# taz.de -- Konzertempfehlung für Berlin: Kontinuum über Kontinente
       
       > Joshua Abrams´ Jazz-Kollektiv Natural Information Society bringt mit
       > seinem beispiellosen Sound unterschiedlichste Instrumente zusammen.
       
 (IMG) Bild: Das Band-Kollektiv erforscht mit „Simultonality“ weiterhin Kontinuität und Wiederholung
       
       Sie ist nicht laut, aber prononciert, scheut eher das Rampenlicht und lässt
       andere strahlen, sie ist Dirigentin inmitten eines Kollektivs und eine
       Würdenträgerin ohne jeglichen Standesdünkel, denn sie weiß um ihre Herkunft
       als Instrument einer einst versklavten Bevölkerung: die Gimbri, eine
       Basslaute aus dem Nordwesten Afrikas.
       
       „Für die Beschäftigung mit Fragen der Wahrnehmung, des Zeitempfindens und
       mit Rhythmus ist die Gimbri ein sehr raffiniertes Instrument“, erzählt
       [1][Joshua Abrams] Ende März am Telefon aus New York, seiner
       Zwischenstation auf dem Weg von Chicago auf die Europatournee. „Ich kannte
       das Instrument nicht, aber als Bassist hat mich die Gimbri angesprochen.
       Ich habe dann herausgefunden, dass sie meine verschiedenen Interessen auf
       sich vereint: meine Vorliebe für sample-basierte Musik und wie ich
       gemeinsam mit anderen Musiker_innen spielen möchte.“
       
       Ein Album brachte Abrams auf die Spur der Gimbri, „The Trance of Seven
       Colors“, 1994 eingespielt vom marokanischen Gnawa-Musiker Maâlem (Meister)
       Mahmoud Ghania und dem Saxofonisten [2][Pharoah Sanders]. Angehörige der
       Gnawa sind Nachfahren von Sklaven aus afrikanischen Ländern der Subsahara,
       die in Marokko, Tunesien und Algerien heimisch wurden.
       
       Sie bildeten eigene Rituale heraus, in denen Musik eine zentrale Rolle
       einnimmt, die Gimbri ist darin die unentbehrliche Konstante für Gesang und
       Perkussionsinstrumente. 1998 reist Abrams nach Marokko und erhält dort eine
       Gimbri von Maâlem Najib Soudani. Danach fragt ihn sein Mentor und Freund,
       der Schlagzeuger Hamid Drake, regelmäßig: „Und, hast du die Gimbri wieder
       gespielt?“
       
       In Chicago ist Abrams in den Neunzigern bereits ein etablierter Musiker.
       Geboren 1973 in Boston, aufgewachsen in Philadelphia, spielt er dort in der
       Hip-Hop-Band The Roots. 1991 geht er nach Chicago und findet sich bald in
       der Velvet Lounge wieder, einem legendären Umschlagplatz für Generationen
       von Musiker_innen, gegründet vom Saxofonisten Fred Anderson (1929–2010).
       
       Die Saxofonistin Matana Roberts lädt Abrams und den Schlagzeuger Chad
       Taylor in die Hausband der Lounge ein, woraus das Trio Sticks and Stones
       entsteht. Parallel wird Abrams Mitglied im Quartett Town and Country, das
       seine Melange aus Drone und Improvisation Veranda-Minimalismus nennt.
       
       ## Ein kollektiver Gastgeber
       
       Die Band erzeugt alle Klänge live auf akustischen Instrumenten und fungiert
       für Gastmusiker_innen auch als Kollektiv – zwei Merkmale der spätere
       Natural Information Society. In Town and Country lernt Abrams das Harmonium
       kennen, ein Hybrid aus europäischem Instrumentenbau und den Erfordernissen
       indischer Musik.
       
       Ein paar Jahre später erlernt Lisa Alvarado, bildende Künstlerin und
       Lebensgefährtin von Abrams, das Harmonium eigens für die Society. Doch
       zunächst experimentiert Abrams unter dem Namen Reminder mit Samples,
       repetitiven Beats und Klangschichten, die Gäste wie die Flötistin Nicole
       Mitchell einbringen.
       
       Mitchell ist Mitglied der Musiker_innenvereinigung [3][Association for the
       Advancement of Creative Musicians (AACM)] und in ihrem Black Earth Ensemble
       spielte Abrams Bass. 2010 erscheint schließlich „Natural Information“ als
       Solo-Album. Bald danach entscheidet sich Abrams für die Gesellschaft
       anderer: „Die Band sollte eine Gemeinschaft sein, an der Musiker_innen
       teilhaben und sie auch wieder verlassen können. Die Musik sollte rhythmisch
       und improvisatorisch sein und gleichzeitig ein Kontinuum darstellen anstatt
       eine Episode.“ Was bedeutet dann die „Natural Information“?
       
       „Ich hatte diese beiden gewöhnlichen Wörter zuvor nirgends in einem
       Zusammenhang gesehen. Die Kombination kann den Anstoß geben, über die
       Zeitlichkeit natürlicher Phänomene und unserer Wahrnehmung nachzudenken.
       Ich habe nichts gegen Wissenschaft, aber es geht auch darum, sich die
       Wahrnehmung wieder zurückzuerobern aus dem Reich der Technologie. Musik
       kann ein anderes Empfinden von Zeit bewirken. Manchmal dehnen sich die
       Augenblicke, manchmal verhilft uns die Fortdauer zu einer neuen Erfahrung.“
       
       Die Kraft der Wiederholung wird getragen von Abrams’ Gimbri, Alvarado auf
       dem Harmonium, dem Perkussionisten Nikel Avery und Ben Boye, der die
       Akkordzither (Autoharp) spielt, auf der Tour ist außerdem der
       Bassklarinettist Jason Stein Teil der Society. Boye ist Pianist und hatte
       angefangen, sich mit der Autoharp zu beschäftigen, der Erfindung eines
       deutschen Einwanderers in die Vereinigten Staaten.
       
       Sie gibt der Gimbri einen hellen, singenden Nachhall und reiht sich ein in
       das Aufgebot an Instrumenten von wandernder Provenienz. „Ich werfe Fragen
       auf danach, wie Kultur sich zwischen Menschen ausbreitet. Wie sich dabei
       Energie und Begeisterung übertragen. Musik ist solch ein bedeutender Träger
       dieses Kontinuums.“
       
       Im Konzert wird die musikalische Wiederholung sinnlich veranschaulicht, und
       zwar mit Malereien von [4][Lisa Alvarado]. Von Hand trägt sie feine
       geometrische Strukturen auf, die unzählige Male vervielfacht eine
       leuchtende Fläche aus kräftigen Farben bilden.
       
       Hinter die Musiker_innen gehängt, unterstreicht die Malerei die einmalige
       und vielschichtige Zeremonie, der sich das Publikum und die Band überlassen
       können. Für die Tour hat Alvarado ein eigenes Format gewählt, in einem
       kleineren sind ihre Gemälde auf den CD-Covern der Society zu erwerben.
       
       Dieser Text erscheint im taz Plan. Mehr Kultur für Berlin und Brandenburg
       immer Donnerstags in der Printausgabe der taz
       
       5 Apr 2018
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://simultonality.bandcamp.com/
 (DIR) [2] https://pharoahsanders.wordpress.com/
 (DIR) [3] http://www.aacmchicago.org/
 (DIR) [4] http://lisaalvarado.biz/
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Franziska Buhre
       
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