# taz.de -- Leiharbeit in der Altenpflege: „Ich geh da nicht mehr hin!“
       
       > Leiharbeitsfirmen werden für Altenpflegekräfte immer attraktivere
       > Arbeitgeber. Unter anderem bietet sich ihnen dort die Möglichkeit,
       > Einsätze zu verweigern.
       
 (IMG) Bild: In vielen Pflegeheimen bleibt der Ruf nach Hilfe ohne Reaktion
       
       BREMEN taz | „Zeitarbeit in der Pflege ist immer scheiße.“ Diesen Satz sagt
       ausgerechnet der Betreiber einer Bremer Leiharbeitsfirma für
       Altenpflegekräfte. Nicht nur deswegen möchte Joachim Grunert* nicht, dass
       sein richtiger Name in der Zeitung steht. Er verleiht seine Angestellten
       unter anderem an die beiden Bremer Pflegeeinrichtungen des Betreibers
       Alloheim – allerdings nur noch in den Nachtdienst. „Für die Tagschichten
       mag ich dort niemanden mehr hinschicken“, sagt er.
       
       Als „absolut chaotisch“ beschreibt Grunert die Zustände in den Heimen von
       Deutschlands zweitgrößter Pflege-Kette: „Es gibt dort viel zu wenig und
       teilweise völlig ungeeignetes Personal, die Versorgung der Bewohner ist
       eine Katastrophe, es fehlt an Material – teilweise gibt’s dort nicht einmal
       Windeln.“ Im Nachtdienst könne das eingesetzte Personal immerhin noch
       selbst entscheiden, wie es arbeiten wolle, „da ist die Struktur ein
       bisschen anders“.
       
       Während die Einrichtung in Osterholz durch eine kompetente
       Pflegedienstleitung noch einigermaßen funktioniere, seien die Zustände im
       „Pflegezentrum Marcusallee“ katastrophal, sagt Grunert.
       
       Das sieht auch die Bremische Wohn- und Betreuungsaufsicht (Heimaufsicht)
       so: Aufgrund schwerer Mängel bei Pflege und Hygiene besteht dort seit zwei
       Wochen ein von ihr verhängter Aufnahmestopp. „Allerdings haben in beiden
       Heimen massenweise Pflegekräfte gekündigt und die Zahl der Leiharbeiter ist
       enorm hoch“, sagt Grunert.
       
       Er bestätigt, was zuvor bereits Angehörige [1][berichtet hatten], nämlich
       dass es keine Einarbeitung oder Übergabe für die LeiharbeiterInnen gibt:
       „Man wird da einfach hineingeschmissen. Wichtige Informationen müssen sich
       die Fachkräfte selbst besorgen, sie müssen die Mitarbeiter nach den Namen
       der Bewohner fragen, nach Medikamentenplänen und allem anderen, was wichtig
       ist.“
       
       Allerdings, sagt er, sei das nicht nur in den Einrichtungen von Alloheim
       so: „Es gibt ganz wenige Ausnahmen, wo man vielleicht mal einen Zettel in
       die Hand gedrückt bekommt oder sogar begleitet wird, aber insgesamt gibt es
       in den Pflegeeinrichtungen kein Konzept für Fremdarbeiter.“
       
       Dabei steigt deren Zahl kontinuierlich an. „Zeitarbeitsfirmen schießen wie
       Pilze aus dem Boden“, sagt Grunert. Und in den beiden Bremer Alloheimen
       betrage der Anteil der Leiharbeiter 50 Prozent: „Da kann man sich schon
       vorstellen, wie schlecht die Menschen dort versorgt werden.“
       
       Dabei sind die eingesetzten LeiharbeiterInnen keineswegs inkompetent. „Aber
       wie soll ich denn gut und angemessen zum Beispiel mit einem demenzkranken
       Menschen umgehen, wenn ich ihn gar nicht kenne und wenn mir nichts über ihn
       erzählt wird?“, sagt Grunert. Die Kommunikation gerade mit demenzkranken
       Menschen funktioniere oft nur durch bestimmte Themen oder einzelne
       Schlüsselwörter: „Die kennt ein Zeitarbeiter aber nicht.“
       
