# taz.de -- Start-ups in Kenia: Geburtshilfe per SMS
       
       > Mobiltelefone gibt es in Kenia überall, Ärzte aber nicht. Felix Kimaru
       > brachte das auf eine Idee. Seitdem hilft er Schwangeren und ihren Babys.
       
 (IMG) Bild: Das Ziel von Totohealth: Keine Frau soll mehr im Kindbett sterben
       
       NAIROBI taz | Felix Kimaru, 29 Jahre alt, kräftiger Typ mit herzlichem
       Lachen, beugt sich über einen Schreibtisch im „iBiz Africa“. So heißt einer
       der zwölf Arbeitsbereiche der Tech-Szene in Kenias Hauptstadt Nairobi. Das
       iBiz befindet sich im Dachgeschoss der Eliteschule Strathmore Business
       School. Wie jeder Spanholztisch ist auch der von Kimaru mit einem kleinen
       Sichtschutz umstellt – damit es ruhig ist in dem Großraumbüro mit seinen
       rund 80 Arbeitsplätzen.
       
       Vier der Programmierer hier arbeiten für ihn und „Totohealth“ – auf
       Deutsch: Kindergesundheit – ein Start-up, das nach einem Schicksalsschlag
       gegründet wurde: Im Dezember 2013 starb Kimarus Tante. Sie war schwanger,
       aber sie wusste nicht, dass es Zwillinge waren. „Bei uns bringen Frauen
       traditionell ihre Kinder zu Hause zur Welt, mit Hilfe aus dem Dorf“,
       erklärt Kimaru. „Aber Zwillinge können nur Hebammen entbinden. Deshalb
       haben wir nicht nur meine Tante verloren, sondern auch ihre Babys.“
       
       Kimaru will verhindern, dass es anderen Frauen ähnlich ergeht. Noch stirbt
       in Kenia jede 200. Frau im Kindbett. Der kenianische Staat und
       internationale Entwicklungsorganisationen versuchen seit Jahren, die
       Sterblichkeit zu senken. Doch es geht nur langsam voran. Deshalb beschloss
       Kimaru, selbst nach einer Lösung zu suchen.
       
       Wie kann ich meine Fähigkeiten als Programmierer nutzen, um Schwangere zu
       bewegen, in die Klinik zu gehen, fragte er sich. Und das mit minimalen
       Kosten. Er besuchte Krankenhäuser und Geburtsstationen, fotografierte
       Poster, auf denen stand, wie oft eine schwangere Frau untersucht werden
       soll und wozu ein gesundes Baby in welchem Alter fähig ist. Diese Infos
       presste er in SMS-Nachrichten – und schrieb einen Algorithmus, der
       ausgehend vom Datum der letzten Periode Frauen per Handy an Arzt- und
       Impftermine erinnert.
       
       ## Lauter neue Start-ups
       
       Felix Kimaru ist nicht der Einzige, der so denkt: Timothy Kimema, der junge
       Mann im Sakko schräg gegenüber, arbeitet an der Internet-Plattform PregMum
       für Schwangere. Drei Schreibtische weiter lanciert Adelaide Odiambo, eine
       junge Frau in Tweedrock und Perlenstrumpfhose, die
       Mikro-Krankenversicherung Blue Wave. Das Start-up Flare, eine Art Uber,
       über das sich Krankenwagen lokalisieren lassen, soll bald auch in anderen
       Ländern Afrikas genutzt werden.
       
       In Nairobi begann, was sich in Nigeria, Uganda und Ghana fortsetzte.
       Programmierer und Fachleute entwickeln Apps, Internetplattformen und
       Serviceleistungen, um die drängendsten Probleme in ihren Ländern zu lösen:
       in der Landwirtschaft, dem Verkehr, dem Finanzbereich, im Onlinehandel –
       und im Bereich Gesundheit.
       
       Sogenannte Hubs, Treffpunkte der Tech-Szene, wo Blogger und Programmierer
       ihre Ideen weiterentwickeln, findet man in Kenia inzwischen auch in der
       Provinz. Das deutsche Pharmaunternehmen Merck aus Darmstadt hat so eines
       gebaut. Darin richtet es Ideenwettbewerbe im Bereich Gesundheit aus, um ein
       „Gefühl für den afrikanischen Markt“ zu bekommen. Den Gewinnern winken
       Geld, ein Arbeitsplatz und Mentoren, die ihnen zur Seite stehen, um ihr
       Produkt zur Marktreife zu bringen.
       
