# taz.de -- Roma in Sachsen: Es brennt in Plauen
       
       > In Sachsen brennen hintereinander zwei Häuser, in denen Roma wohnen.
       > Zufall, sagt die Staatsanwaltschaft. Wirklich?
       
 (IMG) Bild: Plauen, Trockentalstraße: Hier brannte es im Dezember 2017
       
       Es sind die letzten Tage des Jahres 2017. Julian Walther und sein Freund
       sitzen gerade im Auto und fahren zu einer Party, als sie eine Gruppe
       winkender und schreiender Menschen am Rande der Trockentalstraße in Plauen
       sehen. Alles ist voll Rauch, das ganze Haus brennt.
       
       Walther rennt zum Haus, er spürt die Hitze. Der Brand ist an der
       Eingangstür ausgebrochen und versperrt den Weg. Männer halten Kinder an den
       Handgelenken aus dem Fenster, Walther fängt einen kleinen Jungen auf und
       bringt ihn zu den Rettungskräften, die eben eingetroffen sind.
       
       Es ist eine Ausnahmesituation, Walther und sein Freund rennen hin und her.
       Eines der Kinder überschlägt sich beim Sturz aus dem Fenster, das Gesicht
       eines anderen ist halb verbrannt. Auf der Straßenseite gegenüber versammeln
       sich Menschen und johlen – unter ihnen Neonazis, die der Polizei bereits
       wegen rechtsextremer Straftaten bekannt sind, wie sich später herausstellt.
       Sie fragen die beiden Jungs, warum sie hier helfen. „Lasst die brennen!“,
       ruft einer. Und: „Sieg Heil!“ In dem Haus wohnen mehrere Romafamilien aus
       der Slowakei.
       
       42 Menschen werden aus dem Haus evakuiert. 22 von ihnen sind verletzt, vier
       davon schwer. Eine Schwerverletzte ist Lucia Dunkova, sie will gerade
       duschen, als sie ihre Familie schreien hört: Feuer! Lucia zieht sich etwas
       an und rennt aus dem Haus. Ihre Haare brennen, ihre Hände, ihr Gesicht. Und
       ihr Kind. Sie kann nichts sehen, als sie draußen steht, ihre Augen sind
       verklebt, aber sie hört ein dumpfes Geräusch. „Schläge“, sagt sie. Die
       Gruppe der Neonazis greift einen Feuerwehrmann und einen Polizisten an, um
       sie von den Rettungsarbeiten abzuhalten. Dunkovas Mutter sieht zwei Männer
       weglaufen. Sie glaubt, dass das die Täter sind.
       
       Wenig später wird ein Mann festgenommen: Jens W., 25 Jahre alt, ein
       ehemaliger Mieter. Er soll den Brand gelegt haben, weil der Vermieter ihn
       wegen Mietschulden aus dem Haus geworfen hat. Er kommt in
       Untersuchungshaft.
       
       Die Roma ziehen um. Manche kommen in weiteren Häusern desselben Vermieters
       unter. Einige ziehen in ein Haus in der benachbarten Dürerstraße. Es sind
       vor allem Frauen und Kinder aus der Slowakei, die kaum Deutsch sprechen.
       
       ## Zwei Brände, kein Zusammenhang?
       
       Am 3. Januar 2018 werden sie dort von einer Sozialarbeiterin besucht. Die
       Bewohner berichten ihr, dass sie keinen Schlüssel haben, nur der Vermieter
       könne die Türen abschließen. Sie erzählen auch von Übergriffen, da Fremde
       einfach in das Haus eindringen könnten. Deutsche Männer sollen nachts an
       ihre Türen geklopft, die Türen eingeschlagen oder ätzende Flüssigkeiten in
       die Wohnung geworfen haben. So steht es in einem Gedächtnisprotokoll, das
       die Sozialarbeiterin nach ihrem Besuch anfertigt. Es liegt der taz vor.
       Alle haben Angst, steht dort, dass es zu weiteren Brandanschlägen kommt.
       
