# taz.de -- 18. Erlanger Comicsalon: Im Reich der fantastischen Bildwelten > Während des Comicsalons Erlangen laufen verkleidete Fans durch die Stadt. > Neue Comic-Reihen werden präsentiert und viele Preise verliehen. (IMG) Bild: 30.000 BesucherInnen waren auf dem 18. Erlanger Comicsalon vom 31. Mai bis 3. Juni Das Gelingen des Comicsalons im fränkischen Erlangen, des alle zwei Jahre stattfindenden wichtigsten Events für alle Comicfans, -künstler und -verlage im deutschsprachigen Raum, stand lange in Frage, da der bisherige Messeort, die Heinrich-Lades-Halle, aufgrund von Renovierungsarbeiten geschlossen ist. Die Idee, das Festival näher an die Innenstadt anzubinden, etwa Schloss und Universität einzubeziehen, erwies sich als optimale Zwischenlösung: Ausstellungen und Messe machten aus der City eine quirlige „Comicstadt“. Verkleidete Fans tummelten sich hier, um Helden aus der Popkultur originalgetreu zu verkörpern, so etwa Disneys Schneewittchen und Indiana Jones. Vielfältig war die Bandbreite an Ausstellungen. Den beißenden Karikaturen des Duos „Greser und Lenz“ war eine Schau gewidmet, auch eines der Festivalplakate stammte aus ihrer Feder, auf dem King Kong von der winzigen Frau in seiner Pranke in Mundart zusammengestaucht wird („Isch bin doch nur ein Abenteuä für disch, du blödä Aff“). Eine kleine, feine Ausstellung widmete sich auch dem 2004 früh verstorbenen Künstler Bernd Pfarr, der unzählige poetische wie politisch unkorrekte Bilder von hinreißend absurdem Humor schuf und die Grenzen zwischen Cartoon, Illustration, Comic und Malerei in seiner Arbeit aufhob. Multimedial auf der Höhe der Zeit zeigte sich Marc-Antoine Mathieu in seiner Ausstellung „Gefangener der Träume“, die Originalseiten aus dessen philosophisch-vertracktem Comic-Werk versammelte, um Besucher dann per Virtual-Reality-Brille in die surreale Welt eines seiner Bücher („Richtung“) zu versetzen. Ein Schwerpunkt galt dem Kanadier Jeff Lemire, der auf zahlreichen Podien anwesend war. Die Ausstellung „Die Kunst des Erzählens“ zeigt, dass der einstige Independent-Künstler, der sich mit den Kleinstadterzählungen aus „Essex County“ einen Namen machte, sich zum Starautor entwickelt hat, der für zahlreiche Zeichnerkollegen Szenarios schreibt. Jüngst erschien „Black Hammer“ (Splitter Verlag), eine unkonventionelle Superheldenreihe, die zugleich ein düsterer Abgesang auf das Genre ist und mit Alan Moores Achtziger-Klassiker „Watchmen“ verglichen wird. Gleichenorts wurde auch ein Deutscher mit einer Retrospektive geehrt: Felix Görmann alias Flix ist neben der steten Perfektionierung seines humoristischen Stils vor allem als beharrlicher Strip-Zeichner zu würdigen. ## Flix darf Spirou zeichnen Die meisten seiner Arbeiten erscheinen zunächst in Zeitungen als Gag- oder Fortsetzungs-Strip und zeichnen sich durch hohes professionelles Niveau aus. So kam Flix nun die Ehre zu, als erster Deutscher eine berühmte belgische Comicfigur zu zeichnen: Spirou. Ausgestellte Seiten verraten, dass der rothaarige Hotelpage ein Abenteuer im geteilten Berlin zur Zeit des Kalten Krieges erlebt. Weitere Ausstellungen widmeten sich Kindercomics und neuen Reihen. In schwarz verkleideten Räumen wird die kleinformatige Carlsen-Reihe „Die Unheimlichen“ vorgestellt, in der Isabel Kreitz, Nicolas Mahler und Lukas Jüliger gruselige Storys von Edgar Allan Poe, Elfriede Jelinek und Sarah Khan auf je eigene, oft originelle Weise adaptieren. Unter freiem Himmel im Schlossgarten wiederum wurde die neue Egmont-Reihe der „Micky-Maus-Hommagen“ europäischer Zeichner präsentiert (etwa von Lewis Trondheim, Régis Loisel, Cosey und Silvio Camboni). Geschickt arrangierte Vergrößerungen von Comicpanels zeigten, wie gelungen die neuen Geschichten an die Anfänge der Maus mit Knopfhose anknüpfen und ihr Image erneuern. ## Boom von jounalistischen Comics Den nachhaltigsten Eindruck hinterlassen hat die Schau „Zeich(n)en der Zeit – Comic-Reporter unterwegs“, in der der Boom an journalistischen Arbeiten im Format Comics der letzten Dekade dokumentiert wird. Ihre Formenvielfalt ist erstaunlich. Neben bekannten Arbeiten der Pioniere Joe Sacco, Sarah Glidden und Guy Delisle sind zahlreiche jüngere Beispiele zu finden, die ästhetisch einfallsreich und anschaulich die brisantesten Themen unserer Zeit aufgreifen und meist nüchtern dokumentieren. Der Schweizer Patrick Chappatte hat sich etwa in seiner Reportage „Death in the Field“ dem Bürgerkrieg