# taz.de -- Ausstellung im Hygienemuseum Dresden: Erstarrt in der Vergangenheit
       
       > Eine Ausstellung widmet sich dem Thema Rassismus – in Dresden. Die
       > Verantwortlichen haben Angst, die Stadt zu überfordern. Ein Besuch.
       
 (IMG) Bild: Das Hygienemuseum beschränkt sich weitgehend auf eine historische Auseinandersetzung mit dem Thema Rassismus
       
       DRESDEN taz | Wie riecht Pegida? Darf man so etwas fragen? Könnte man
       darauf eine Antwort erwarten von einer Ausstellung, die in der Hauptstadt
       der neuen deutschen völkischen Bewegung über Rassismus sprechen will?
       
       Abwegig wäre eine solche sinnliche Herangehensweise keineswegs. Im Museum
       der Stadt New Plymouth in Neuseeland etwa können derzeit Reise und Ankunft
       der ersten europäischen „Siedler“ – oder wie wollen wir sie nennen? – auch
       mit der Nase nachvollzogen werden: Dazu setzen die Kuratoren zum Beispiel
       auf die Reproduktion des Geruchs von Teer, von Moder, von schmutziger
       Wäsche, sogar von Erbrochenem.
       
       Die Ausstellung „Rassismus: Die Erfindung von Menschenrassen“ im Dresdner
       Hygiene-Museum traut sich so etwas nicht. Sie wagt es nicht, den
       spezifischen Ort Dresden in seiner aktuellen Verfasstheit einzufangen – und
       ist somit erst mal eine verpasste Chance.
       
       Indem die Ausstellung Angst hat, Dresden zu überfordern, unterfordert sie
       eine Stadt, die sehr viel diverser und dynamischer ist als es die
       rechtsradikalisierten Intellektuellen in ihren subventionierten
       Elfenbeintürmen, die ängstlichen Kulturfunktionäre oder die
       Ü-70-Touristenmengen in der sterilen Dresdner Altstadt widerspiegeln. In
       den Worten der Kuratorin Susanne Wernsing: „Die gegenwärtige Situation ist
       sehr zurückgefahren in der Ausstellung. Dem ging eine sehr lange Diskussion
       voraus.“
       
       So weit, so unbefriedigend 
       
       Umgekehrt ist es unbedingt sehr viel spannender, eine weggeduckte, im quasi
       DDR-Andeutungsmodus verharrende Ausstellung über Rassismus in Dresden zu
       sehen – am Schnittpunkt von Mittel- und Ost-, von Merkel/Macron- und
       Orbán/Kaczynski-Europa – als irgendein gratisaufgeklärtes Pendant somewhere
       in Westdeutschland.
       
       Was und wie Dresden unsere rassistische Gegenwart in Dresden verhandelt,
       das ist wichtig für eine mögliche bessere Gegenwart und Zukunft in
       Deutschland und in Europa.
       
       Machen wir es konkret: Etwa in der Mitte der Ausstellung finden sich in
       einem schwarz ausgekleideten Kabinett Teile der schon auf der documenta 14
       zu sehenden spot_the_silence- Installation mit Videostelen.
       
       Dort sprechen Angehörige von Opfern des Nationalsozialistischen Untergrunds
       (NSU) über ihre Erfahrungen und Gefühle. Bei meinem Besuch eine Woche nach
       Eröffnung gab es keinen Hinweis, was es hier eigentlich zu sehen gibt und
       vor allem keine Einordnung in den Kontext. Auch im Katalog fehlt jeder
       Verweis auf die Installation.
       
       Schön in der Mitte bleiben 
       
       Das Ganze wirkte, als wolle man eben schön in der Mitte bleiben: Rassisten,
       das sind zweifelsfrei die Naziterroristen vom NSU. Hier, bitteschön, ein
       Raum für die Opfer – und weiter geht’s, Richtung Postkolonialismus und
       Aufarbeitung der gewiss üblen Geschichte der Institution Hygiene-Museum im
       Nationalsozialismus. Die unkritische Resonanz, die die Dresdner Ausstellung
       bekommen hat, zeigt, dass diese historisierende Strategie aufgegangen ist.
       
       Wenn man mit der selbständigen Kuratorin Susanne Wernsing über solche
       Leerstellen der Ausstellung spricht, spürt man Vorsicht, spürt nicht die
       uneingeschränkte, auch erschöpfte Begeisterung für das, was man doch unter
       höchster Anstrengung auf die Beine gestellt hat. Was ist passiert? In einem
       – im üblichen Szenejargon gehaltenen – Katalogtext mit dem Titel
       „Intervenieren als rassismuskritische Praxis“ von Natasha E. Kelly „und Bo,
       eine weiße Aktivistin aus Dresden“ werden Fragen dazu aufgeworfen:
       
       „Wie kann eine Ausstellung sich mit Rassismus auseinandersetzen, ohne ihn
       zu reproduzieren? Was darf gezeigt werden und was nicht? Wie kann die
       Multiperspektivität dieses Phänomens Berücksichtigung finden? Schnell wurde
       klar, dass solche und andere Fragen nicht von Kurator*innen beantwortet
       werden können, die alle selbst keine Rassismuserfahrungen machen. So wurden
       – wenn auch erst sehr spät – Expertinnen, die über Fach- und
       Erfahrungswissen verfügen, eingeladen, sich in den laufenden
       Gestaltungsprozess einzubringen.“
       
