# taz.de -- Fußballspieler Mesut Özil: Mensch Mesut
       
       > Krisenmanagement in seiner schlechtesten Form: Warum der Fall Özil
       > eskalierte und welche Schuld der Fußballprofi daran trägt.
       
 (IMG) Bild: Özil öffnete sich vor allem im Stadion, das musste reichen
       
       Mesut Özil ist ein schüchterner, fast schon scheuer Mensch. Interviews mit
       ihm sind eine Rarität. Der Deutsche Fußball-Bund, sprich die Führung der
       Nationalmannschaft, hat ihn über die gesamte Dauer seiner Karriere
       abgeschirmt wie eine besonders fragile Giacometti-Figur, der bei allzu
       direktem Kontakt mit Journalisten ein Bein abbrechen könnte. Özil galt
       unter den Kollegen als [1][stummer Meisterschüler], der seine Fähigkeiten
       nur auf dem Rasen zeigte.
       
       Außerhalb des Platzes war Özil schmerzhaft unnahbar. Wenn man ihn mit
       seinen großen Kopfhörern und verhuschten Blicken an der Meute der Schreiber
       vorbeilaufen sah, dann hatte man durchaus Verständnis für diese
       Verweigerungshaltung, denn sie schien aus der Not geboren zu sein. Mesut
       Özil kann irgendwie nicht anders. Auf dem Platz fühlt er sich frei, in der
       Mixed Zone oder auf dem Podium dagegen so unfrei, wie man sich nur fühlen
       kann. Özil öffnet sich im Stadion, das musste reichen.
       
       Hatte er in der Arena vor den Fans nicht schon genug von sich gezeigt? Und
       belieferte er nicht auch noch [2][ein Heer von Followern] mit Schnipseln
       aus seinem Leben als stilsichere Fußballikone? Musste er sich noch mehr
       entäußern? Nein, musste er nicht. Özil kontrolliertes Spiel mit der
       Öffentlichkeit ging ja eigentlich immer auf. Er bekam seine Likes, und die
       Journalisten warteten halt vergeblich auf Wortbeiträge des Seidenfußes; es
       gibt Schlimmeres.
       
       Manche sagten zwar etwas maliziös, der Mesut müsse vom DFB-Pressecorps vor
       sich selbst geschützt werden, andere hielten sein Schweigen für Arroganz.
       Aber sie verwechselten da etwas, ganz klar, denn Mesut Özil wollte nur
       schnell zurück in seine geschützte Mesut-Özil-Welt, in der er sich erholen
       konnte von den Zumutungen der Medienheinis und den Zudringlichkeiten von
       Leuten, denen er glaubte, nichts geben zu müssen, nichts geben zu können.
       Aber wie das so ist, wenn eine Karriere, eine Weltmeisterschaftskarriere
       voranschreitet, will sich auch einer wie Mesut Özil erklären. Zeigen, wie
       er wirklich ist und dass er mehr zu bieten hat als Dribblings und
       Kurzpässe.
       
       ## Die Liebe zur Heimat, also der deutschen
       
       Also hat er im Vorjahr ein Buch („Die Magie des Spiels“) geschrieben über
       sich und seinen Werdegang. Er hat erklärt, dass er zu Hause meist nur
       Türkisch gesprochen hat. Auch in der Vorschule und in der Schule musste er
       nicht groß Deutsch reden; in seinem Gelsenkirchener Viertel war das halt
       so. Er forderte Respekt für sich und seine Lebensleistung, er gestand seine
       Liebe zur Heimat, also der deutschen, und fühlte doch zwei Herzen in seiner
       Brust schlagen. Er wagte etwas – abseits des Platzes. [3][In einem
       Interview] mit der Welt im Anschluss an die Buchveröffentlichung schwärmte
       er wie nach einer erfolgreichen Psychotherapie: „Es tut gut, offen zu
       sein.“
       
       Ein bisschen geflunkert war das natürlich schon, denn darauf angesprochen,
       was er von den türkisch-deutschen Beziehungen halte, sagte er: „Ich bin
       kein Politiker. Da sollen andere Leute was zu sagen. Ich kann es eh nicht
       beeinflussen.“ Da war er wieder, der übervorsichtige Mesut, der Angst davor
       hatte, falsch verstanden zu werden. Eine begründete Angst, wie sich ein
       paar Monate später herausstellen sollte, als er für seine Verhältnisse
       wieder extrem mutig in die Offensive ging und sich mit dem türkischen
       Staatschef Recep Tayyip Erdoğan ablichten ließ, kurz vor den Wahlen in der
       Türkei, die den Autokraten in eine noch mächtigere Position bringen
       sollten.
       