       Am 9. Januar gibt es in der Dürerstraße einen Polizeieinsatz. Die Roma
       hatten im Keller des Hauses drei Männer gesehen, die mit einer weißen
       Flasche hantierten. Nach ihrer Entdeckung ergriffen die Männer die Flucht.
       Es waren dieselben Männer, sagt eine Romni der Freien Presse, die sie in
       der Brandnacht vom 29. Dezember gesehen hatte. Die Polizei findet keine
       Hinweise auf eine versuchte Brandstiftung.
       
       Der Vorstand bei Romano Sumnal, einem sächsischen Romaverein, macht sich
       Sorgen. Er verfasst einen offenen Brief an den Landrat und den
       Bürgermeister, in dem er sie warnt. „Für die Menschen in der
       Trockentalstraße war dies nicht der erste Brand und sie befürchten aufgrund
       erneuter Geschehnisse weitere Anschläge“, schreibt er. „Wir sind entsetzt
       über dieses menschenverachtende Verhalten, welches sich gezielt gegen eine
       Opfergruppe des Nationalsozialismus richtet.“
       
       Am 19. Januar wird der Haftbefehl gegen den Tatverdächtigen Jens W.
       aufgehoben.
       
       Am Morgen des 5. Februar 2018 steht das Haus in der Dürerstraße in Flammen.
       Zwei Deutsche und sechs Hunde sterben, sie lebten in einer Wohngemeinschaft
       im Dachgeschoss. Vier weitere Bewohner des Hauses, darunter Roma, werden
       verletzt. Eine Romni will Jens W., den Tatverdächtigen des ersten Brandes,
       im Haus gesehen haben.
       
       Sebastian M., 26, der an jenem Abend in der Wohngemeinschaft zu Besuch war,
       wird als Zeuge vernommen, schließlich gesteht er die Tat. Laut
       Polizeibericht soll er dort ein Stück Stoff angezündet und dieses auf einen
       Schaukelstuhl mit Wäsche gelegt haben. Als die Flammen 50 Zentimeter
       hochschlugen, soll er die Wohnung verlassen haben.
       
       Sebastian M. kommt in Untersuchungshaft, am kommenden Mittwoch beginnt der
       Prozess gegen ihn. Die Tat scheint keinen Sinn zu ergeben: Bei dem Brand
       starben sein bester Freund und dessen Schwägerin. „Zwischenmenschliche
       Streitigkeiten“, sagen die Ermittler. Einen Zusammenhang zum ersten Brand
       sehen sie nicht.
       
       Um die Vorgänge aufzuklären, hat die taz mit Brandopfern, Anwälten,
       Anwohnern, Flüchtlingshelfern, dem Vermieter, Ersthelfern, Sozialarbeitern,
       einer Lehrerin, der Staatsanwaltschaft, einem Richter und der Polizei
       gesprochen. Die Recherchen zeigen: Es gibt einen Zusammenhang zwischen
       beiden Bränden. Er wird aber vor dem Landgericht Zwickau keine Bedeutung
       haben. Und da die Ermittlungen zum ersten Brand inzwischen eingestellt
       sind, vermutlich auch nie aufgeklärt werden.
       
       ***
       
       Plauen liegt im hintersten Eck Sachsens, im Vogtland, wo sich die
       Landesgrenze um Thüringen schmiegt, eingekeilt zwischen Bayern und
       Tschechien. 60.000 Menschen leben hier – und meist ging es um zwei Themen,
       wenn zuletzt von Plauen zu hören war: Drogen und die rechte Szene.
       
