# taz.de -- Ehrung für Trikont-Label: Die bayerischen Kosmopoliten
       
       > Der Trikont Musikverlag erhält nach mehr als 50 Jahren toller Arbeit den
       > Münchner Musikpreis. Eine Laudatio von Franz Dobler.
       
 (IMG) Bild: Eva Mair-Holmes und der kürzlich verstorbene Achim Bergmann, 2017
       
       Ohne ein paar Institutionen wie Trikont wäre Bayern auf dem kulturellen
       Stand von Ende Mai 1945, habe ich vor einigen Monaten geschrieben. Ich
       dachte dann, ich hätte jetzt doch etwas übertrieben, aber inzwischen denke
       ich, dass ich es eher zu freundlich formuliert habe.
       
       Der Trikont Verlag war ein astreines Kind der antiautoritären
       Protestbewegung und hat seit 1968 von München aus gearbeitet. Eva
       Mair-Holmes kam 1990 zur Plattenfirma Trikont – Unsere Stimme. Während
       einer Silvesterparty war sie von Achim Bergmann weichgekocht worden, der
       die Trikont-Musikabteilung schon fast 20 Jahre mit über 150
       Veröffentlichungen durchgezogen und auch durchgeboxt hatte.
       
       Im Jahr 1972 war das erste Album, „Wir befreien uns selbst“, erschienen,
       eine Sammlung mit Kampfliedern der Arbeitersache München mit dem
       programmatischen und auch später nie über Bord gekippten Ziel, „eine
       Verständigung der Nationalitäten untereinander und zwischen Arbeitern und
       Intellektuellen“ zu schaffen – ein Retrotrend, den wir gebrauchen könnten.
       1980 hat Bergmann sich mit der Musikproduktion vom ins dubios-esoterische
       abgedrifteten Buchverlag getrennt und die eigenständige Firma unter dem
       Namen Trikont – Unsere Stimme gegründet.
       
       Als Achim Bergmann am 1. März diesen Jahres verstarb, war die Entscheidung
       für den Münchner Musikpreis schon gefallen, aber noch nicht veröffentlicht,
       und in Gedanken ist er heute natürlich dabei.
       
       Vergangenen Herbst gab er auf der Frankfurter Buchmesse uns allen noch mal
       ein Beispiel für Zivilcourage, als Unsere Stimme sozusagen, als er bei
       einer Veranstaltung von Rechtsradikalen allein und lautstark protestierte
       (und dafür von einem dieser Nazis einen Faustschlag ins Gesicht bekam).
       
       Diese Haltung ist es, die Trikont von damals bis heute auszeichnet. Oder
       wie es der im Januar verstorbene jüdische Jazzgitarrist Coco Schumann, der
       die Konzentrationslager der Nazis überlebte und erst spät eine angemessene
       Würdigung mit einigen Trikont-Alben erleben konnte, mit seinen Erfahrungen
       formulierte: „Wer den Swing hat, kann nicht im Gleichschritt marschieren.“
       
       Einen neuen Swing und mehr Swing und Pop brachte Eva Mair-Holmes dann in
       diesen Trikont rein, sie hatte einen anderen Beat, Blick, Funk, Schwung,
       und diese Aufladung war auch nötig.
       
       Sie war in mehrfacher Hinsicht genau die Richtige (und damit meine ich
       nicht, dass die beiden bald auch noch ein Paar wurden): Sie war ein
       sogenanntes Besatzungskind, Tochter eines GIs aus Chicago und einer
       Augsburger Krankenschwester, die von ihrem Vater diese Heiratsempfehlung
       mitbekommen hatte: „Fast jeder deutsche Mann hat Blut an den Händen.“
       
       Was zu einer soliden musikalischen Grundausbildung für Eva führte: Es gab
       keine deutschen Schallplatten bei ihnen daheim, die Mutter hörte Sinatra
       und Dean Martin, und das Kind bekam die ersten Beatles-Singles.
       
       Sie hatte einige Jahre bei der Münchner Stadtzeitung Blatt gearbeitet, das
       neben Trikont, Basis-Buchhandlung und Rote Hilfe zum Zentrum der Münchner
       undogmatischen Linken gehörte.
       
       ## Denken-und-Dancefloor-Botschaften
       
       Dort machte sie nicht nur wichtige Erfahrungen mit Polizeidurchsuchungen,
       die ihr später in Sachen Hans Söllner zugute kamen, sondern wurde aufgrund
       schicker Kleidung von strengen Genossen schon mal als „Discomausi“
       angepflaumt – Black-Panther-Fans können das nicht gewesen sein, und ihre
       Ahnungslosigkeit hätten sie später mit den vielen Black-Music-Compilations
       auf Trikont korrigieren können, mit deren
       Denken-und-Dancefloor-Botschaften Eva Mair-Holmes’ Trikont-Input
       vielleicht am besten zu beschreiben ist.
       
