# taz.de -- Arbeitsbedingungen am Theater ändern: Es rappelt in der Kiste
       
       > Die Konditionen an Theatern sind prekär. Schauspielerinnen, Bühnenbildner
       > und Regisseurinnen wollen das nicht länger hinnehmen.
       
 (IMG) Bild: Warten ist Wahnsinn? Wahnsinnig sind auch die Arbeitsbedingungen am Theater
       
       Ein Einstiegsgehalt von 1.600 Euro brutto. Probenbeginn zwischen 9 und 10
       Uhr morgens, Vorstellungsende gegen 22 oder 23 Uhr. Wer als Schauspieler*in
       an einem deutschen Theater arbeitet, schuftet oft von früh bis spät und
       erhält doch an vielen Häusern nur einen Hungerlohn. Wenn andere frei haben
       und bei der Familie sind, wird gearbeitet. Einfach mal Urlaub nehmen –
       unmöglich.
       
       Politiker überbieten sich mit Beteuerungen, wie wichtig doch Kunst und
       Kultur seien. Geht es aber um die Lohnabhängigen in diesem Bereich, fühlen
       sich viele nicht zuständig. Vor drei Jahren reichte es den
       Schauspielerinnen Lisa Jopt und Johanna Lücke: 2015 gründeten sie in
       Oldenburg das ensemble-netzwerk, seither setzt es sich für die Interessen
       von künstlerischen Beschäftigten an Theatern ein.
       
       Im Mai dieses Jahres kamen verschiedene Zusammenschlüsse mit ähnlichen
       Interessen in Bochum zu einer bunten „Parade der darstellenden Künste“
       zusammen, um ihre Anliegen gemeinsam in die Öffentlichkeit zu tragen: das
       regie-netzwerk, das junge ensemble-netzwerk, das sich um
       Schauspielstudent*innen kümmert, der Bund der Szenograf*innen; art but
       fair, die bessere Bezahlung von Künstler*innen fordern, und die Initiative
       Pro Quote Bühne, die um einen Ausgleich zwischen weiblichen und männlichen
       Künstlern bemüht sind.
       
       Lediglich 28 Prozent der Stücke werden von Frauen inszeniert, 75 Prozent
       der Theaterautoren sind Männer. 78 Prozent der deutschen Theater werden von
       Männern geleitet.
       
       Doch die Geschlechterverhältnisse sind nicht das einzige Problem. Seit 25
       Jahren verschlechtern sich die Arbeitsverhältnisse durch massiven
       Stellenabbau und Sparmaßnahmen. Gleichzeitig sollen mehr Produktionen
       entwickelt und gespielt werden – bei gleicher oder schlechterer
       Personalstruktur. Die Reallöhne sind niedriger geworden, weil die
       Lebenskosten steigen, aber die sowieso schon niedrigen Gagen nicht
       angehoben wurden.
       
       ## Gagentabelle wie im öffentlichen Dienst gefordert
       
       „Ich habe es satt, die negativen Kantinengespräche zu hören, aber den
       Schwanz einzuziehen, wenn es darauf ankommt, das Maul aufzumachen“, so der
       freischaffende Schauspieler und Regisseur Antonio Lallo, Basismitglied im
       ensemble-netzwerk. „Wir müssen langsam mal anfangen, für unsere Rechte zu
       kämpfen, Mutterschutz, probenfreie Samstage, Kinderbetreuung für abends.“
       In anderen Arbeitsbereichen die Regel, am Theater kein Standard.
       
       „Viele Theaterschaffende leiden unter Erschöpfung und verlassen sogar den
       Beruf“, stellt die Schauspielerin Laura Kiehne fest, Pressesprecherin des
       ensemble-netzwerks. „Wir lieben unsere Arbeit. Aber wir sind von dem
       System, wie es momentan ist, ausgebrannt.“
       
       Das ensemble-netzwerk fordert eine Mindesteinstiegsgage von 2.500 Euro und
       darüber hinaus die Einführung einer Gagentabelle, angelehnt an die des
       Tarifvertrags öffentlicher Dienst. Danach sollen Untergrenzen für Gagen
       gestaffelt werden – geschlechterunabhängig. Einzelne Theater, namentlich
       Oberhausen, Köln und Heilbronn, haben ihre Gagen im Zuge dieser Forderung
       eigenständig auf 2.300 Euro erhöht.
       
       „Uns geht es aber nicht nur ums Geld“, sagt Kiehne, „sondern auch um die
       Arbeitsbedingungen. Sechs Tage proben und spielen und am siebten dann noch
       eine Abendvorstellung geben – man hat kein Leben mehr außerhalb des
       Theaters und keine Zeit für Familie oder Freunde.“
       
       ## Mehr Proben gleich mehr Qualität?
       
       Eigentlich haben die künstlerischen Angestellten am Theater qua
       Tarifvertrag ein Recht auf acht freie Sonntage und acht sonstige freie
       Tage, die nicht vom Spielplan des Theaters verplant werden dürfen. Das
       Problem: Oft werden noch nicht einmal diese Mindestbestimmungen
       eingehalten.
       