       Anfang 2017 eröffnete die rechtsextreme Partei Der III. Weg in Plauen ihr
       erstes Bürgerbüro. Es ist „eine bundesweit einzigartige Immobilie, die dem
       Dritten Weg einen Versammlungs-, Lager- und Rückzugsraum bietet, von dem
       aus auch bundesweit die Aktivitäten der Partei organisiert und unterstützt
       werden können“, heißt es im Verfassungsschutzbericht Sachsen aus dem Jahr
       2017. Der III. Weg lehnt sich an den Nationalsozialismus an und fordert den
       offenen Kampf gegen jede Form der Zuwanderung. Die Partei definiert sich
       als „Stoßtruppe der völkischen Wiedergeburt“. Gewalt wird bei der
       Durchsetzung dieser Ziele toleriert: „Sofern es notwendig ist, dass einige
       Scheiben zerbrechen, um das deutsche Volk in seiner ethnischen Existenz zu
       sichern, (…) so werden wir das nicht als Frevel ansehen.“ So steht es in
       einer Ende 2017 herausgegebenen Broschüre mit dem Titel „National,
       revolutionär, sozialistisch“. Beim Verfassungsschutz geht man davon aus,
       dass Der III. Weg eine entscheidende Rolle bei Anschlägen auf
       Flüchtlingsunterkünfte spielt. Vor Ort werde gezielt Stimmung gemacht, bis
       Einzelne zu Straftaten bereit seien, sagte Verfassungsschutzpräsident
       Hans-Georg Maaßen. Und diese Straftaten würden im Nachhinein wohlwollend
       kommentiert.
       
       Das Büro der Partei liegt im Plauener Stadtteil Haselbrunn, der von
       Rechtsextremen dominiert wird. „Multikulti tötet“, steht dort in großen
       Lettern an der Scheibe. „Überfremdung stoppen“. Die rechtsextreme Szene
       Südostdeutschlands vernetzt sich in Plauen, organisiert Demonstrationen und
       Feste für die ganze Familie.
       
       ***
       
       Die Brände in der Dürer- und der Trockentalstraße sind nicht die einzigen
       Brände, die es in den vergangenen Jahren in Plauen gegeben hat. Tatsächlich
       könnte man inzwischen von einer Serie sprechen: Fünfmal hat es seit
       Dezember 2015 in Häusern gebrannt, in denen Roma lebten. Alle Häuser
       gehören demselben Vermieter: Dr. Frank B. Er vermietet vor allem an
       sogenannte Problemgruppen: Drogenabhängige, Prostituierte, Romafamilien aus
       der Slowakei, Bulgarien und Rumänien.
       
       Das erste Mal, im Dezember 2015, zündete eine Frau in einem seiner Häuser
       einen Papierstapel an. Sie wurde wegen schwerer Brandstiftung zu einer
       Freiheitsstrafe von einem Jahr und vier Monaten mit Bewährung verurteilt.
       Das Motiv geht aus der Urteilsbegründung nicht hervor, teilt die
       Staatsanwaltschaft auf Nachfrage mit.
       
       Mehrere Monate später, im April 2017, brannten drei Garagen ab, die B.
       gekauft hatte. Es gab mehrere Brandherde – ein Hinweis auf Brandstiftung.
       In den Garagen hatte B. Möbel stehen, die bulgarischen Mietern gehörten.
       Die Ermittlungen haben bisher zu keinem Ergebnis geführt, einen
       Tatverdächtigen gibt es nicht.
       
       Im Juni 2017 brannte es in einem weiteren Haus. Als Ursache nannte die
       Polizei einen technischen Defekt. Die Bewohner sollen illegal Strom gezapft
       haben, wodurch ein Kühlschrank in Brand geraten sei.
       
       Und schließlich die beiden Brände in der Trockentalstraße und der
       Dürerstraße.
       
       Agnes Russo, kurz nach den Bränden noch Vorstandsvorsitzende der
       Flüchtlingshilfe Plauen, findet: Das sind ein bisschen zu viele Zufälle.
       Sie wirkt etwas übermüdet und raucht eine Zigarette am runden Tisch ihres
       Büros. Seit den Bränden ist viel los. Einigen Roma aus der
       Trockentalstraße, wo es Ende 2017 gebrannt hat, hat sie geholfen, eine neue
       Wohnung zu finden; sie unterstützt sie bei Behördengängen. Ihr Büro liegt
       nur wenige Gehminuten von den Brandorten entfernt.
       
