# taz.de -- Berliner Gericht zum Kopftuchverbot: Neutralität ist wichtiger als der Glaube
       
       > Das Berliner Arbeitsgericht weist die Klage einer Lehrerin ab. Das Verbot
       > religiöser Symbole in staatlichen Einrichtungen sei verfassungskonform.
       
 (IMG) Bild: Im Gerichtssaal erlaubt, im Klassenzimmer nicht
       
       BERLIN taz | Eine Berliner Lehrerin mit Kopftuch hat keinen Anspruch
       darauf, an einer Grundschule beschäftigt zu werden. Das entschied das
       Berliner Arbeitsgericht am Mittwoch. Die Entscheidung des Gerichts war mit
       Spannung erwartet worden, entsprechend viel Presse war vor Ort. Denn hinter
       diesem Rechtsstreit steht die Frage, ob das Berliner Neutralitätsgesetz,
       welches das Tragen religiöser Symbole und Kleidung für Polizisten und
       Justizangestellte bis auf Ausnahmen verbietet, verfassungskonform ist. Das
       Gericht hat dies bejaht.
       
       „Das Neutralitätsgesetz ist Ausdruck des Souveräns, um bestimmte
       Konfliktlagen zu lösen“, indem staatliche Einrichtungen neutral gestaltet
       würden, begründete der vorsitzende Richter Arne Boyer das Urteil. Es sei
       richtig, dass im Gerichtssaal kein Kreuz hinge. Ebenso richtig sei es, dass
       Lehrerinnen ohne Kopftuch unterrichteten. „Diesen Ansatz unterstützt die
       entscheidende Kammer und bittet um Respekt.“
       
       Das Berliner Neutralitätsgesetz war in jüngster Zeit immer wieder
       Streitpunkt juristischer Auseinandersetzungen. Angestoßen worden war dies
       durch ein Urteil des Bundesverfassungsgericht aus dem Jahr 2015. Damals
       hatten die obersten Richter in einem anderen Kopftuch-Fall erklärt, das
       Recht des Einzelnen auf Religionsfreiheit dürfe nur eingeschränkt werden,
       wenn eine „konkrete Gefahr“ für den Schulfrieden bestehe, nicht aber
       aufgrund abstrakter Neutralitätsvorstellungen.
       
       ## An der Berufsschule erlaubt
       
       Im vorigen Jahr hatte sich das Landesarbeitsgericht in zweiter Instanz an
       diesem Urteil orientiert und das Land Berlin zu einer Entschädigungszahlung
       von rund 8.000 Euro an eine kopftuchtragende Lehrerin verurteilt.
       Begründung: Indem man ihr nur einen Einsatz an einem Oberstufenzentrum oder
       einer Berufsschule – dort sind religiöse Symbole für LehrerInnen erlaubt –
       angeboten habe, habe man gegen das Allgemeine Gleichstellungsgesetz (AGG)
       verstoßen, das Diskriminierung auf Grund der Religion verbietet.
       
       Zur Frage der Verfassungskonformität des Berliner Neutralitätsgesetzes
       sagte die Kammer damals: Man könne das Gesetz durchaus „verfassungskonform
       auslegen“, aber von der Klägerin gehe eben keine „konkrete Gefahr für den
       Schulfrieden aus.“
       
       Im aktuellen Fall war der Lehrerin, die derzeit in Elternzeit ist und auch
       nicht vor Gericht erschien, zunächst eine Beschäftigung an ihrer
       Wunsch-Schule zugesagt worden, einer Grundschule in Berlin-Spandau. Als sie
       am ersten Arbeitstag jedoch mit Kopftuch erschienen war, hatte man sie dort
       abgezogen und kurz darauf an ein Oberstufenzentrum versetzt. Dies sei
       rechtmäßig, entschieden nun die Richter. „Wenn wir sagen, das
       Neutralitätsgesetz gilt, hatte die Senatsverwaltung keine andere Wahl, als
       so zu handeln“, erklärte Boyer.
       
       ## Es gehe um religiöse Symbole an sich
       
       Er betonte die Auffassung seiner Kammer, das Gebot der staatlichen
       Neutralität sei wichtig, weil „niemand das Gefühl haben darf, dass er in
       diesen Institutionen (wie Gericht oder Schule, Anm.d.Red.) wegen seiner
       Religion benachteiligt wird“. Die Kammer schließe sich daher auch nicht der
       Auffassung an, man müsse das Neutralitätsgesetz „verfassungskonform
       auslesen“, wie es die KollegInnen im vorigen Jahr getan hatten. Es gehe
       nicht um eine „konkrete Gefahr“, sondern um religiöse Symbole an sich.
       
