# taz.de -- Mit Behinderung an den Syntheziser: Inklusiver Techno
       
       > „Ick mach Welle!“ heißt ein Berliner Workshop, der Inklusion in die
       > elektronische Musikszene trägt. Wenn auch spät: langsam bewegt sich was.
       
 (IMG) Bild: Workshop „Ick mach Welle!“ bei der Lebenshilfe Neukölln
       
       Und dann haben sie sich irgendwann eingegroovt. Workshop-Teilnehmer Uwe
       Locati bewegt die Regler einer Roland-TR-8-Rhythmusmaschine auf und ab,
       neben ihm steht Dave Senan, der Leiter des Kurses, an einem Laptop und legt
       mit einem Soundprogramm einen reduzierten Beat darunter. Tk, tk, tk. Der
       Dritte im Bunde, Danilo Amalique, spielt ein paar Synthesizertöne dazu, es
       wird nun laut im improvisierten Proberaum im Richardkiez in Berlin
       Neukölln. Ein flirrender, spaciger Blubbersound kommt dazu. „Ahhh, jaaa“,
       ruft Locati, ein kleiner, schmaler Mann Mitte vierzig, freudig aus.
       
       Drei Leute, die sich treffen und ein paar Beats zusammen bauen – das ist in
       Berlin, Europas Mekka der elektronischen Musik, eigentlich kaum der Rede
       wert. Hier, in den Räumlichkeiten der Neuköllner Lebenshilfe, aber sind mit
       Danilo Amalique und Uwe Locati zwei Musiker beteiligt, die eine kognitive
       Beeinträchtigung haben – und für sie ist es alles andere als
       selbstverständlich, selbst Musik zu machen.
       
       „Ich spiele im Workshop zum ersten Mal überhaupt ein Instrument“, sagt
       Locati, ein Elektro- und HipHop-Fan, „und ich genieße das.“ Zum vierten Mal
       besuchen die beiden den Workshop „Ick mach Welle!“, den die Lebenshilfe im
       Frühjahr gemeinsam mit dem Berliner Elektroniklabel Killekill initiiert
       hat.
       
       ## Die Hürden der Clubszene
       
       Insbesondere Menschen mit kognitiven Einschränkungen haben in Berlin
       bislang kaum Berührungspunkte mit der elektronischen Musikszene – weder
       passiv als Besucher noch aktiv als Musiker. „Die Clubszene gilt ja als sehr
       offen – im Hinblick auf Menschen mit Behinderung kann man das kaum
       behaupten“, sagt Markus Lau, Leiter des familienentlastenden Dienstes der
       Lebenshilfe, der den Workshop gemeinsam mit seinem Kollegen Carsten Hirthe
       und Nico Deuster von Killekill auf die Beine gestellt hat.
       
       Diese Zugänge will die Lebenshilfe nun schaffen. Seit einiger Zeit
       organisieren Lau und Hirthe im Lichtenberger Club Mensch Meier die
       inklusiven Spaceship-Clubabende – nun können im Rahmen von „Ick mach
       Welle!“ wöchentlich rund zehn Teilnehmerinnen und Teilnehmer lernen, wie
       man mit Soundprogrammen, Synthesizern und Rhythmusmaschinen arbeitet. Wenn
       das Projekt auch aktuell noch in den Kinderschuhen steckt, sind die
       Ambitionen doch groß: so könne man sich vorstellen, ein Label für Musiker
       mit Behinderung zu gründen – denn die Teilnehmer sollen beim Workshop so
       ausgebildet werden, dass sie ihre eigene Musik produzieren können.
       
       Dazu braucht „Ick mach Welle!“ zunächst einmal eine dauerhafte
       Finanzierung. Die senatseigene Pop-Institution Musicboard unterstützt das
       Projekt mit 15.000 Euro, einige Instrumentehersteller haben Equipment zur
       Verfügung gestellt.
       
       ## Abhängigkeit von Fahrdiensten
       
       Aber den provisorischen Proberaum hier in der Hertzbergstraße – ein
       Aufenthaltsraum mit Sofas, Tischen und kleiner Küche – will man eigentlich
       bald verlassen und dauerhaft einen ‚richtigen‘ Proberaum anmieten. Auch
       dafür braucht es Geld. Mehr als 3.500 Euro konnte man [1][via Crowdfunding
       einsammeln] – die Aktion hat man nun verlängert, um Geld für die
       Studioausstattung und Aufnahmen reinzuholen.
       
       Danilo Amalique, ein großer, lockiger junger Mann mit dunkler Hautfarbe,
       setzt sich jetzt hinter das elektronische Schlagzeug und spielt einen
       Rhythmus. Er fixiert konzentriert die Drumpads, schlägt mit Drumsticks auf
       Hi-Hat und Snare zugleich. Der 27-Jährige, der bald beim „Zug der Liebe“
       auflegen will, wie er erzählt, hat heute viel Zeit, herumzuprobieren, denn
       an diesem Nachmittag sind nur drei Teilnehmer erschienen – von denen eine
       die Gruppe bald schon wieder verlässt. „Wahrscheinlich wegen des Wetters“
       seien die Fahrdienste zum Teil ausgefallen, sagt Carsten Hirthe, der nun
       beginnt herumzutelefonieren. Am Morgen hatte es Starkregen gegeben.
       