       ## Sie nennen ihren Vermieter „Chef“
       
       Russo ist das Verhältnis zwischen B. und seinen Mietern suspekt. Die Mieter
       nennen ihn „Chef“. Fast alle sind bei ihm in irgendeiner Form angestellt –
       zum Putzen oder als Bauhelfer. Das Jobcenter hat die Arbeitsverträge
       moniert, die oft nur über wenige Stunden pro Woche laufen. „Es ist davon
       auszugehen, dass der Arbeitsvertrag nur zum Zweck des ergänzenden
       Sozialleistungsbetrugs geschlossen wurde“, heißt es in einem Dokument des
       Jobcenters, das der taz vorliegt. Der Verdacht: B. verhilft seinen Mietern
       mit Arbeitsverträgen zu aufstockenden Hartz-IV-Leistungen, die EU-Bürgern
       zustehen – und verdient daran mit.
       
       B. stand bereits zweimal vor Gericht. Einmal, weil er die ausstehende Miete
       mithilfe eines Handlangers eintrieb – das Verfahren wurde gegen eine
       Zahlung von 1.500 Euro eingestellt. Beim nächsten Mal ging es um Betrug: B.
       sollte für 58 Bulgaren fälschlicherweise aufstockende Hartz-IV-Leistungen
       beantragt haben. 98.000 Euro sollen zu Unrecht an die Bulgaren – oder an B.
       – geflossen sein. Genauer konnten es die Ermittler nicht benennen. Das
       Verfahren wurde ebenfalls eingestellt, weil die Beweise fehlten.
       
       Agnes Russo machen diese Geschichten wütend. „Was hat dieser Eigentümer mit
       den Menschen zu tun?“, fragt sie. „Warum beschäftigt er sie unter dubiosen
       Verträgen? Und warum brennt es immer in seinen Häusern?“ Sie ist
       aufgebracht, die Fragen sprudeln aus ihr heraus. Sie will die Menschen in
       Sicherheit bringen. „In Sicherheit, nicht nur wegen der Brände. Die
       Menschen haben Angst, sprechen immer wieder von ,Nazis'.“ Eine Romni, die
       sie betreut, will vor dem ersten und zweiten Brand „Nazis“ im Haus gesehen
       haben. Ihr Deutsch ist sehr gebrochen, aber dieses Wort, „Nazi“, das sagt
       sie immer wieder. Und auch: dass diese „Nazis“ für B. arbeiten würden.
       
       B. wohnt in einem gräulichen Mehrfamilienhaus im Westen Plauens, einer
       ruhigen, bürgerlichen Gegend, in der man die hohen Bäume rauschen hört.
       Nach mehreren Mails und Telefonaten ist er bereit, sich zu treffen. Er
       schlägt das Theatercafé vor. Dort bestellt er sich einen Cappuccino und
       eine Schwarzwälder Kirschtorte.
       
       ## B. hat den Begriff „Plaunacken“ erfunden
       
       B. ist ein kleiner, untersetzter Mann, 55 Jahre alt. Wenn er nachdenkt,
       nimmt er sein Baseballcap ab und streicht sich über die stoppeligen Haare.
       Er sagt, dass er sein Immobiliengeschäft in Plauen innerhalb von fünf
       Jahren aufgebaut habe. Und etwa zehn Häuser mit mehr als hundert Wohnungen
       besitze. B. kommt aus einem Dorf in Südhessen, nach Plauen zog er, weil er
       dort günstige Wohnungen kaufen konnte. Im Internet findet man allerdings
       kaum Informationen über ihn – seine Firma, in der er die Mieter angeblich
       beschäftigt, ist nicht im Handelsregister eingetragen. „Dann gibt es sie
       nicht oder nicht mehr“, sagt der Sprecher des Amtsgerichts Plauen.
       Konfrontiert man B. damit später per Mail, reagiert er nicht.
       
       Warum wohnen bei ihm fast ausschließlich Drogenabhängige, Prostituierte und
       Romafamilien? „Mein Prinzip ist es, günstig einzukaufen und schnell zu
       vermieten“, sagt B. „Nicht absichtlich an Randgruppen. Aber es gibt ja in
       Plauen fast nur Randgruppen.“ Sie seien wie eine große Familie. B. sagt, er
       helfe den Leuten.
       
