# taz.de -- Verlorener Klima-Volksentscheid: Nur Öko reicht nicht
       
       > Gründe für das Scheitern des Klima-Entscheids gibt es viele. Der wohl
       > wichtigste: Menschen hatten Angst vor den Folgekosten von mehr
       > Klimaschutz.
       
 (IMG) Bild: Viel Engagement für eine Niederlage. Niedergeschlagene Aktivistin von Berlin 2030 klimaneutral
       
       BERLIN taz | Es war das radikalste Projekt der deutschen Klimabewegung der
       vergangenen Jahre und hätte ihr größter Erfolg werden können. Doch das
       Vorhaben, Berlin bereits 2030 auf Klimaneutralität zu verpflichten und die
       Stadt damit zum weltweiten Vorreiter zu machen, ist krachend gescheitert.
       
       Schon eine Stunde nach Schließung der Wahllokale um 18 Uhr zeichnete sich
       am Sonntag ab, dass die notwendige Anzahl von mehr als 600.000 Ja-Stimmen
       nicht erreicht werden würde. [1][Auf der Wahlparty der Initiative
       Klimaneustart] im Kreuzberger Umspannwerk machte sich Katerstimmung bei den
       etwa 200 Aktivist:innen breit.
       
       Das Ergebnis sei eine Niederlage, „die uns jahrelang vorgehalten werden
       wird“, so Aktivistin Marit Schatzmann. Und [2][Luisa Neubauer] nannte das
       Ergebnis „dramatisch für alle Menschen“, auch für jene, die nicht für sie
       gestimmt hätten.
       
       Laut dem amtlichen Endergebnis votierten zwar 442.210 Menschen und damit
       eine knappe Mehrheit von 50,9 Prozent für die Initiative, gegenüber 423.418
       Nein-Stimmen (rund 48,7 Prozent). Doch das Zustimmungsquorum von 25 Prozent
       der Wahlberechtigten blieb auch angesichts einer insgesamt mauen
       Wahlbeteiligung von 35,8 Prozent in weiter Ferne.
       
       Der Lobbyverein für mehr Bürgerbeteiligung „Mehr Demokratie“ forderte am
       Montag die Abschaffung des Quorums – dies „untergrabe das
       Mehrheitsprinzip“. Dort, wo es kein Mindestquorum gebe wie etwa in Bayern
       und Sachsen, sei die Beteiligung an Volksentscheiden am höchsten.
       
       ## Spaltung der Stadt
       
       Deutlich geworden ist abermals eine Spaltung der Stadt zwischen den Kiezen
       inner- und außerhalb des S-Bahn-Rings. In den sechs Bezirken, die
       vollständig oder zum Teil in der Innenstadt liegen, lag die Initiative
       vorn, in den sechs reinen Außenbezirken überwogen dagegen die Nein-Stimmen.
       
       Die Ergebnisse spiegeln damit fast exakt [3][jene der Wahlwiederholung vom
       19. Februar wider]. Innerhalb des Rings, wo die Grünen fast flächendeckend
       stärkste Kraft wurden, und in den wenigen Wahlkreisen, in denen die Linke
       vorne lag, gab es eine Mehrheit für den Volksentscheid. Der schwarze
       CDU-Ring drumherum dagegen lehnte nun auch die Klima-Initiative ab.
       Manifestiert hat sich damit eine Zweiteilung der Stadt zwischen einem
       progressiven Zentrum und einer eher konservativen Peripherie. Oder
       zumindest einer, die sich bei radikalen Politikänderungen nicht ausreichend
       mitgedacht fühlt.
       
       Die größte Ungläubigkeit unter den Aktivist:innen löste die hohe Anzahl
       von Nein-Stimmen aus. Selbst unter den Briefwähler:innen lag die
       Initiative nur knapp vorne. Und in manchen Wahlkreisen erreichte die
       Ablehnung mehr als 70 Prozent. Hinfällig ist damit auch die –
       [4][berechtigte – Kritik daran, dass Volksentscheid und Wahl nicht an einem
       Termin stattfanden]. Wäre es so gekommen, hätte das Nein aller
       Wahrscheinlichkeit nach überwogen.
       
       ## Wieso Nein?
       
       Die Frage, die bleibt, ist also weniger, warum so wenige Menschen für den
       Volksentscheid gestimmt haben, als vielmehr: Was hat so viele Menschen dazu
       motiviert, gegen schärfere Klimaschutzmaßnahmen zu stimmen?
       
       Fragt man am Tag danach bei der Initiative selbst, wird auf die Macht der
       Wirtschaft und jene, die an der fossilen Energie hängen, verwiesen: „Deren
       Narrativ, dass durch mehr Klimaschutz alles teurer wird, hat verfangen“,
       sagt die Sprecherin von Klimaneustart Berlin, Jessamine Davis. „Die
       Menschen hatten Angst, dass das Leben durch den Klimaschutz nicht besser,
       sondern teurer wird, und dass ihnen Sachen weggenommen werden, auf die sie
       angewiesen sind.“
       
       Die Schuld dafür sieht Davis nicht bei der Initiative. Diese habe „immer
       gesagt, dass Klimaschutz sozial gerecht sein muss“. Man habe bewusst keine
       konkreten Maßnahmen vorgeschlagen, wie die schnelle Reduzierung der
       Treibhausgasemissionen um 95 Prozent gegenüber 1990 erreicht werden kann,
       damit dies die Stadtgesellschaft aushandeln könne, so Davis.
       