       Mesut Özil gab wieder ein Stück von sich und seiner Welt preis. Er gewährte
       Einblick in sein Leben. Ihm muss es vorgekommen sein, als habe er den
       Gipfel der Authentizität erklommen. Seht her, Leute, ich bin es, Mesut,
       Fußballer und Mensch! Geradezu gelöst und heiter zeigte er sich mit dem
       Demokratieverächter aus der Heimat seiner Ahnen. Er hatte ihn ja nicht zum
       ersten Mal getroffen, aber die Durchschlagskraft [4][des Schnappschusses]
       war diesmal enorm. Er traf direkt ins Herz. Ins Herz des DFB. Der Fans. Der
       Leitartikler. Und der Pöbelfraktion im Netz, die enthemmt zu Werke ging.
       [5][Mesut Özil hatte etwas ausgelöst].
       
       Ein medialer Tsunami baute sich auf, und der Fußballer des FC Arsenal
       London konnte nur noch staunend zuschauen, wie der Kamm dieser Welle immer
       höher und höher stieg. Wie paralysiert schaute er zu, hatte er doch ganz
       anderes erwartet, vielleicht sogar so etwas wie Verständnis für seine
       Offenbarung, [6][mit Erdoğan auf Du und Du] zu sein. Eine gnadenlos naive
       Annahme war das, denn hier ging es natürlich nicht nur darum, dem Amt des
       türkischen Präsidenten die Ehre zu erweisen, wie Özil am Sonntag [7][in
       einem arg verspäteten Erklärungsversuch], nichts anderes als eine
       Verschlimmbesserung, twitterte, sondern um Wahlkampfhilfe für einen
       Despoten, der missliebige Journalisten in den Knast steckt und sein Land in
       einen Führerstaat umbaut.
       
       ## Fragen über Fragen
       
       [8][Es hagelte in Deutschland Kritik]. Und Mesut Özil, dessen großartiger
       Werdegang vom „Affenkäfig“ in Gelsenkirchen, also seinem heimischen
       Bolzplatz, in die weltgrößten Arenen als leuchtendes Beispiel für gelungene
       Integration und den unbändigen Aufstiegswillen eines Deutschtürken hätte
       stehen können, bekam Kratzer, weil sich die Öffentlichkeit zu Recht
       wunderte: Wieso stellt sich der Mesut, der wirklich alles erreicht hat und
       nach dem Fußball nie mehr wird arbeiten müssen, weil er so unfassbar reich
       ist, warum stellt der sich neben diesen Mann? Warum? Ist er von allen guten
       Geistern verlassen? Weiß er nicht, was da am Bosporus abgeht? Ist es ihm
       egal? Lebt er doch in einer Parallelwelt? Sind seine Berater zu irgendwas
       nütze?
       
       Fragen über Fragen, die Mesut Özil aber partout nicht beantworten wollte.
       In einer Mischung aus Kränkung, Trotz und Unverständnis verkroch er sich in
       der Schmollecke, aus der ihn auch der nun viel gescholtene DFB nicht
       herausbekam. Der Verband, der das Foto auch als Angriff auf seine
       Integrität, ja als Rufschädigung hätte verstehen können, bot seinem
       verdienten Nationalspieler diverse Gelegenheiten, sich zu erklären.
       
       Mesut Özil hätte bei seiner Visite beim Bundespräsidenten Frank-Walter
       Steinmeier angemessene Worte finden können, auf einer Pressekonferenz im
       Vorfeld der Weltmeisterschaft oder während des DFB-Medientages in Russland.
       Fehlanzeige. Özil schwieg oder ließ sich entschuldigen. Wobei: Was hätte er
       auch sagen sollen? Dass es ein Missverständnis war, ein Fehler, eine
       ausgemachte Blödheit? Das wollte er nicht, weil seine Sicht auf die Türkei
       eine andere ist, [9][als die des Cem Özdemir].
       