       Er nennt die Roma, die in seinen Wohnungen leben, seine „Dinger“. Oder
       spricht von „Gesocks“, von „dummen Leuten“, er ist stolz auf den Begriff
       „Plaunacken“, den er für die Drogenabhängigen geprägt hat. B. wünscht sich,
       dass die Brände schnell aufgeklärt werden. Er sieht sich als Opfer.
       
       „Ich habe die Vermutung, dass einige der Bewohner der Dachgeschosswohnung
       in der Dürerstraße irgendwas über den ersten Brand wissen“, sagt er noch.
       „Entweder als Mittäter oder Mitwisser.“
       
       ***
       
       Es ist ein schwüler Tag im August dieses Jahres, als Leon S. mit seiner
       Schwester und ein paar Freunden in einem kleinen Park in Pirna sitzt. Leon
       S. hat in der Dachgeschosswohnung in der Dürerstraße gewohnt, als es dort
       brannte. Es ist ein Uhr mittags, und er hat einige Bier intus. S. trägt
       eine lange Hose, trotz der Hitze. Darunter, an seinen Beinen, ist die Haut
       noch immer rosa und wund.
       
       Beim Brand sind sein Bruder und seine Verlobte gestorben. Er selbst wurde
       schwer verletzt, lag zwei Wochen im Koma. Seit er aus dem Krankenhaus
       entlassen wurde, sei er permanent betrunken, sagt er. Vor ihm stehen die
       Bierflaschen, Wespen umschwirren ihn. S. hat eine Insektenstichallergie –
       „mir ist das egal“. Am liebsten wäre er bei dem Brand auch gestorben, sagt
       er.
       
       „Ich hatte ein Leben!“ „Immer wenn ich mein Leben auf die Reihe kriegen
       will, passiert irgendeine Scheiße.“ Leon S. und seine Verlobte wollten im
       März heiraten, erzählt er, wenige Wochen nach dem Brand.
       
       Er glaubt, dass seine Freundin schwanger war, als sie am 6. Februar
       gestorben ist. Die Gerichtsmedizin will das Leon S. nicht bestätigen. Es
       könnte ihn psychisch zu sehr belasten, heißt es dort.
       
       Sebastian M. aus Dresden, der gestanden hat, den Brand gelegt zu haben, war
       der beste Freund seines Bruders. Leon S. sagt, er könne sich nicht
       vorstellen, dass er das wirklich getan hat. Trotz des Geständnisses. Hat er
       ihn gefragt? „Ich habe 20 Briefe an ihn angefangen, seit er in U-Haft
       sitzt“, sagt er. „Aber keinen beendet.“
       
       ## Rechtsradikale, Trinker und Punks
       
       Er glaube hingegen, die Ex-Freundin seines Bruders habe etwas mit dem Brand
       zu tun. Da sie aus ihrer Wohnung geflogen war, zog sie in die
       Wohngemeinschaft und schlief auf dem Sofa im Wohnzimmer – auch, als sich
       das Paar längst getrennt hatte. „Vor dem Brand habe ich ihr gesagt, dass
       sie ausziehen muss“, sagt Leon S., der der Hauptmieter war. Er könne sich
       vorstellen, sie habe sich rächen wollen und Sebastian M. deshalb dazu
       angestiftet, den Brand zu legen.
       
       Klar ist: Das Umfeld dieser WG hat etwas mit den Bränden zu tun. Beide
       Tatverdächtige, Jens W. und Sebastian M., stammen aus demselben
       Bekanntenkreis. In Berichten ist die Rede davon, dass es sich bei ihnen um
       „Punks“ handele – tatsächlich ist es aber eher ein Drogenmilieu, in dem die
       Grenzen zwischen links und rechts sich verwischen.
       