       Weil sie außerdem auch für ein Privatradio alles von Programm bis Promotion
       gemacht hatte, sollte sie bei Trikont erst mal den Job übernehmen, den das
       Musikgeschäft für talentiert-flotte Frauen vorgesehen hat: Promotion und
       Pressearbeit, manchmal einen Künstler sicher auf die Bühne bringen, also
       alles, wo Feingefühl gebraucht wird. Falls der Herr Trikont es jemals so
       ähnlich formuliert haben sollte, wird man das Geschrei von Eva Mair-Holmes
       in ganz Giesing gehört haben.
       
       Die Überlegung, wer von den beiden dann was geplant, geholt, betreut,
       vergeigt oder auch dem anderen auszureden versucht hat, wäre ein völliges
       Missverständnis, denn es war dieses Team, das das Label in seiner zweiten
       Phase ab 1990 zu diesem internationalen Renommee geführt hat, das es heute
       genießt. Fest steht, dass die erste Explosion, die sie beide gemeinsam
       total umgehauen hat, eine Kassette war, aus der mit der Nummer US-174 das
       erste Attwenger-Album „Most“ wurde.
       
       Das hatte eine Symbolkraft, die bis heute hält. Die großen Firmen, die die
       beiden mehrfach verspulten Österreicher von dieser immer auch gefährdeten
       „Insel im Sumpf“ (Süddeutsche) retten wollten, mussten sich alle
       schleichen.
       
       ## Warmer Südwind
       
       Erst bei der Arbeit am Trikont-Buch, bei dem ich als Koautor für den
       Berliner Journalisten Christof Meueler fungierte, fiel mir auf, dass es in
       der ganzen Trikont-Story vor allem um Fortsetzungen geht: Weiterdenken
       statt ausharren, renovieren statt abreißen, ausholen statt aufgeben, Unsere
       Stimme nicht schweigsam werden lassen, sondern neue Plattformen geben.
       
       Die wenigen Punkbands auf Trikont fanden wenig Beachtung, aber in Phase 2
       kamen die bedeutenden Compilations von Jon Savage. Auf die
       Gastarbeitersongs der ersten Platte folgte 2013 die Rückschau „Songs of
       Gastarbeiter“, zusammengestellt von den Gastarbeiterkindern Ayata und
       Kullukcu. Auf Trikont war 1974 die erste feministische Platte erschienen,
       dann kamen die Frauen, die diesen Dancefloor noch nicht aufgeben wollten,
       Bernadette La Hengst, Lydia Daher, Apparat Hase, Zwirbeldirn, die
       Compilations von DJ Ipek und Renate Heilmeier.
       
       Die erste Schwulenplatte kam 1977 von der Band Warmer Südwind mit dem Titel
       „Schwul“ und wurde dann sozusagen mit Queer-Sound-Diskussionen reloaded.
       Aus der internationalen Solidarität, deren Soundtrack im Verlauf der
       1970er- und 80er-Jahre mit der Protestbewegung verflogen war, wurde ein
       Orkan von Beats und Stimmen aus aller Welt, die eigenständig und nicht von
       globalen Vermarktungsinteressen bestimmt waren: „Suburban Bucharest“,
       „Mestizo Music“, „Globalista“, „Borsh Division“, „Beyond Istanbul“,
       Straßenmusik aus Vietnam, Tango aus Finnland, Soundsystems aus Kolumbien,
       „Revolution Disco“ aus aller Welt.
       
       Den alten Straßenmusikern hat Martin Büsser seine Anti-Folk-Compilation
       gegenübergestellt, aus den frühen US-Protestsongs wurde ein riesiges
       US-Archiv, das Echo des sogenannten Linksradikalen Blasorchesters hört man
       in den ebenfalls mobilen Combos Express Brass Band und Banda
       Internationale. Die drei Alben der liberianischen Souljazzband Kapingbdi
       haben damals kaum eine Sau interessiert, bei den Sammlungen „Young Urban
       South Africa“ oder „Beyond Addis“ waren’s schon ein paar mehr. Um nur
       einige Beispiele zu nennen, womit sich die neue bayerische Grenzpolizei
       einige Jahre wenigstens irgendwie sinnvoll beschäftigen ließe.
       
       ## Rot-grün-68er-versifftes Label
       
       Es ist fast absurd, das Label als Münchner Label zu betrachten, was auch
       Dietmar Dath zu der wahnwitzigen Behauptung verführte, die
       Trikont-Geschichte würde zeigen, „wenigstens in Bayern ist Deutschland
       nicht provinziell“. Vollkommen absurd ist allerdings, dass sich kein
       anderes Label, Heimatmuseum, Trachtenverein oder CSU-Kulturkommando
       dermaßen mit Münchner und Bayerischer Musikgeschichte beschäftigt hat wie
       dieses total rot-grün-68er-versiffte Label – natürlich wie immer rein aus
       kommerziellen Gründen.
       
