# taz.de -- Die Wahrheit: Fidele Wracks
       
       > Nicht nur bei der Fußball-WM gibt es Stafetten, auch die Gedanken können,
       > wie Perlen an einer Kette aufgezogen, munter aneinandergereiht werden.
       
 (IMG) Bild: Zusammenknäulen ist noch ok – aber bloß nicht das goldene Stück Stoff abbeißen!
       
       Viele, viele Ballverluste. Mir ergeht es oft wie der nun verflossenenen
       deutschen Mannschaft beim World Cup. Diese abrupt verdaddelten Stafetten
       gleichen nicht wenigen meiner Gedanken und Einfälle – solchen, die den
       Möchtegern-Status nicht überwinden.
       
       „The story of my life“, sagte ich zu Blum, mit dem ich das WM-Spiel
       Saudi-Arabien gegen Ägypten in der Kneipe kuckte. Nebenbei, versteht sich.
       Blum hielt sich am Tresen auf, möglichst nah an Vera, der schönen
       Kellnerin, die er oft anzuvisieren schien. Irgendwann erklärte er, dass es
       übermorgen – „diesmal!“ – bedeutsam sei, zu Deutschland zu halten: „Ist
       eine antifaschistische Aktion.“
       
       „Wie bitte?“, fragte ich, der vehement jeglichen Nationalismus ablehnt,
       auch den verbrämten, den man, jawoll, Patriotismus nennt. Ja, meinte Blum,
       diesmal müsse man der deutschen Crew die Daumen drücken, da die
       Krypto-Nazis à la AfD sie boykottierten, weil die Mannschaft „undeutsch“
       sei.
       
       Vera hatte auch davon gehört, lehnte dennoch diese
       Schwarz-Rot-Gold-Schmiere auf ihrer Wange ab. „Versteht sich“, sagte ich,
       reihte mich aber sofort bei den Dtschl-Fürsprechern ein. Und nun lenkte ich
       in Sachen Fußball auf einen Nebenschauplatz, nämlich meine Tage in
       Freiburg, wo ich in einem anderen Leben beim Sport-Club gearbeitet hatte.
       Mein Sammelband über die ersten beiden Saisons im Oberhaus, herausgegeben
       1995, war frisch aufgelegt worden, denn der erste Aufstieg jährte sich zum
       25. Mal. Der Protz in mir fügte hinzu, dass damals die Süddeutsche Zeitung
       gemeint hatte, es sei das „schönste Lesebuch der Saison“. Und die FAZ
       schrieb: „Schön, wenn aus Illusionen schöne Bücher werden.“ Es hatte sich
       dann schlecht verkauft. The story of my life.
       
       Meine Eitelkeit stieß auf keine Resonanz. Blum wechselte plötzlich die
       Richtung. Ich vermute, weil seine Blicke zu Vera zwar sehnsüchtig, aber
       zwecklos andauerten. Um überzuleiten, wies er auf den ägyptischen Torhüter
       Essam El-Hadary hin: „Der ist heute 45 Jahre und 161 Tage und damit der
       älteste Spieler, der je bei einer WM spielte. Das hätte ich doch mit ein
       bisschen Glück auch noch schaffen können, oder?“
       
       Blum hatte vor 100 Jahren als Keeper erfolgreich in der höchsten Liga der
       B-Junioren gespielt. Das war alles. Nun murmelte er von der
       „Alterssteinzeit“, die er durchlebe. Ich hatte nichts erwidert, als er
       zusetzte: „Stimmt, hat alles seine zwei Schattenseiten, vor allem das
       Älterwerden.“ Passend dazu waren ihm der Titel eines Spielfilms und dessen
       Übersetzung aufgefallen. Im Original heiße der Film „Was hat uns bloß so
       ruiniert?“, im Englischen „We Used to Be Cool“.
       
       „Ach was“, sagte ich, „schlimmstenfalls tun wir so, als seien wir fidele
       Wracks“. Ich packte meine just mitgeführte Ukulele aus, stimmte den Song
       der Ärzte an, das Lied vom Scheitern: „Du bist immer dann am besten, wenn’s
       dir eigentlich egal ist.“ Vera summte ohrenscheinlich mit. The story of my
       life?
       
       4 Jul 2018
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Dietrich zur Nedden
       
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