# taz.de -- Madonna wird 60: Die Verjugendlichung ist vorbei
       
       > Nur absolute Vollidioten würden behaupten, dass Madonna „noch“ gut
       > aussehe und „noch“ sexy sei. Madonna ist Kunst. Auch mit 60.
       
 (IMG) Bild: Nicht mehr die Jüngste, aber das ist nicht schlimm: Popstar Madonna
       
       Früher regierte der Terror des Unterhautfettgewebes. Die Dicke des
       Unterhautfettgewebes entschied über Sein oder Nichtsein der Frau. Über „alt
       geworden“ oder „immer noch sexy“. Dabei ist das nur Oberfläche: Wer ein
       dickes Unterhautfettgewebe hat, bekommt nicht so schnell Knitterfalten, das
       Gesicht fängt noch nicht so früh an zu hängen.
       
       Schauspielerinnen wie Iris Berben oder Hannelore Elsner zum Beispiel
       machten so auch dank ihres dicken Unterhautfettgewebes mit 45, 50 Jahren im
       Fernsehen noch mal so richtig Karriere, quasi als Beruhigungsmittel gegen
       die Altersangst: Seht her, so kann man ausschauen mit 50!
       
       Der Terror des Unterhautfettgewebes gehörte zum Noch-Zeitalter. Das
       Noch-Zeitalter erkennt man an bestimmten Komplimenten für ältere Frauen.
       „Die sieht aber noch ziemlich gut aus für ihr Alter.“ Oder: „Die ist ja
       immer noch eine schlanke Erscheinung.“ Es sind Komplimente mit Hexenkralle.
       Die Frau wird dabei immer mit einem Jugendbild verglichen und danach
       bewertet, inwieweit sie der Jugend noch ähnelt oder davon abweicht, also
       verfällt.
       
       Doch das Noch-Zeitalter mit dem Zwang zur Sexyness neigt sich dem Ende zu.
       Heute können Frauen jenseits der 60 aus einer Vielfalt von Rollenmodellen
       wählen: sexy, weniger sexy, künstlich oder „ich mach mein eigenes Ding“,
       zum Beispiel. Popsängerin Madonna und viele andere Frauen jenseits der 60
       haben zu dieser Vielfalt beigetragen.
       
       ## Exzentrik als Widerstand gegen den Jugendwahn
       
       Madonna wird am Donnerstag 60 Jahre alt, und nur absolute Vollidioten
       würden behaupten, dass sie noch gut aussehe und noch sexy sei. Madonna ist
       Kunst. Paparazzi verdienen hübsche Sümmchen, wenn sie auf die natürlich
       gealterten Hände von Madonna zoomen. KommentatorInnen vergleichen das Bild
       ihrer Albrecht-Dürer-Hände dann mit ihrer aus der Ferne jugendlichen
       Gesichtskontur (den Schönheitschirurgen sei Dank) und kommen zu dem
       Schluss, dass bei Madonna alles künstlich sei. Klar, was denn sonst?
       Künstlich sind auch ihre Bühnenshows mit den Muskelmännern und das
       Instagram-Bild mit ihrem nackten Busen, an den sie diese
       Designer-Handtasche presst.
       
       Exzentrik ist eines der tragfähigen Rollenmodelle im Widerstand gegen die
       Verjugendlichung der Frau. Die britische Modedesignerin Vivienne Westwood,
       77, tritt gerne mit ihrem 25 Jahre jüngeren Mann Andreas Kronthaler auf,
       sie in lang und ausgefallen, er in Lederhosen und Kniestrümpfen. Kronthaler
       spricht offen über seinen Sex mit Männern. Die Beziehung zu Westwood hält
       jetzt schon einige Jahrzehnte.
       
       Wer in Liebe und Zuneigung altern will, tut gut daran, rechtzeitig einen
       exzentrischen FreundInnenkreis aufzubauen und zu pflegen. US-amerikanischen
       Studien zufolge ist der soziale Druck, sich liften zu lassen, viel
       geringer, wenn sich in der eigenen Peergroup keine Gelifteten befinden.
       Wobei ein misslungenes Lifting im Bekanntenkreis auch wieder Wunder wirkt:
       Niemand im Umfeld denkt dann mehr daran, gleichfalls an sich
       herumschnippeln zu lassen.
       
