# taz.de -- Kolumne Mittelalter: Vom Leben. Und vom Sterbenlassen > Wenn das Mittelalter nicht kommt, dann geht eben diese Kolumne. > Diskrepanzerfahrungen pflasterten ihren Weg. Bleibt das jetzt so? (IMG) Bild: Entspannung in einem mittelalterlichen Badehaus, in dem niemand ertrinkt Dass eine Kolumne mit dem Namen „Mittelalter“ ebendann ausläuft, wenn dieses Mittelalter sich in Gestalt eines [1][Bundesinnenministers] oder einer [2][Zeit]-Journalistin personifiziert – dieser Gag wäre nicht nur billig, sondern auch sachlich fragwürdig. Man täte dem Mittelalter Unrecht: Damals wussten die Leute es nicht besser. Auf diese Art göttlicher Ignoranz können sich die heutigen Eliten nicht rausreden; und die Avanciertesten unter ihnen tun es auch nicht. In einem [3][„Survival of the Richest“] betitelten Artikel hat der US-Autor Douglas Rushkoff einen Besuch bei diesen Superreichen geschildert. Die sind nicht mehr an Lösungen interessiert, sondern sie fragen den Zukunftsforscher nach den besten Methoden, die Festungen, in die sich im Fall der Apokalypse zurückzuziehen gedenken, pöbelsicher zu machen. Bewährt hat sich das Konzept Mittelalter schon eher als Beschreibung des eigenen Lebensabschnitts, zwischen auf bezaubernd-befreiende Art erwachsen werdenden Kindern und auf rührend-widerborstige Art alt gewordenen Eltern. Man trifft auf Jüngere, denen das alles sehr fern steht; und auf Ältere, die – sich durch ebenjene vollendete Erfahrung deutlicher als durch den reinen Altersunterschied absetzend – mit melancholischer Erleichterung zurückschauen. Dieses Eingebundensein des mittelalten Menschen bewirkt, dass man sich merkwürdig ‚natürlich‘ fühlt, in den Kreislauf eines doch in Wirklichkeit am Individuellen uninteressierten Schicksals eingebettet, das jederzeit die Richtung wechseln, brutal zuschlagen kann. Ist der mittelalte Mensch berechtigterweise dankbar oder nur dumm selbstzufrieden? Und wie könnte man das sein, in dieser wirklich [4][wahnsinnigen] Welt? „Alle wohlgemeinten Versuche der Philosophie, das, was die moralische Welt fordert, mit dem, was sie wirklich leistet, in Übereinstimmung zu bringen, werden durch die Erfahrung widerlegt.“ Sagt Schiller, und der [5][Autor], der ihn so zitiert, spricht von einer „Diskrepanzerfahrung“. ## Und was sagt Schiller? Schiller und die ganze deutsche Ideologie geben auf diese Erfahrung eine bildungsindividualistische, protoexistenzialistische Antwort: Wen rettet man, wenn man es nicht mal – nicht erst mal – schafft, sich selbst zu retten? Die klassischen Franzosen folgen dagegen freiheitstheoretisch-egalitären Perspektiven: Wer keine Flüchtlinge im Mittelmeer rettet, versäumt nicht nur das – er verdammt auch sich selbst. Und während man für sich selbst immer die erste Option als quasi alternativlos empfunden hat, wünscht man sich gerade bei vielen Landsleuten – auch im europäischen Sinne –, sie mögen doch endlich die zweite sich zu eigen machen. Diskrepanzerfahrungen eben! Fortsetzung folgt – an anderer Stelle. 19 Jul 2018 ## LINKS (DIR) [1] /Protest-nach-Suizid-eines-Abgeschobenen/!5522067 (DIR) [2] /Debatte-um-Seenotrettung/!5522012 (DIR) [3] https://medium.com/s/futurehuman/survival-of-the-richest-9ef6cddd0cc1 (DIR) [4] https://www.welt.de/politik/ausland/article179509730/Mittelmeer-Libysche-Kuestenwache-soll-Menschen-zum-Sterben-zurueckgelassen-haben.html (DIR) [5] https://www.perlentaucher.de/buch/georg-bollenbeck/eine-geschichte-der-kulturkritik.html ## AUTOREN (DIR) Ambros Waibel ## TAGS (DIR) Geflüchtete (DIR) Ideologie (DIR) Mittelalter (DIR) Klima-Volksentscheid (DIR) Hygienemuseum Dresden (DIR) Europäische Union (DIR) Mittelalter ## ARTIKEL ZUM THEMA (DIR) Berlin Klimaneutral 2030: Schau mir in den Auspuff, Baby! Berlin 2030 klimaneutral? Das Volk hat gesprochen, der Klimaentscheid ist klar gescheitert. Zukunft ist kein Konzept, das bei Wahlen verfängt. (DIR) Ausstellung im Hygienemuseum Dresden: Erstarrt in der Vergangenheit Eine Ausstellung widmet sich dem Thema Rassismus – in Dresden. Die Verantwortlichen haben Angst, die Stadt zu überfordern. Ein Besuch. (DIR) Italien und die Geflüchteten: Ertrinken lassen, aber freundlich Die Italiener sehen sich selbst gern als anständige Leute. Fragt sich nur, warum sie sich ausgerechnet eine rechte Regierung zugelegt haben. (DIR) Kolumne Mittelalter: Spatz Bubu hat den Frühling gebracht Immer wieder hat unser Autor seinem Kind erzählt, warum es noch so kalt ist. Nun ist der Frühling endlich da. Und das alles nur dank der Spatzen.