       Während der Einsatz von Fremdkräften für die Pflegebedürftigen schlecht
       ist, sind die Arbeitsbedingungen für die LeiharbeiterInnen indes besser als
       die Festanstellung in einer Einrichtung – und der Grund, warum sich immer
       mehr Pflegekräfte bei Zeitarbeitsfirmen beschäftigen lassen: „Sie werden
       besser bezahlt, sie haben die Wahl, Überstunden abzufeiern oder ausgezahlt
       zu bekommen, sie haben flexiblere Möglichkeiten, Urlaub zu nehmen“, sagt
       Grunert. LeiharbeiterInnen unterlägen keinem sozialen Druck innerhalb eines
       festen Teams und: „Sie dürfen Einsätze verweigern.“
       
       ## Konsequenzen für abgelehnte Aufträge drohen nicht
       
       Und das tun sie auch. In den beiden Einrichtungen von Alloheim zum
       Beispiel: „Ich habe einige Mitarbeiter, die sagen: Ich geh da nicht mehr
       hin!“, sagt Grunert. Konsequenzen für abgelehnte Aufträge drohen ihnen
       nicht: „Sollte eine Zeitarbeitsfirma die Pflegekräfte zwingen, gegen ihren
       Willen in bestimmten Einrichtungen zu arbeiten, dann kündigen die einfach –
       die kriegen immer irgendwo eine neue Stelle.“
       
       Es verwundert, dass ausgerechnet profitorientierte Betreiber wie Alloheim
       derartig viele LeiharbeiterInnen beschäftigen: Denn die sind teuer, 45 bis
       55 Euro pro Stunde und Pflegekraft müssen sie an Verleiher Grunert zahlen.
       Vermutlich fehlen ihnen schlicht die Alternativen.
       
       Dass solche Betriebe dennoch gewinnbringend arbeiten, liegt für ihn an
       radikalen Einsparmethoden: „Es wird zu wenig Personal eingestellt. Es wird
       an Pflegemitteln gespart, es fehlen technische Hilfsmittel wie Lifter und
       es wird massiv am Essen gespart.“
       
       ## Unzumutbare Verpflegung
       
       Was den HeimbewohnerInnen zu den Mahlzeiten vorgesetzt werde, sei oft
       unzumutbar, sagt Grunert. Er habe erlebt, dass eine Einrichtung keinen
       Joghurt anbiete, weil der im Einkauf zu teuer sei. „Da wurden pro Bewohner
       und Tag 2,79 Euro für Essen kalkuliert – das geht gar nicht.“
       
       Weil die Bremer Heimaufsicht personell [2][viel zu schlecht aufgestellt
       ist], ist sie kaum in der Lage, regelmäßig den Zustand in allen
       Pflegeheimen zu kontrollieren. Sie konzentriert sich auf Einrichtungen mit
       akutem Handlungsbedarf. Momentan ist das das Pflegezentrum Marcusallee von
       Alloheim, wo der Belegungsstopp bis auf Weiteres aufrecht erhalten bleibt:
       „Die Einrichtung wird sehr eng von uns betreut“, sagt David Lukaßen,
       Sprecher der Sozialbehörde, der die Heimaufsicht unterstellt ist. „Die
       Kollegen sind mindestens im Zwei-Tages-Rhythmus dort, meist täglich.“
       
       ## Verstärkte Hinweise
       
       Die Heimaufsicht, sagt Lukaßen, sei in ihrer Arbeit auf Hinweise von
       Angehörigen und Mitarbeitenden angewiesen: „Und wir stellen fest, dass
       solche Hinweise auch verstärkt kommen – durchaus auch von Leiharbeitern.“
       Das sei sehr positiv und hilfreich.
       
       Grunert indes macht sich wenig Illusionen über den Erfolg der
       Heimaufsichts-Arbeit. Er habe, berichtet er, im Laufe der vergangenen
       sieben Jahre nur ein einziges Pflegeheim erlebt, das sich nachhaltig an die
       von der Behörde erteilten Auflagen gehalten habe. „Ansonsten erlebe ich,
       dass Einrichtungen immer nur dann mal für vier oder fünf Wochen
       Pflegekräfte bei uns anfordern, wenn sie gerade unter der Kontrolle der
       Heimaufsicht stehen. Sobald die aber weg ist, wird der Personalbestand
       wieder bis aufs Nötigste runtergefahren.“
       
       *Name ist der Redaktion bekannt
       
       3 Apr 2018
       
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