       Wer das Glück hat, das Geld nicht im Showbusiness zu verdienen, ist
       zugegebenermaßen besser dran. Handlungs- und Entscheidungsmacht zu
       besitzen, ist ein angenehmes Rollenmodell im Alter. Angela Merkel ist auch
       deswegen bei Wählerinnen so beliebt, weil sie es mit einem eher biederen
       Look bis nach oben geschafft hat. Allerdings ist auch sie nicht ganz frei
       von optischen Fragen: Ihre Haare werden jeden Morgen aufwendig bauschig
       gefönt, nicht aus Gründen der Verjugendlichung, sondern weil platte Haare
       am Kopf irgendwie unköniglich wirken.
       
       ## Die Coolness kommt ganz von selbst
       
       Als Hillary Clinton, 70, als Außenministerin mal ganz viel zu tun hatte und
       täglich um die Welt jettete, verzichtete sie auf das lästige Fönen und ließ
       die Haare einfach wachsen und platt am Haupte liegen. Das war cool. Sie
       erntete einen Shitstorm, aber auch viel Bewunderung.
       
       Doch was ist mit den ganz normalen Frauen jenseits der 60? Die Coolness für
       die unprominente Frau ab 60 kommt ganz von selbst. Man macht sein eigenes
       Ding, wenn man erst mal ein paar Kranken- und Sterbebegleitungen hinter
       sich hat, Sonnenuntergänge und Baumrauschen plötzlich ganz bemerkenswert
       findet und befreundete Männer aus der Peergroup ihr Leid mit Viagra klagen.
       
       Die allgegenwärtige Verjugendlichung entlockt dann nur noch ein müdes
       Lächeln. Die heimlichen Rollenvorbilder für die Frau über 60 sind die
       Hochaltrigen, die über 80-Jährigen im Bekanntenkreis, die sich freuen
       können, die lieben können und sich tapfer halten. Für sie gibt es keine
       Kategorien. Es sind Heldinnen, die uns die Zukunft voraussagen. Auf denen
       all unsere Hoffnung ruht.
       
       15 Aug 2018
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Barbara Dribbusch
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Lesestück Meinung und Analyse
 (DIR) Madonna
 (DIR) Altern
 (DIR) Feminismus
 (DIR) Schauspielerin
 (DIR) Schwerpunkt Eurovision Song Contest
 (DIR) Madonna
 (DIR) Madonna
 (DIR) Feminismus
 (DIR) Liebeserklärung
 (DIR) Popkultur
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Altersdiskriminierung von Frauen: In Würde altern – unmöglich
       
       Viele Frauen betonen, würdevoll altern zu wollen. Dies funktioniert aber
       nicht in einer Gesellschaft, in der eine Frau nicht alt sein soll.
       
 (DIR) 70. Geburtstag von Iris Berben: Alter!
       
       Seit 40 Jahren muss Schauspielerin Iris Berben über ihr Alter reden. Auch
       jetzt wieder. Langsam sollte Schluss damit sein.
       
 (DIR) Glosse Madonna beim ESC in Tel Aviv: Schleicht euch, ihr Hater!
       
       Und seid mal besser ein bisschen demütig. Denn Madonna tut, wonach Madonna
       der Sinn steht, statt sich mit euch Wichten zu befassen.
       
 (DIR) Die fünf besten Madonna-Songs: Groove to the Music
       
       Madonna ist wandelbar, sie ist die Queen of Pop, sie ist 60 Jahre alt. Vor
       allem aber ist sie eins: seit 35 Jahren tanzbar. Ihre fünf besten Songs.
       
 (DIR) Die Queen of Pop wird 60: Happy Birthday, Madonna!
       
       Die Mutter aller Popikonen hat Geburtstag. Die Lektion, die sie uns
       erteilt, lautet: Pop gehört keinem und jedem – weil er nichts und alles
       bedeutet.
       
 (DIR) Neues Album von Janelle Monáe: Griff nach der Krone des Pop
       
       Die US-R&B-Künstlerin Janelle Monáe kehrt mit dem triumphalen neuen Album
       „Dirty Computer“ zurück. Ein Neuanfang mit Vorgeschichte.
       
 (DIR) Kolumne Liebeserklärung: Bei MTV sagten alle „fuck“
       
       Der Musiksender vernetzte uns mit der Popwelt, war unser Internet ohne
       Kommentarfunktion. 2018 kommt er zurück ins Free-TV.
       
 (DIR) Musikerinnen gegen Trump: Songs to Save America
       
       Die Popwelt von Madonna bis zu den Gorillaz meldet sich wegen Trump zu
       Wort. Viele Künstlerinnen sammeln Geld für Bürgerinitiativen.