im Libanon gewidmet sowie der Todesstrafe in den USA. Der Nahostkonflikt und die Flüchtlingsproblematik wird in zahlreichen Reportagen (u. a. „Der Riss“) aufgearbeitet, globale Umweltzerstörung und Billiglohnarbeit in mehreren Beiträgen der französischen, vierteljährlich erscheinenden Zeitschrift La revue dessinée, die ausschließlich auf Comicreportagen setzt, was auch pointiert gezeichnete Analysen einschließt. In einem eigenen Messezelt präsentierten Studenten von Kunsthochschulen erste Comicversuche: Eindeutig überwog hier die Lust am Experiment, am Austesten eigener Erzähl- und Gestaltungsfähigkeiten mit den Mitteln von Comics. So schuf der Absolvent der Hochschule Mainz Jens Roth eine grafisch innovative Adaption des Ischtar-Mythos. Bei einer Podiumsdiskussion mit Studenten zeigte sich allerdings, dass die Hochschulen hierzulande bislang gar keine professionelle Comiczeichnerausbildung anbieten – meist inspirieren einzelne Kurse von Gastdozenten die Studenten zu ersten Entwürfen. Nicht zuletzt ist die Verleihung der begehrten Max-und-Moritz-Preise ein Höhepunkt des Erlanger Comicsalons. Als bester deutschsprachiger Künstler wurde 2018 verdientermaßen Reinhard Kleist ausgezeichnet, dessen kürzlich erschienene Nick-Cave-Graphic-Novel sein Können als Erzähler wie als Zeichner belegt. Als bester deutscher Comic wiederum wurde Ulli Lusts autobiografische Graphic Novel „Wie ich versuchte, ein guter Mensch zu sein“ prämiert, weniger wegen ihrer schnodderig-skizzenhaften Ästhetik als für den Mut, die eigene Vita ungeschönt aufzuarbeiten. Auch in der „Reporter“-Ausstellung waren Arbeiten von Lust zu entdecken, die unterschiedliche Milieus in scharfen Alltagsporträts einfangen. Bester internationaler Comic wurde „Esthers Tagebücher“ von Riad Sattouf, ein zeitgemäßer satirischer Blick auf eine typische Heranwachsende. ## Bester Comicstrip Die fast zehn Jahre publizierte extrem witzige autobiografische Serie „Das Leben ist kein Ponyhof“ von Sarah Burrini wurde als bester Comicstrip gewürdigt, ebenso wie die von Christopher Tauber gezeichnete „Drei ???“-Adaption als bester Kindercomic. „Paradies“, das Comicmagazin der HBK Saar, konnte die Juroren als beste studentische Publikation überzeugen. Den Publikumspreis erhielt die eher mainstreamige Soap-Comedy-Romantic-Serie „NiGuNeGu“ von Oliver Mielke und Hannes Radke. Mit einem Spezialpreis der Jury wurde eine Legende der Comicszene geehrt – Paul Derouet, der seit Jahrzehnten junge Talente fördert, Comic-Kurse organisiert und als Brückenbauer fungiert. Mit Jean-Claude Mézières wurde schließlich ein großer französischer Zeichner für sein Lebenswerk ausgezeichnet, das er vor allem der Science-Fiction-Serie „Valerian und Veronique“ widmete. Unbestritten ist der 79-Jährige einer der bildstärksten Zeichner fantastischer Welten und Zivilisationen, die irdische Probleme auf geistreiche Weise widerspiegeln. Unverständlich bleibt nur, warum Mézières nicht mit einer eigenen Ausstellung gewürdigt wurde, die sein Talent, visuell zu überwältigen und zu verzaubern, veranschaulicht hätte. 7 Jun 2018 ## AUTOREN (DIR) Ralph Trommer ## TAGS (DIR) Comic (DIR) Graphic Novel (DIR) Carlsen-Verlag (DIR) Deutscher Comic (DIR) Kanada (DIR) Französischer Comic (DIR) Deutscher Comic (DIR) Comic-Held (DIR) Lesestück Interview (DIR) Sexismus ## ARTIKEL ZUM THEMA (DIR) Comic „Altglas Tagtraum Blaues Huhn“: Schatz in der Schublade Torben Siebert hat einen wunderbaren Comic gezeichnet, den vielleicht nie jemand lesen wird. Das liegt auch am fehlenden Nachwuchskonzept der Branche. (DIR) Joe Sacco, „Wir gehören dem Land“: Zwischen Tradition und Anpassung Fracking versus Biberjagd: Joe Saccos Comicreportage erzählt von der Geschichte und Gegenwart der indigenen Bevölkerungen Kanadas. (DIR) Zeichner Émile Bravo über Spirou-Comic: „Das möchte ich Kindern vermitteln“ Im neuen Spirou-Band verteidigt die Comicfigur die Menschlichkeit im Krieg. Autor und Zeichner Émile Bravo erzählt, wieso. (DIR) Comics über den Zar und Erich Mühsam: Kinder und Bären der Revolution Zwei neue Graphic Novels zeigen Erich Mühsam als jungen Bohemien und erzählen von Zarismus und Sowjets. Spaß machen beide. (DIR) Geschichte des Comics: Als die Superhelden fliegen lernten Einfallsreich, unverzichtbar, fabelhaft – die Reihe „Perlen der Comicgeschichte“ präsentiert kuriose Comicfiguren, deren Kräfte keine Grenzen kannten. 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