# taz.de -- Berlin Klimaneutral 2030: Schau mir in den Auspuff, Baby!
       
       > Berlin 2030 klimaneutral? Das Volk hat gesprochen, der Klimaentscheid ist
       > klar gescheitert. Zukunft ist kein Konzept, das bei Wahlen verfängt.
       
 (IMG) Bild: Ob es so gemütlich wird, wenn draußen die Wälder brennen?
       
       Gute Nachrichten aus Berlin! Trotz „Monsterstreik“ machen die prima
       Berliner Verkehrsbetriebe ihren Job, kündigen im Laufband an den Stationen
       stolz sogar in einer Fremdsprache an, dass das Fahr-Business bei U-Bahn,
       Bus und Tram „as usual“ laufe.
       
       Natürlich war es am Montagmorgen wegen der S-Bahn-Flüchtlinge etwas voller
       als sonst in meiner U7 – aber so ist eben: Menschen suchen Lösungen für
       ihre Probleme, weichen aus, sind clever, kreativ und im Extremfall sogar
       mutig. Schön, wenn ein modernes Gemeinwesen ihnen relativ gefahrlose
       Alternativen zur Bedürfniserfüllung zur Verfügung stellt.
       
       [1][Über 3.000 Menschen sind am vergangenen Freitag und Samstag auf der
       italienischen Mittelmeerinsel Lampedusa gelandet.] Auch sie suchen eine
       Lösung für ihre Probleme, so wie Marta Fascina im erweiterten Rahmen ihrer
       Möglichkeit nach Auswegen sucht: Wie die Tageszeitung La Stampa am Montag
       berichtete, sei die Partnerin des italienischen Medien- und Politmoguls
       Silvio Berlusconi [2][auf der Suche nach einer Immobilie mit
       Atomschutzbunker.] Auch eine Liste ihrer Liebsten, denen in einem solchen
       Schutzraum Zuflucht gewährt würde, sei schon erstellt.
       
       Die Armen dieser Welt also riskieren alles, was ihnen noch geblieben ist,
       ihr eigenes Leben und das ihrer Kinder, um dem Elend zu entkommen. Die
       Superreichen scheißen schon länger auf den Pöbel und konkretisieren nun
       ihre Fluchtfantasien angesichts der kommenden Apokalypse und Aufstände –
       der US-Autor Douglas Rushkoff hat das gerade [3][in seinem Buch „Survival
       of the Richest“] noch mal für alle nachlesbar zusammengefasst.
       
       ## Klimakatastrophe und Artensterben
       
       Und wir so? Der westliche Mensch, Abteilung Berlin? Wir sagen, anlässlich
       des Volksentscheids „Berlin 2030 klimaneutral“ „nein“ zum Versuch, der
       repräsentativ gewählten Politik ein bisschen Beine zu machen, bei der
       möglicherweise eh schon vergeblichen Anstrengung, Klimakatastrophe und
       Artensterben noch abzuwenden. Wir sagen, um genau zu sein, sogar in der
       Mehrzahl nicht mal mit mehr oder weniger guten Gründen „nein“ (nach dem
       Motto: „Du bist am Verdursten? Oh, tut mir leid, da gibt es rechtliche
       Hürden, ich kann dir leider nichts zu trinken geben, nee, echt jetzt“).
       
       Wir sagen: Das geht uns nichts an, das interessiert uns nicht. Wir nutzen
       das Privileg, frei über unsere Zukunft abstimmen zu können, dazu, dem
       Konzept Zukunft eine Absage zu erteilen.
       
       Das ist eine Ansage, die ernst zu nehmen ist, und zwar jenseits von
       moralisch-ästhetischem oder sozial-politischem Gejammer: Ob die Leute nun
       einfach weiter dumpf in ihrem SUV zum Einkaufen um die Ecke fahren wollen
       oder arm und ausgepowert von 50 Jahren neoliberalem Kahlschlag vollkommen
       apathisch vor sich hin dämmern – das Volk hat gesprochen.
       
       Wer mit den geschichtlichen Erfahrungen hierzulande im Rücken zu dieser
       Diagnose kommt, tut gut daran, eine individuelle Lösung in Betracht zu
       ziehen. Sich eine Prepperexistenz aufzubauen, ist da eine naheliegende
       Idee.
       
       ## Dankbar für Schlepper
       
       Allerdings haben schon die oben erwähnten Superreichen das Problem, dass
       sie sich nicht auf das Personal verlassen können, das ihre Bunker bewachen
       soll. Einen Notvorrat im Keller zu haben ist so lange eine schlüssige Idee,
       wie draußen eine öffentliche Ordnung existiert, die hungrige und durstige
       Menschen davon abhält, den Keller einfach zu plündern; möglicherweise ist
       es sinnvoller, sich im Fall der Fälle dieser Menge anzuschließen, als auf
       Privateigentum zu setzen und dieses dann aber auch verteidigen zu müssen –
       beim herrschenden liberalen Waffenrecht vor allem eine Frage der
       individuellen Skrupellosigkeit.
       
       Die Antwort für alle, die im Gegensatz zur Mehrheit noch am Konzept Zukunft
       festhalten, die nicht superreich oder verzweifelt arm sind, kann deshalb
       wohl nur sein, eine letzte Hoffnung auf die Macht des Faktischen zu setzen,
       auf die Logik des Notstands.
       
       Erst wenn Ahrtal und Brandenburger Monsterwaldbrände nicht mehr als
       Ausnahmen abgeheftet werden können, sondern als neue Normalität ins
       allgemeine Bewusstsein eingesickert und eingebrannt sind, werden Maßnahmen
       mehrheitsfähig sein, die der Lage entsprechen.
       
       Sollte es damit zu spät sein, werden wir vor Dankbarkeit weinen, wenn
       irgendein sogenannter Schlepper uns einen Platz in einem überfüllten
       Schlauchboot verkauft.
       
       27 Mar 2023
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Archiv-Suche/!5924244&s/
 (DIR) [2] https://www.open.online/2023/03/27/marta-fascina-berlusconi-rifugio-antiatomico-attacco-nucleare/
 (DIR) [3] https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/buecher/rezensionen/sachbuch/douglas-rushkoffs-buch-survival-of-the-richest-18764837.html
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Ambros Waibel
       
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