       Diese Auffassung begründete Boyer mit einer persönlichen Anekdote. Er sei
       vor zwei Wochen der Aufforderung der Jüdischen Gemeinde Berlins gefolgt,
       aus Solidarität eine Kippa zu tragen. Er selbst sei kein Jude, habe sich
       aber eine gekauft und sie bei der Arbeit getragen – wenn auch natürlich
       nicht im Gerichtssaal. „Der Effekt war enorm“, so Boyer, er sei vielfach
       angesprochen worden. „Die Kippa wirkte auf alle ein, die mir begegnet
       sind.“ Deswegen glaube er nun umso mehr, „dass alle religiösen Symbole
       Einfluss nehmen“. An dem Argument vieler Berliner LehrerInnen gegen das
       Kopftuch, allein das Tragen dieses Symbols in der Schule könne Kinder
       beeinflussen, sei daher wohl auch etwas dran. „Das ist die Krux religiöser
       Symbole: die einen verstehen darunter das Seelenheil, die anderen das
       Gegenteil.“
       
       Boyer gab im anschließenden Gespräch mit der taz aber auch zu verstehen,
       dass die Rechtsauffassung seiner Kammer zum Neutralitätsgesetz mit dem
       Urteil des Bundesverfassungsgerichts nur schwer in Einklang zu bringen sei.
       Er rechne damit durchaus mit einer Aufhebung der Entscheidung in nächster
       Instanz. Er halte eine grundsätzliche Klärung dieser Frage für
       wünschenswert. Das Land Berlin hätte diesen Weg auch schon im vorigen Jahr
       gehen können, wenn es in dem anderen Kopftuch-Fall in Berufung gegangen
       wäre. Damals hatte es jedoch darauf verzichtet und die Entschädigung
       gezahlt.
       
       ## Seyran Ates vertritt das Land Berlin
       
       Inzwischen wird Berlin allerdings von der streitbaren Juristin und
       Frauenrechtlerin Seyran Ates vertreten, die nicht vor Ort war. Sie hatte
       bereits im Vorfeld dieser Entscheidung angekündigt, im Fall einer
       Niederlage den Rechtsweg zu gehen, notfalls bis zum
       Bundesverfassungsgericht.
       
       Dieser Weg ist nun auch für die unterlegene Klägerin möglich. Ob ihre
       Mandantin Berufung einlegt, konnte ihre Anwältin Maryam Haschemi Yekani
       nach der Verkündung noch nicht sagen. Man wolle erst den schriftlichen
       Entscheid abwarten, erklärte sie noch im Gerichtssaal.
       
       Christine Buchholz, religionspolitische Sprecherin der Fraktion Die Linke
       im Bundestag, erklärte zur Entscheidung: damit werde „die Diskriminierung
       kopftuchtragender, muslimischer Frauen auf dem Arbeitsmarkt fortsetzt“.
       Dies werde einer multireligiösen Stadt wie Berlin nicht gerecht.
       
       9 May 2018
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Susanne Memarnia
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Kopftuchverbot
 (DIR) Kopftuch
 (DIR) Islam
 (DIR) Religion
 (DIR) Schwerpunkt Seyran Ateş
 (DIR) Kopftuch
 (DIR) Schwerpunkt AfD in Berlin
 (DIR) Diskriminierung
 (DIR) Wochenkommentar
 (DIR) Schwerpunkt Rassismus
 (DIR) Kopftuchverbot
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Debatte im Abgeordnetenhaus: Kopftuch spaltet Koalition
       
       Schulsenatorin Sandra Scheeres (SPD) verteidigt das Neutralitätsgesetz. Bei
       der Grünen-Fraktion hingegen rührt sich dabei keine Hand zum Applaus.
       
 (DIR) Politische Bildung in der Schule: „Eine klare Haltung vorleben“
       
       Das Zentrum für Demokratie will Lehrer für das Thema Rechtsruck schulen.
       Der Beratungsbedarf sei hoch – auch wegen der AfD, sagt Projektkoordinator
       Samuel Signer.
       
 (DIR) Landesantidiskriminierungsgesetz: Diskriminierung ade?
       
       Ein neues Gesetz soll es diskriminierten Personen erleichtern, ihre Rechte
       einzufordern. Auch gegen die öffentliche Verwaltung.
       
 (DIR) Berliner Wochenkommentar II: Kopftuch: Konfusion komplett
       
       Ein neues Urteil im Fall einer Kopftuch tragenden Lehrerin vergrößert die
       Unklarheit über das Berliner Neutralitätsgesetz.
       
 (DIR) Kommentar Kopftuchdebatte: Mit Kopftuch und High Heels
       
       Wer Kritik am Kopftuch formuliert, wird schnell der Beförderung
       rassistischer Stereotype bezichtigt. Rational nachvollziehbar ist das
       nicht.
       
 (DIR) Bayerischer Verwaltungsgerichtshof: Kopftuchverbot bestätigt
       
       Rechtsrefrendarinnen darf untersagt werden, in bayerischen Gerichten ein
       Kopftuch zu tragen. Gegen das Verbot hatte eine Juristin islamischen
       Glaubens geklagt.
       
 (DIR) Die never ending Kopftuch-Story: Kinder, Küche, Kopftuch
       
       Gut ausgebildete Musliminnen, die Kopftuch tragen, sind bei der Jobsuche
       oft chancenlos. Viele Arbeitgeber haben Vorurteile, Jobcenter drohen schon
       mal mit Leistungskürzungen.