die Suche nach seinem
       geliebten Spots gemacht hat. Was er sagt, muss man sich selbst
       zusammenreimen.
       
       Diese bewusste Sprachverwirrung löst Anderson, indem er die Hunde die Worte
       des Jungen interpretieren lässt und so für alle Zuschauer verständlich
       macht, die des Japanischen nicht mächtig sind. Ähnlich wie bei den
       Wahlkampfauftritten von Bürgermeister Kobayashi, bei denen eine
       Dolmetscherin simultan ins Englische überträgt.
       
       ## Die Detailarbeit
       
       Die Kommunikation zwischen Mensch und Tier ist in diesem Setting allemal
       vermittlungsbedürftig. Interessant daran, dass die Mehrheitssprache, das
       Englische, von den Underdogs gesprochen wird, den Ausgegrenzten, die
       zunächst auf wenig mehr als den Protest von ein paar Tierschützern zählen
       können, ansonsten aber kaum Solidarität von den Menschen zu erwarten haben.
       Die Sympathien der Zuschauer sind ihnen dafür umso sicherer.
       
       Kleine Irritationen wie dieses Spiel mit den Sprachen sind es, die „Isle of
       Dogs“ seinen Reiz verleihen und großzügig über die eher übersichtlich
       gehaltene Moralgeschichte des Drehbuchs hinwegsehen lassen. Wobei das
       eigentlich Begeisternde an der Sache die Ausstattung und Detailarbeit des
       Films sind. Man sieht nur zu gern in diese künstlichen Hundeaugen, folgt
       ihnen durch Ödnisse, die trist und trotzdem aufregend fremd sind.
       
       Hinzu kommen Einfälle wie die Darstellung von Kamerabildern als
       Zeichentrickfilmsequenzen oder der sorgsame Soundtrack von Alexandre
       Desplat, in dem gern wuchtige japanische Taiko-Trommeln von Unheil künden –
       oder zumindest von einer sich zuspitzenden Lage. Eine starker Auftakt für
       die Berlinale, der zweite für Anderson: Dass der Regisseur, wie schon 2014
       für seinen Berlinale-Eröffnungsfilm „Grand Budapest Hotel“, erneut einen
       Bären davonträgt, ist keinesfalls ausgeschlossen.
       
       15 Feb 2018
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Tim Caspar Boehme
       
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