       Damit nahm er auch dem Deutschen Fußball-Bund jede Möglichkeit, das Problem
       konstruktiv und vor allem schnell zu lösen. Beide, der DFB und Özil, waren
       während der WM auf fatale Weise verwoben in ein Gespinst der
       Nichtkommunikation. Ein irrer Stillhaltepakt war das. Daraus gab es
       zunächst kein Entrinnen. Der Knoten löste sich erst mit dem frühen WM-Aus.
       Es musste einen Knall tun, damit wieder Bewegung in die Sache kommen
       konnte.
       
       ## Nicht sonderlich souverän
       
       Dass Mesut Özil sich nun via Twitter aus dem Off meldet, ist kein Zufall.
       Bundestrainer Jogi Löw ist nach der Schmach von Watutinki dazu verdammt,
       das Umfeld und die Nationalmannschaft selbst umzukrempeln. Ob er den
       Neuanfang mit Mesut Özil hätte wagen wollen? Das darf bezweifelt werden.
       Also ist der 29-Jährige seiner drohenden Nichtberücksichtigung fürs
       Länderspiel gegen Weltmeister Frankreich zuvorgekommen – und aus der
       Nationalmannschaft zurückgetreten. Er hat das nicht sonderlich souverän
       getan. Weil er keine eigenen Fehler eingestehen wollte, schob er sie allen
       anderen zu: den Medien, einer Gesellschaft, [10][die implizit rassistisch
       ist], und einem DFB-Präsidenten, der nicht auf Özils Argumente eingehen
       wollte. Alles richtig, nur trifft das nicht des Pudels Kern.
       
       DFB-Chef Reinhard Grindel, ein rechtskonservativer CDUler, ist eine
       Fehlbesetzung auf dem Posten des mitgliederstärksten Verbandes der Welt,
       aber welche guten Argumente hätte Özil in der Causa vorbringen können? Dass
       er als deutscher Staatsbürger – Özil hat ja nur einen Pass – und Fußballer
       mit Vorbildfunktion seine Loyalität zur Türkei nur ein bisschen übertrieben
       hat? Dass er, weil er ein zu Respekt, Anstand und Freundlichkeit erzogener
       Mensch ist, Erdoğan die Bitte nach einem Treffen nicht hat ausschlagen
       können? Dass er nun mal anders tickt als Thomas Müller und alle Kritiker
       das bitte hinzunehmen haben? Dass dieses Foto Privatsache und Erdoğans
       Treiben außerdem gar nicht so schlimm ist? Tja, schwierig.
       
       Ach, Mesut, hättest du doch weiter nur Fotos von deinen Mercedes-Boliden
       geschossen und die Politik Politik sein lassen! Jetzt ist dein Name
       untrennbar mit dem unseligen Erdoğan verbunden. Und in den Ohren klingt
       dein Lamento: Ich bin’s nicht, die anderen sind es gewesen.
       
       24 Jul 2018
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Fussballmanagerin-Katja-Kraus-zur-WM/!5512795
 (DIR) [2] https://twitter.com/mesutozil1088
 (DIR) [3] https://www.welt.de/sport/fussball/article163153522/Noch-heute-muss-ich-mich-konzentrieren-wenn-ich-Deutsch-rede.html
 (DIR) [4] /Oezil-und-Guendoan-posieren-mit-Erdoan/!5502866
 (DIR) [5] /Oezil-Guendoan-und-Erdoan/!5512841
 (DIR) [6] /Debatte-Nationalspieler-bei-Erdogan/!5503483
 (DIR) [7] /Mesut-Oezil-rechnet-ab/!5523135
 (DIR) [8] /Kolumne-Luegenleser/!5519615
 (DIR) [9] /Nach-Debatte-um-Foto-mit-Erdoan/!5523134
 (DIR) [10] /Kommentar-Ruecktritt-aus-der-Nationalelf/!5523190
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Markus Völker
       
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