       ## M-health liegt im Trend
       
       M-health, „mobile health“ ,nennt man das, wenn Menschen versuchen, mithilfe
       von Mobiltelefonen Krankheiten zu diagnostizieren oder Lücken bei
       staatlichen Gesundheitsleistungen zu schließen. M-health-Anwendungen gibt
       es auch in Europa. Hierzulande entwickeln Ärzte und Programmierer Apps, die
       beispielsweise Hautkrankheiten per Foto diagnostizieren.
       
       Gerade auf dem afrikanischen Kontinent, wo ein einziger Arzt im
       Durchschnitt 10.000 Menschen versorgen muss, sind die Erwartungen an
       M-health hoch. Denn inzwischen besitzen dort fast 80 Prozent aller Menschen
       ein Handy. Zudem sind M-health-Lösungen günstig: Mit 10.000 Euro lässt sich
       aus einer Idee ein Produkt entwickeln, das später Tausende von Menschen
       erreicht – und irgendwann selbst Gewinne erzielt. Ein einziger
       Entwicklungshelfer kostet im Jahr etwa das Vierfache.
       
       Darauf sind auch die Industrieländer aufmerksam geworden. Mit
       Investitionen in m-Health-Start-ups wollen sie junge Leute überzeugen, in
       ihren Heimatländern zu bleiben. Im Dezember 2016 richtete die Deutsche
       Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit GIZ in Nairobi einen
       „Hackathon“, eine Art Kreativwettbewerb für Softwareentwickler, zum Thema
       Aufklärung und Prävention aus. Drei Gewinnerteams erhielten Geld und
       bekamen Mentoren. Eines dieser Teams beschäftigt sich mit Schwangerschaften
       – wie Totohealth und sein Gründer Felix Kimaru.
       
       ## Eine Ärztin und drei Mitarbeiter
       
       Kimaru erarbeitete sich schon vor drei Jahre Fördergelder, wurde
       aufgenommen in ein Mentorenprogramm, stellte eine Ärztin und drei
       Mitarbeiter ein. Er hängte Werbeplakate in Krankenhäusern aus. Totohealth
       zog weitere Gelder an, bestand den Test für M-Health-Anwendungen des
       Gesundheitsministeriums. Und das Team entwickelte die Anwendung weiter.
       
       Per SMS fragt Totohealth seine Abonnentinnen auch, ob ihr Kind bereits
       fähig ist, zu sitzen oder zu sprechen, oder bittet sie, die Fußstellung des
       Neugeborenen zu kontrollieren. So hilft der SMS-Service auch dabei,
       Fehlentwicklungen wie Klumpfüße frühzeitig zu erkennen – und Behinderungen
       zu vermeiden. Bemerken Abonnentinnen ein Problem, bekommen sie weitere
       Textnachrichten, die dem Problem auf den Grund gehen und die Frauen, wenn
       nötig, ans Krankenhaus verweisen.
       
       „So wurde sich eine Totohealth-Abonnentin bewusst, dass ihr Kind längst
       laufen sollte“, erzählt Kimaru. Sie ging ins Krankenhaus. Dort wurde eine
       Rachitis diagnostiziert – gerade noch rechtzeitig, um das Kind mit Vitamin
       D zu heilen.
       
       ## Erfolgreicher als jede andere Organisation
       
       „Wir wollen sicherstellen, dass alle Frauen im Krankenhaus gebären“, sagt
       Kimaru. Im ganzen Land tut das insgesamt nur jede zweite Frau. Betrachtet
       man nur die Totohealth-Nutzerinnen, gehen 92 Prozent in eine Klinik. 77
       Prozent lassen ihre Kinder impfen. „Da ist zwar noch Luft nach oben“, sagt
       Kimaru. „Aber wir sind erfolgreicher als jede andere Organisation oder
       jeder andere Service im ganzen Land.“
       