       Begründet wird dies oft mit dem Argument, dass die Theaterproduktionen dann
       zu wenig Probenzeit hätten und dies zu einem Qualitätsverlust und damit zu
       einem Zuschauereinbruch führen würde. „In der Praxis zeigt sich, dass das
       genaue Gegenteil der Fall ist. Die Qualität steigt. Alle arbeiten
       konzentrierter, erholter, intensiver, sind besser vorbereitet und
       motiviert“, berichtet Laura Kiehne.
       
       Der Kampf um Zeit, um Freizeit – im neoliberalen Kapitalismus der flexiblen
       Arbeitszeiten wird er neben Lohn- und Tarifkämpfen immer wichtiger. Erst
       kürzlich landete die IG Metall einen radikalen Vorstoß mit der Forderung,
       28 Stunden bei vollen Lohnausgleich seien genug. Die Theaterbranche
       hingegen steht erst am Anfang gewerkschaftlicher Organisierung. Sich
       vernetzen lautet die Devise des ensemble-netzwerks. Die Sache selbst in die
       Hand nehmen, sich nicht darauf verlassen, dass es andere für einen machen.
       
       Das Netzwerk ist die erste Initiative, die dezidiert die Schauspieler*innen
       der Ensembles organisieren und vor allem zur Selbstorganisation befähigen
       möchte. Mit etablierten Gewerkschaften und anderen Interessensvertretungen
       zusammenzuarbeiten, kann man sich aber vorstellen, ob das Verdi, die
       Gewerkschaft Deutscher Bühnenangehöriger DGBA oder der Deutsche
       Bühnenverein ist.
       
       ## Nach oben boxen
       
       Anfang 2018 gründete sich das regie-netzwerk unter dem Leitspruch
       „Miteinander reden, statt übereinander“. Besonders Regisseur*innen, die im
       deutschen Theatersystem durch Hangelei von Projekt zu Projekt zu
       Einzelkämpfer*innen gemacht werden, sind [1][von der Gunst der Intendanten
       abhängig,] müssen nach unten treten und zur Seite boxen.
       
       Der Arbeitsalltag am Theater mit seinen exzessiven Überstunden, den
       unsicheren Arbeitsverhältnissen, den Demütigungen durch manche
       Intendant*innen und Regisseur*innen, der Kinder- und Familienfeindlichkeit
       durch hohen Flexibilitätszwang an sieben Tagen die Woche – diese
       materiellen Rahmenbedingungen stehen gegen die bürgerliche Maske der
       Autonomie und Gesellschaftskritik des Theaters.
       
       Das Theater sieht sich selbst gerne als gesellschaftskritische Instanz,
       Künstler*innen verstehen sich als kritische Geister; der blinde Fleck sind
       die unbefriedigenden Strukturen.
       
       Kein Grund aufzugeben, jedenfalls für Lisa Jopt nicht, Vorsitzende des
       ensemble-netzwerks. „Theater sind wichtig für die Demokratie, da sie
       Erfahrungs- und Diskussionsräume sind“, sagt sie. „Wir können uns aber
       nicht glaubwürdig gesellschaftskritisch positionieren, wenn im gleichen
       Atemzug intern genau die Ausbeutung und Selbstausbeutung, Diskriminierung
       und autoritäre Machtstrukturen aufrechterhalten werden, die wir nach außen
       kritisieren.“
       
       ## Interessen vertreten statt Neutralität
       
       All das wollen sie bekämpfen, [2][die Aufbruchstimmung der aktiv und
       zunehmend politisch werdenden Künstler*innen mitnehmen,] die neuen Mut
       durch den Austausch und die gemeinsame Organisation geschöpft haben.
       
       Neutralität war lange genug herrschender Maßstab, die Netzwerker*innen
       wollen aktiv Partei ergreifen für sich selbst und ihre eigenen Interessen
       vertreten. Dazu brauchen sie als Dienstleister*innen aber zusätzlich die
       Solidarität ihrer „Kund*innen“ und der übrigen Gesellschaft.
       
       „Mit der öffentlichen Parade der darstellenden Künste wollten wir auch
       unsere Mitbürger zu Mitwissern unserer Probleme machen“, erklärt Laura
       Kiehne. „Auch das heißt Solidarität: Sich mit dem Arbeitskampf anderer
       Berufsgruppen solidarisch erklären, weil man als Kunde beziehungsweise bei
       uns als Zuschauer von einer Verbesserung der Umstände auf lange Sicht
       profitiert.“
       
       16 Jul 2018
       
       ## LINKS
       
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