       ## Fehlende soziale Dimension
       
       Kritischer mit den Initiatoren ist Michael Efler, einst klimapolitischer
       Sprecher der Linksfraktion und nun im Vorstand des Vereins Bürgerbegehren
       Klimaschutz. Der taz sagt er: „Der Initiative hat die soziale Dimension
       gefehlt.“ Die Kampagne für den Volksentscheid sei ein rein ökologisches und
       „kein sozial-ökologisches Bündnis“ gewesen. Es sei nicht gelungen, die
       möglichen Konsequenzen zu erklären, etwa welche Kosten oder Zumutungen auf
       die Einzelnen zukommen, wenn sie ihre Verbrenner nicht mehr fahren dürfen
       oder ihre Gasheizungen austauschen müssen.
       
       Tatsächlich fehlten der Initiative starke Bündnispartner außerhalb der
       Öko-Szene, etwa aus Gewerkschaften oder Sozialverbänden. Selbst die
       Kampagne Deutsche Wohnen & Co enteignen hatte erst kurz vor dem
       Abstimmungstermin und mit nur knapper Mehrheit ihre Unterstützung
       beschlossen. Auf Resonanz stieß dann auch Kritik im Vorfeld aus der linken
       Szene selbst, so etwa das [5][Essay des ehemaligen DW-Enteignen-Sprechers
       Moheb Shafaqyar in der taz], der angesichts der nicht definierten
       Umsetzungsperspektive ein Ausspielen der ökologischen gegen die soziale
       Frage durch den neuen Senat befürchtete.
       
       In eine ähnliche Richtung [6][argumentiert auch die Grünen-Fraktionschefin
       Bettina Jarasch], wenn sie sagt, dass nicht deutlich genug geworden ist,
       „dass es sich nur noch Reiche leisten können, hier gut zu leben, wenn der
       Klimawandel ungebremst so weitergeht“.
       
       Ganz offensichtlich waren mögliche Kostensteigerungen innerhalb der
       nächsten 7 Jahren vielen Wähler:innen präsenter als noch höhere Kosten
       in 10 oder 20 Jahren. Nicht zu vermitteln war zudem, warum Berlin ohne
       Unterstützung und entsprechende Politik des Bundes voranschreiten sollte
       und allein die höheren Kosten tragen müsse. „Irgendwer muss ja vorangehen“,
       ist kein massentaugliches Argument.
       
       ## Nicht umsetzbar?
       
       Eine Rolle gespielt hat zudem die auch im Nachhinein etwa von Franziska
       Giffey (SPD) noch einmal betonte Frage nach der Realisierbarkeit. Eine
       Mehrheit der Berliner:innen habe gesehen, „dass die Forderungen nicht
       umsetzbar gewesen wären“, so Giffey.
       
       Trotz ihrer Betonung, daran zu arbeiten, „dass Berlin schnellstmöglich vor
       2045 klimaneutrale Stadt wird“, dürfte die Erleichterung bei den kommenden
       Senatsparteien groß sein. Ein erfolgreicher Volksentscheid in Sachen Klima
       hätte Vorhaben wie den Ausbau der A100 oder die Bebauung des Tempelhofer
       Feldes mehr als infrage gestellt und die Notwendigkeit einer echten, von
       CDU und SPD verteufelten Mobilitätswende offenbart.
       
       Doch die Klimafrage wird auch nach dieser Abstimmung virulent bleiben. Am
       Montag forderte der Berliner Mieterverein mehr Tempo beim Klimaschutz und
       der Wärmewende. Mieter:innen hätten „ein großes Interesse daran, dass
       ihre Häuser besser gedämmt und klimafreundlicher mit Wärme versorgt
       werden“, so Geschäftsführer Sebastian Bartels, sie „wollen nur nicht wie
       bisher die Dummen sein, die für den Großteil der Kosten aufkommen“. Der
       Senat müsse Vereinbarungen mit Vermieter:innen treffen und
       Mieter:innen entlasten.
       
       Weitermachen wird auch die Initiative Klimaneustart. Eine Möglichkeit:
       Andere Initiativen haben bereits einen „Plan B“ entwickelt. Dabei geht es
       um die lokale Organisierung, um auf Kiezebene Bürgerinitiativen oder
       Energiegenossenschaften voranzubringen. Motto: „Wir machen Berlin 2030
       klimaneutral selbst.“
       
       27 Mar 2023
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
 (DIR) Erik Peter
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Klima-Volksentscheid
 (DIR) Schwerpunkt Klimawandel
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