       Rassismus, schreiben Kelly und Bo, sei auch „kein ‚Phantom‘“, wie der der
       Titel der Ausstellung ursprünglich heißen sollte („Anatomie eines
       Phantoms“). Auch ihr sei klar, sagt Susanne Wernsing: „Die Entscheidung zur
       Bildung einer Expert*innen- Workshopgruppe wurde spät getroffen. Es hat
       daher auch viele andere Akteurinnen und Akteure in diesem Feld gegeben, die
       es abgelehnt haben, zu diesem späten Zeitpunkt noch eingebunden zu werden,
       was ich sehr nachvollziehbar finde.“ Dennoch sei sie, die seit Januar 2016
       an der Ausstellung gearbeitet hat, überaus dankbar für die Arbeit der
       Gruppe, die im August 2017 begonnen habe, als die Konzeption der
       Ausstellung schon sehr weit gediehen gewesen sei.
       
       „Weiße Flecken“ 
       
       Diese Beteiligung zeigt sich insbesondere an – ausgerechnet – gelben,
       Post-it-artigen Zetteln, die neben ausgewählten Objekten ergänzend zur –
       eigentlichen? – Beschriftung angebracht worden sind. Eine Erläuterung
       dieser doch ungewöhnlichen Praxis am Ausstellungseingang fehlte bei meinem
       Besuch, soll aber noch nachgereicht werden.
       
       Es ist zweifellos richtig, dass es „weiße Flecken“ gibt, wie die Autorinnen
       des genannten Katalogtextes schreiben: „Dinge, die aus der eigenen
       gesellschaftlichen Positionierung nicht gesehen werden können.“ Bei der
       Frage, ob durchaus zum Tod führende rassistische Abwertungen und
       Ausschlüsse den Nichtbetroffenen – den potentiellen Tätern also –
       wenigstens im Nachhinein vermittelt werden können, widersprechen sich die
       Autorinnen dann allerdings: Einmal seien sie „nicht immer nachvollziehbar“,
       ein andermal kategorisch „nicht nachzuempfinden.“
       
       Die Sicht der „rassistisch Markierten“ ist in der Feigenblattform des
       gelben Zettelchens dann allerdings nur aufs Neue exotisierend,
       unverbindlich und unproblematisiert, bleibt eine
       „Ah-so-kann-man-es-auch-sehen“-Beschriftung.
       
       Auch hier also fehlen der Ausstellung Mut und Wille zur harten
       Auseinandersetzung mit drängenden zeitgenössischen Fragen, fehlt die
       Synthese. Diese notwendige Energie schient woanders hingeflossen zu sein:
       „In Museen muss viel Überzeugungsarbeit geleistet werden zur Notwendigkeit,
       überhaupt von Rassismus betroffene beziehungsweise erfahrene Personen
       einzubeziehen“, beschreibt es Susanne Wernsing.
       
       Wo ist das Europa von heute? 
       
       So sehe und erfahre ich in Dresden viel: Ich habe eine zwischen Abwehr und
       Mulmigkeit schwankende Wiederbegegnung mit den Elastolin-Indianern, mit
       denen ich als Kind – unschuldig? – Szenen aus Büchern des Dresdners Karl
       May nachgespielt habe; werde von einer monströsen Tabelliermaschine in
       Empfang genommen, mit deren Lochkarten bei der Volkszählung 1933 die
       deutsche Bevölkerung jüdischer Religion systematisch erfasst werden konnte:
       der Computer des Holocausts sozusagen. Ich sehe eine Karte von 1875, auf
       der das frisch gegründete Deutsche Reich sich seiner Masse und Verteilung
       an blonden und blauäugigen Kindern versichern muss. Ausgerechnet Bayern
       schneidet da sehr schlecht ab, wird „rassistisch markiert“ – obwohl damals
       noch ganz unumstritten die Kreuze in den Klassenzimmern hingen.
       
       Zwei Tage nach meinem Besuch in Dresden fliege ich nach Wien. Vom
       Hauptbahnhof aus könnte ich in jeweils einer Stunde in drei verschiedene
       Länder fahren. Auf dem Weinfest in dem Dorf in der Slowakei sind alle sehr
       freundlich, sehr betrunken, am Mittag weiß und am Abend rot.
       
       Der netteste und intelligenteste Mensch, den ich kennenlerne, fährt mich
       Montagfrüh die anderthalb Stunden nach Wien zum Flughafen, wo er arbeitet.
       Er hat vier Mutter-, beziehungsweise Vatersprachen: Slowakisch, Ungarisch,
       Bulgarisch und Deutsch. Und auf Deutsch fängt er plötzlich an, von Angela
       zu reden, und dass sie das ja nicht so gut gemacht hätte, dass sie die
       ganzen Muslime reingelassen hat, „diese Verbrecher“.
       
       Das ist Europa heute, das ist Europas Rassismus heute. Schade, dass man
       davon in der Dresdener Ausstellung so wenig zu sehen, zu hören – und zu
       riechen bekommt.
       
       13 Jun 2018
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Ambros Waibel
       
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