       Im Mittelpunkt die riesige „Stimmen Bayerns“-Serie, herausgegeben von
       Bergmann, Mair-Holmes und Andreas Koll, angebahnt mit der Serie „Rare
       Schellacks“, flankiert von Bally Prell bis Kraudn Sepp und Karl Valentin
       sowieso, komplettiert mit den Rock-’n’-Rollern von Tommi Busse,
       Sparifankal, Well-Buam oder Sigurd Kämpft und den einzigartigen Embryo bis
       in die Gegenwart von Coconami bis Koflgschroa, deren Herr Mücke sagt,
       
       „Mir san Weltbürger, mir san Kosmopoliten“, wie die Herausgeber, deren
       Sammlungen weltweit gefeiert wurden, allen voran Jonathan Fischer mit
       seinem Black-Music-Arsenal, Hias Schaschko, der auch viele Cover gestaltet
       hat, Christos Davidopoulos, Thomas Meinecke, Jay Rutledge oder JJ
       Whitefield – that’s my Munich, brothers and sisters! Was wäre die Stadt
       ohne jahrzehntelange Trikont-Besetzung, es ist ja so schon schlimm genug.
       
       Eva Mair-Holmes meinte, ich solle ruhig sagen, dass die Zusammenarbeit mit
       ihr immer ganz schwierig gewesen sei. Bei unserer ersten Compilation war’s
       schon so schwierig, dass wir die anderen vier fast nicht geschafft hätten.
       Über andere Schwierigkeiten redet kaum jemand, und es sagt viel über sie,
       dass sie auch da nicht kuscht.
       
       „Die Form von Promotion, die es gab, als ich angefangen habe, gibt es gar
       nicht mehr“, erzählt sie im Buch. „Es gibt ganz wenige Zeitungen und
       Zeitschriften, die Hemmungen haben zu fragen: ‚Wie viel Anzeigenwünsche
       habt ihr? Und dann reden wir über die Artikel.‘ So läuft das jetzt,
       Geschäft kommt vor Inhalt. Und das, worauf wir immer gebaut haben, dass
       unsere Sachen mehr hergeben als ‚klingt gut‘, das ist dann nicht mehr von
       Interesse.“
       
       Durchhalten allein ist keine Qualität – aber mit dieser Haltung und mit
       diesem Programm in einem bizarren und auch schwieriger werdenden
       Musikgeschäft so lange zu überleben und weiterzumachen, das ist
       herausragend.
       
       Die Begeisterung von Eva Mair-Holmes hätte nicht größer sein können, als
       sie mir was aus dem kommenden Album von Trikont-Ikone Hans Söllner vorsang:
       „Du scheiß Rassist, schau, dass di schleichst. Des is mei Heimat und ned
       dei Reich!“ – und dann hinzufügte: „Genau so ist es doch.“
       
       26 Jul 2018
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Franz Dobler
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Trikont
 (DIR) Global Pop
 (DIR) Folk
 (DIR) Trikont
 (DIR) München
 (DIR) Schallplatten
 (DIR) Funk
 (DIR) Trikont
 (DIR) Label
 (DIR) Trikont
 (DIR) Trikont
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Schau über Plattenfirma Trikont: Wir befreien uns selbst
       
       Eine angemessen wildwüchsige Schau im Münchner Haus der Kunst holt Fotos,
       Plattencover und Bücher des Labels Trikont aus den Archiven.
       
 (DIR) Münchner Indie-Institution Echokammer: Ein Mann, hundert Platten
       
       Albert Pöschl ist schon immer einziger Mitarbeiter seines Labels. Heute ist
       es für seine Subkultur unverzichtbar und knackt bald eine besondere Marke.
       
 (DIR) Geschichte der Schallplatte: Der Glanz von Schellack
       
       Weltmusik, Schlager, Agitprop: Vor über 100 Jahren war Berlin noch der
       führende Standort in der Schallplattenbranche.
       
 (DIR) Georg Ringsgwandl zum 70. Geburtstag: König der Motherfucking Stubnmusi
       
       Mit rotzfrechen Liedern gegen Spießbürger und Altnazis: dem bayerischen
       Singer-Songwriter Georg Ringsgwandl zum 70. Geburtstag.
       
 (DIR) Farewell „Mr. Trikont“ Achim Bergmann: Ode an den obersten Outlaw
       
       Unser Autor, ein Künstler, bewunderte an Achim Bergmann dessen furchtlose
       Haltung und Leidenschaft für widerspenstige Musiktraditionen.
       
 (DIR) Lesung in Berlin: „Wir befreien uns selbst“
       
       Christof Meueler und Franz Dobler erzählen in ihrem Buch „Die
       Trikont-Story“ die Geschichte des „wahrscheinlich“ ältesten Indielabels der
       Welt.
       
 (DIR) Trikont-Macher über ihr Label: „Freiheit, Glück, gemeinsames Leben“
       
       Echte 68er: Eva Mair-Holmes und Achim Bergmann über die Geschichte des
       Münchner Buchverlags und Musiklabels Trikont.
       
 (DIR) Rechte Verlage auf der Buchmesse: Faustschlag zum Jubiläum
       
       Der Münchener Verleger Achim Bergmann wird am Stand der „Jungen Freiheit“
       auf der Frankfurter Buchmesse von einem rechten Schläger verletzt.