       Ein Teil der Lebensrealität der Teilnehmer: Fahrdienste müssen organisiert
       werden, sie sind auf andere angewiesen, damit Inklusion funktionieren kann.
       Was die Clubbesuche betreffe, gebe es an der Spree Nachholbedarf, sagt
       Markus Lau: „Der Sonderfahrdienst in Berlin fährt zwischen 1 und 5 Uhr
       nachts nicht. Gerade zu diesen Zeiten spielt sich das Nachtleben aber ganz
       wesentlich ab. Menschen mit kognitiven und körperlichen Beeinträchtigungen
       sind da ausgeschlossen.“
       
       ## Das Label Killekill engagiert sich
       
       Und sowieso: Am besten funktioniere Inklusion immer schwarz auf weiß – in
       der UN-Behindertenrechtskonvention von 2008 oder im Bundesteilhabegesetz
       von 2016. In der Praxis sei man oft meilenweit von den Vorgaben entfernt.
       
       Auch in der DJ- und Produzentenszene sind Menschen mit Beeinträchtigung die
       Ausnahme. Nico Deuster, Gründer von Killekill und als Produzent unter dem
       Alias DJ Flush bekannt, muss lange überlegen, wann er in Clubs mal auf
       Kolleginnen oder Kollegen mit Behinderung getroffen ist. „Jenseits der
       Spaceship-Party, bei der ich aufgelegt habe, kann ich mich nicht an eine
       Begegnung erinnern.“
       
       Dass mit Deusters Label ein in der Berliner Szene etablierter Player bei
       Ickmachwelle mitwirkt, ist ein sehr gutes Zeichen – so erübrigt sich jeder
       Gedanke, hier könne pädagogisches Interesse im Vordergrund stehen. Auch
       beim Krake Festival, das sein Label ab dem 23. Juli veranstaltet, ist
       übrigens ein Inklusionsprojekt am Start: 21 Downbeat, die Band des Theaters
       Ramba Zamba, wird gemeinsame mit Produzent T.Raumschmiere auftreten.
       
       ## Handicapped, Handiclapped
       
       Natürlich gibt es noch weitere Positivbeispiele aus Berlin, bei denen
       Menschen mit Behinderung auf der Bühne erfolgreich sind – zum Beispiel der
       Rapper Graf Fidi, die Bands Tonalpie und Mendecino oder DJ Eltron. Und es
       bewegt sich gerade etwas, wenn auch spät: So ist das Thema Inklusion beim
       Musicboard in diesem Jahr Schwerpunktthema. Zudem findet jährlich das
       „Zurück zu den Wurzeln“-Festival statt. Mit der „Werkstatt Utopia“ gibt es
       ein frisches inklusives Projekt. Und „Berlinklusion“ ist ein junges,
       vielversprechendes kulturelles Netzwerk.
       
       Doch ist man von echter, gelebter Inklusion oftmals weit entfernt, weiß
       auch Peter Mandel. Mandel organisiert deshalb seit zehn Jahren mit dem
       Verein Handiclapped Konzerte, Workshops und ein Bandprojekt. „Wir arbeiten
       daran, dass wir bei unseren Konzerten und Partys ein gemischtes Publikum
       haben“, sagt der 55-Jährige am Telefon, „aber es ist ein schwieriger Weg.
       Oft bleiben Menschen mit Behinderung unter sich.“
       
       ## Laut und leise
       
       Die Handiclapped-Abende hingegen hätten sich inzwischen etabliert, zwischen
       50 und 80 Leute kämen in der Regel. Zum Thema Barrierefreiheit sagt Mandel,
       dass die Leute es sich oft viel zu einfach vorstellten – mit einem
       Fahrstuhl sei die Sache für die meisten erledigt. Dabei bedeute es weit
       mehr: zum Beispiel akustische Wegbeschreibungen für Menschen mit
       Sehbehinderung im Netz. Auch Angebote in Leichter Sprache kann man dazu
       zählen.
       
       In den Räumlichkeiten der Lebenshilfe läuft die Kommunikation an diesem
       Julinachmittag meist nonverbal – über Musik. Uwe Locati hat gerade ein paar
       Keyboardsounds ausprobiert, nun macht er eine kurze Pause und sagt: „Ich
       würde gern mal eigene Songs mit Synthesizern machen und damit auftreten.“
       Wie die klingen sollen? „Laut und leise im Wechsel, das mag ich gerne.“
       
       Um auf ihre Anliegen aufmerksam zu machen, denkt man sich, wäre ‚extrem
       laut‘ wohl genau das richtige Level.
       
       22 Jul 2018
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://www.startnext.com/ickmachwelle
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Jens Uthoff
       
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