       Unabhängige Studien über die Wirksamkeit von M-health gibt es keine. Sie
       wären wohl viel zu aufwendig, sagt Titus Kühne, Leiter des Instituts für
       computergestützte Medizin an der Charité in Berlin. „Interventionsstudien
       kosten schnell mehrere Millionen Euro“, sagt er. „Deshalb verzichtet man in
       vielen medizinischen Bereichen darauf.“
       
       Titus Kühne war Mitglied in der Jury, die die Gewinner des
       GIZ-Ideenwettbewerbs auswählte. Er hält Investitionen in M-health-Lösungen
       für sinnvoll. „Mit wenig Mitteln lässt sich womöglich viel erreichen“, sagt
       Kühne. Aber sie müssten besser koordiniert sein. „Diverse Geberländer
       fördern viele verschiedene Anwendungen, die sich auf dasselbe Problem
       konzentrieren“, kritisiert Kühne. „Dadurch verschwenden sie Zeit und Geld.“
       
       ## Der Staat darf sich nicht zurückziehen
       
       Es gebe es in der afrikanischen Start-up-Szene viele positive Beispiele für
       Innovationen im Gesundheitssektor, sagt Kühne. „Sie können aber auch dazu
       führen, dass staatliche Kernaufgaben schleichend privatisiert werden und
       die Regierungen ihrer Verantwortung nicht mehr nachkommen.“ Deshalb sollten
       die Staaten sich für eine standardisierte M-health-Anwendung im Bereich
       Schwangerschaftsvorsorge entscheiden, diese flächendeckend einführen und
       finanzieren. „Lösen kann M-health das Problem der Müttersterblichkeit aber
       alleine nicht.“
       
       Eine Reise durch das Land zeigt, wie vielschichtig die Probleme sind: Viele
       Frauen haben überhaupt nicht die Möglichkeit, in ein Krankenhaus zu
       gelangen. Weil in der Regenzeit viele Straßen unbefahrbar sind. Weil manche
       Dörfer in Funklöchern liegen und die Menschen keinen Krankenwagen rufen
       können. Weil in manchen Krankenhäusern nur noch ein einziger Krankenwagen
       fährt.
       
       Deshalb werden in entlegenen Gebieten Geburtsstationen gebaut. Dort gebären
       viele Frauen unter dem Display-Licht von Smartphones, weil es keinen Strom
       gibt. Und die Geburtshilfe kostet Geld. Zwar erledigen auch traditionelle
       Hebammen ihre Arbeit nicht umsonst. Doch die geben sich zufrieden mit einem
       Huhn oder einem Stück Schwein.
       
       ## Die Fördergelder sind fast aufgebraucht
       
       Inzwischen sind 145.000 Mütter in Kenia und auch in Tansania bei Totohealth
       registriert. Bis vor Kurzem war der SMS-Dienst noch kostenlos. Jetzt sind
       die Fördergelder fast aufgebraucht. Die Frage ist, wie es nun weitergeht.
       
       „Wir sind keine NGO“, betont Kimaru. „Die überleben nur so lange, wie die
       Entwicklungsgelder reichen. Wir wollen uns selbst tragen.“ Deshalb bezahlen
       registrierte Eltern künftig umgerechnet 1,50 Euro pro Jahr, um Totohealth
       zu nutzen. Wer das Geld nicht sofort hat, kann auch in Raten zahlen.
       
       Felix Kimaru jedenfalls ist zuversichtlich, denn vor einem Jahr hatte er
       eine Geschäftsidee, aus der er nun zusätzlich Einkünfte gewinnt. „Viele
       Mütter, die ins Krankenhaus gehen, um ein Kind zu gebären, haben nichts
       dabei als ihre eigenen Kleider“, sagt er. „Deshalb haben wir ein Starterkit
       für die ersten Wochen des Kindes zusammengestellt.“ „Totopack“ heißt dieses
       Kit – ein Paket mit Windeln, Wundcreme, Moskitonetz und Wickeltuch. Das
       können angehende Eltern für umgerechnet 16 Euro bei Totohealth bestellen,
       geliefert wird per Post. Innerhalb eines Jahres hat er schon 800 Päckchen
       verkauft.
       
       10 Mar 2018
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Julia Maria Amberger
       
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