# taz.de -- Die Wahrheit: Metallische Hitze
       
       > Auf dem langen Hinweg zu und Rückweg von einer Metal-Kunst-Video-Oper
       > können einem schon mal einige absonderliche Gedanken durchs Hirn strömen
       > …
       
       Schnurgerade verläuft die vierreihige Lindenallee seit nun fast 300 Jahren
       zum Großen und zum Berggarten in Herrenhausen. Früher rollten Kutschen und
       Equipagen auf dem kiesigen Hauptweg. Heute radelt Kollege Blum bei
       drückender Hitze die Strecke von etwa zwei Kilometern, hat fünf bis zur
       Allee schon hinter sich. Ein herkulisches Unterfangen eines älteren Herrn,
       der auf die 60 zu wackelt.
       
       Anhalten, absteigen. Wasser trinken. Mit Blick zum Georgengarten. Alle paar
       Meter wird gegrillt. Eine Zigarette drehen. Hat er nicht in dieser Zeitung
       von Fredie Blom gelesen, urkundlich bestätigte 114 Jahre alt, womöglich der
       älteste lebende Mensch? Der Südafrikaner dreht sich auch gern Zigaretten.
       Nimmt Zeitungspapier zum Wickeln: „Ich kann jeden Tag umfallen, aber Gott
       hat alle Macht – er wird mich halten.“
       
       Apropos Zeitung, Abteilung digital: In Blums Gebälk blitzen zwei weitere
       Schlagzeilen auf. Die eine fällt unter die Rubrik Gesundheit: „Fünf
       Gewohnheiten, die das Leben um gut zehn Jahre verlängern“, Punkt zwei:
       „Keine Zigaretten“, wer hätte das gedacht? Wäre Blom schon 124, hätte er
       das Rauchen aufgehört? Die andere Überschrift fragt unter dem Stichwort
       Evolution: „Warum ist unser Gehirn so groß?“ Ja warum?, fragt sich auch
       Blum.
       
       Er rappelt sich auf, steigt aufs Rad, fährt endlich weiter. Er will
       pünktlich sein, um einer – o Schreck! – Video-Oper beizuwohnen, einer
       Veranstaltung der Kunstfestspiele: „Index of Metals“ heißt das Stück von
       Fausto Romitello aus dem Jahr 2003. Das Intro hat Blum geködert: „Index of
       Metals“ von Robert Fripp und Brian Eno, ein halbstündiges Gitarrensolo samt
       dem Sound zweier Tonbandmaschinen, der mechanischen Looptechnik der
       „Frippertronics“.
       
       Blum hatte dem Metal-Guru Frank Schäfer davon erzählt. Ob er nicht
       mitkommen wolle? „Nee, das ist doch bestimmt Kunstkacke“, hatte der
       geantwortet. Wer weiß, hatte Blum gedacht, und: ausnahmsweise Überbau,
       nicht Basis, warum nicht? Obendrein gefällt ihm die Atmosphäre des Terrains
       während der Festspiele. Ungeachtet der irrwitzig anmutenden Nachbildung der
       Schlossfassade, die kaum zu übersehen ist.
       
       Blum erlebt einen denkwürdigen Abend. Ungeheure Kräfte von Korrosion und
       Deformation, von Musik und Bild entfalten das Glühen metallischer
       Oberflächen. Wie es in der Broschüre steht. Der Komponist habe den Klang
       als Materie gedacht und mithilfe elektroakustischer Prozesse zu porösen
       oder dichten, starren oder sich verformenden Gebilden modelliert … die
       Poesie des Heavy-Metal, die kalten, metallischen Farben bis hin zum Finale
       in den puren Noise.
       
       Blums Rückfahrt durch die jetzt finstere Allee vollendet den Tag. Kultur,
       Natur. Am Horizont, genau am Fluchtpunkt der Linden, ein Wetterleuchten in
       voller Stärke. Als er seine noch stickige Mansarde erklettert, bricht ein
       prasselnder Regen an. Die Poesie des Noise wird Blum halten.
       
       6 Jun 2018
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Dietrich zur Nedden
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Heavy Metal
 (DIR) Konzert
 (DIR) Rockmusik
 (DIR) Heavy Metal
 (DIR) Eintracht Braunschweig
 (DIR) Abzocke
 (DIR) Frauen-WM 2019 
 (DIR) Rituale
 (DIR) Museen
 (DIR) Winter
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Die Wahrheit: No Sleep till Nörgelbuff
       
       Göttingen, ach Göttingen! Nicht nur die französische Chanteuse Barbara
       verdankt der Stadt unvergessliche Erlebnisse …
       
 (DIR) Die Wahrheit: Schnarchologe mit Traumtourette
       
       Heißa! Ein Wochenende im „beige geklinkerten
       Siebziger-Jahre-Touri-Pandämonium“ könnte so schön sein, wäre da nicht …
       
 (DIR) Die Wahrheit: Wiedersehen in Block 5
       
       Die Fans von Eintracht Braunschweig sind leidgeprüfte Wesen. Aber sie
       kehren immer zurück an den Ort, wo die Bratwürste auf dem Platz unterwegs
       sind.
       
 (DIR) Die Wahrheit: Fantastilliarden aus aller Welt
       
       Sie sterben einfach nicht aus: Die Benachrichtigungen über angebliche
       Millionenerbschaften gehen gerade wieder verstärkt im Postfach ein.
       
 (DIR) Die Wahrheit: Fidele Wracks
       
       Nicht nur bei der Fußball-WM gibt es Stafetten, auch die Gedanken können,
       wie Perlen an einer Kette aufgezogen, munter aneinandergereiht werden.
       
 (DIR) Die Wahrheit: Hardcore in der Kathedrale
       
       Rituale haben etwas, besonders die christlichen. Gerade für einen
       Forschergeist, der drei Stunden in einer nächtlichen Kirche seine Studien
       betreibt.
       
 (DIR) Die Wahrheit: Goldene Irrtümer
       
       Ein Brief aus Gold, besetzt mit taubenblutroten Rubinen, verstaut in einem
       ausgehöhlten Elefantenstoßzahn. Was lernt die Wissenschaft daraus?
       
 (DIR) Die Wahrheit: Das Klirren der Eisblumen
       
       Seit es die Mehrfachverglasung gibt, erblühen die Eiskristalle nicht mehr.
       Das ist nur eines der Phänomene im Winterassoziationsfeld.