# taz.de -- Kulturzentrum am Taksimplatz: Symbol der modernen Türkei
       
       > Überraschend genehmigt Erdoğan die Rekonstruktion des AKM-Zentrums am
       > Istanbuler Taksimplatz. Islamische Symbolpolitik wird dort dennoch
       > gemacht.
       
 (IMG) Bild: So soll das neue Atatürk-Center aussehen
       
       Eine große rote Kugel, die durch ein Aluminium-Gitter leuchtet. Ist das die
       Kuppel einer Moschee? Eine Zauberkugel aus Tausendundeiner Nacht? Oder eine
       osmanische Bonbonniere?
       
       Schwer zu sagen, welche Assoziation Architekt Murat Tabanlıoğlu mit seinem
       Entwurf aufrufen will. Eines aber belegt er nicht: dass es mit seinem
       Neubau des Atatürk Kultür Merkezi an Istanbuls zentralem Taksimplatz zu
       dem symbolischen Ikonoklasmus kommt, den viele am Bosporus seit Langem
       befürchtet hatten.
       
       Der graue Kastenbau am Ostende des Platzes, von den Istanbulern lakonisch
       AKM abgekürzt, gehört zu den Symbolbauten der modernen Türkei. 1967 von dem
       Architekten Hayati Tabanlıoğlu erbaut, brannte das Gebäude schon 1970 aus
       und wurde 1977 neu eröffnet. Im Stil des Stockholmer Kulturhuset oder des
       Pariser Centre Pompidou fungierte das Haus mit der charakteristischen
       Lochfassade aus dunklem Aluminium gleichsam als „Palast der Republik“ des
       Landes. Der AK-Regierungspartei war das Gebäude immer ein Dorn im Auge.
       Mehrere Versuche, es abzureißen oder zu sanieren, scheiterten aber am
       Widerstand der Öffentlichkeit. In den letzten Jahren stand es leer.
       
       Mit der jüngsten Entscheidung Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğans, es in
       ein Opernhaus umbauen zu lassen, nahm der jahrzehntelange Kulturkampf um
       das Gebäude nun eine überraschende Wende. Indem Erdoğan kürzlich Murat
       Tabanlıoğlu, den Sohn des ersten, republikanisch gesinnten Architekten, mit
       dem Projekt betraute, nahm er Gegnern der Renovierung geschickt den Wind
       aus den Segeln.
       
       ## Inkarnation von Erdoğans „Neuer Türkei“
       
       Tabanlıoğlu junior hat schon 2004 das Kunstmuseum Istanbul Modern errichtet
       und plant Bauten in Dubai und New York. Als er während des Berliner Gallery
       Weekend am vergangenen Wochenende bei einem Talk in der Architektur Galerie
       Berlin gefragt wurde, ob es eine Ausschreibung für den Bau gegeben habe,
       wiegte er den Kopf und gestand: „Ich bin von Erdoğan persönlich eingeladen
       worden.“ Zwei Stunden lang habe er dem Herrscher, dessen Tiraden gegen
       moderne Kunst Legende sind, seine Rekonstruktions-Idee erläutert. Dann habe
       der oberste Bauherr plötzlich sein Einverständnis gegeben. „Als Architekt
       möchte ich natürlich bauen. Da habe ich nicht Nein gesagt“, rechtfertigte
       Tabanlıoğlu die Auftragsannahme.
       
       Kritiker der AKP-Herrschaft dürften das als Verrat ansehen. Die Istanbuler
       Architektenkammer, eine Hochburg der Säkularen, die schon Anfang der 2000er
       Jahre einen „Angriff auf ein symbolisches Gebäude der republikanischen Ära“
       gewittert hatte, wandte sich auch gegen die jetzt bekannt gewordenen Pläne.
       Zwar bleibt es ein Skandal, dass die Stadt es so lange verfallen ließ;
       Teile des historischen Mobiliars sind auf ominöse Weise verschwunden. Doch
       als Inkarnation von Erdoğans „Neuer Türkei“ wird man die Pläne Tabanlıoğlus
       nicht bezeichnen können.
       
       Im Gegenteil: Das neue Gebäude, das 2019 eröffnen soll, behält den Namen
       des Staatsgründers, auch Form und Volumen bleiben gleich. Tabanlıoğlu
       verweist demonstrativ auf die modernistische Tradition der türkischen
       Architektur der 60er und 70er Jahre. Nur die bislang im alten AKM
       untergebrachten Bibliotheken, Galerien, Theater, Restaurants und Cafés
       werden in Neubauten auf einem alten Parkplatz neben dem Gebäude verlagert.
       
       ## Inkarnation von Erdoğans „Neuer Türkei“
       
       Auch die Aluminiumfassade wird im gleichen Maßstab rekonstruiert. Als
       transparente Membran soll sie Innen- und Stadtraum verbinden und als
       digitaler Screen funktionieren. Die große rote Kugel in der Mitte des
       Gebäudes, die den riesigen Konzertsaal aufnimmt, werden die Passanten auf
       dem Taksimplatz von außen sehen können. Höchstens das aufkragende Vordach
       über der Fassade ließe sich als „Hidschab“ deuten. Zwar schützt es die
       Besucher vor Regen. Riesige Protestplakate oder -banner, wie sie die
       Gezi-Demonstranten im Sommer 2013 vor die Fassade des besetzten AKM gehängt
       hatten, wird man dort aber nicht mehr aufhängen können.
       
       Islamische Symbolpolitik wird am Taksim aber dennoch gemacht. Und zwar
       direkt gegenüber des neuen Kulturzentrums. Schon seit dem Frühjahr letzten
       Jahres wächst dort jeden Tag ein bisschen mehr [1][eine neue, dreißig Meter
       hohe Moschee mit einer riesigen Kuppel in den Himmel]. 2.500 Gläubige
       sollen in ihr Platz finden – genauso viele wie in der roten Kugel im neuen
       AKM –, ein inszenierter Schaukampf von Religion und Kultur.
       
       Der Architekt des Baus heißt Şefik Birkiye. Der Mann hat auch den
       umstrittenen Aksaray gebaut – Erdoğans pompösen Tausend-Zimmer-Palast im
       neoseldschukischen Stil, illegal errichtet in einem ehemaligen
       Naturschutzgebiet von Staatsgründer Atatürk in Ankara.
       
       30 Apr 2018
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Moschee-am-Taksim-Platz/!5493600
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Ingo Arend
       
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