       Ein Plauener, der die rechte Szene beobachtet, beschreibt es so: Die
       Plauener Drogenszene, zu der diese Menschen zählten, setze sich aus
       Rechtsradikalen, Trinkern und Straßenpunks zusammen. „Untereinander scheint
       es keine Berührungsängste zu geben“, sagt er. „Sie saufen zusammen, sind
       teilweise auf Facebook befreundet.“
       
       ## Ein Hand-Emoticon, das nach Hitlergruß aussieht
       
       Die Ex-Freundin von Leon S.’ Bruder dealte in der Wohngemeinschaft mit
       Crystal Meth – und verkaufte es auch an Neonazis, so erzählt es ein
       Bekannter. Schaut man sich ihre Freunde bei Facebook an, findet man
       darunter einige, die aus ihrer rechten Gesinnung kein Geheimnis machen; sie
       verzieren ihr Profilbild mit Eisernen Kreuzen oder Reichskriegsflaggen.
       Leute, die sich online „Kameraden“ nennen, „Aryan“ als zweiten Vornamen
       führen und mit einem Hand-Emoticon grüßen, das nach einem Hitlergruß
       aussieht. Ihr Bruder postet immer wieder Propagandavideos aus dem
       Nationalsozialismus, seine Profile werden regelmäßig von Facebook gesperrt.
       
       In ähnlichen Kreisen verkehrt auch Sebastian M., der Tatverdächtige beim
       zweiten Brand, auf Facebook. Freunde von ihm heißen „Steinar Odin“ und
       verwenden in ihrem Profilbild Deutschland- oder Reichskriegsflaggen, die
       sie mit Frakturschrift betexten. Er hat ein Bild gepostet, das sich gegen
       „Sozialschmarotzer“ richtet.
       
       Was den Fall noch komplizierter macht: Leon S.’ Bruder und dessen
       Ex-Freundin hatten dem Tatverdächtigen des ersten Brandes, Jens W., zuerst
       ein Alibi gegeben. Jens W. hatte sich vor dem ersten Brand in der
       Wohngemeinschaft aufgehalten.
       
       Bei einer weiteren Vernehmung der Polizei widerriefen sie jedoch ihre
       Aussage und gaben an, dass Jens W. zehn Minuten vor dem Brand das Haus
       verlassen habe. Wenig später soll er zurückgekommen sein, stark nach Rauch
       gerochen und gesagt haben: „In zehn Minuten geht ein Brand los.“ So habe es
       ihm auch sein Bruder erzählt, bevor er starb, sagt Leon S.
       
       ## „Die Zusammenhänge drängen sich auf“
       
       Die Polizei nahm Jens W. fest und brachte ihn in U-Haft. Am 19. Januar kam
       er wieder frei, weil die Staatsanwaltschaft beantragt hatte, den Haftbefehl
       gegen ihn aufzuheben. 18 Tage später brannte es in der Dürerstraße. Und der
       Hauptbelastungszeuge starb.
       
       Das Verfahren gegen Jens W. wegen Brandstiftung wurde am 13. Juli 2018
       eingestellt. „Dem Beschuldigten konnte die Tat nicht nachgewiesen werden“,
       heißt es in einem Brief der Staatsanwaltschaft. Die Sachbearbeiterin sei zu
       dem Schluss gekommen, dass die Zeugenaussagen nicht ausreichten, sagt der
       Sprecher der Staatsanwaltschaft auf Nachfrage – darüber müsse man mit der
       Presse nicht diskutieren, man sehe keine Zusammenhänge zwischen den beiden
       Bränden.
       
       Die Anwältin Claudia Neher vertritt einige der Opfer des ersten Brandes.
       Sie findet es absurd, dass die Staatsanwaltschaft keine Verbindungen sieht:
       „Diese Zusammenhänge drängen sich auf“, sagt sie. „Ein Hauptbelastungszeuge
       aus dem ersten Brand ist beim zweiten Brand verstorben. Das Haus gehört
       demselben Vermieter, bei dem es schon mehrere Brände in Plauen gab. Und
       einige Sinti und Roma, die bereits beim ersten Brand Opfer waren, wurden in
       dieses Haus umgesiedelt, wobei der Beschuldigte aus dem ersten Verfahren
       wieder frei war!“
       
       Sie glaubt, dass dringend untersucht werden müsse, ob ein rechtsradikaler
       Hintergrund für einen oder beide Brandanschläge eine Rolle gespielt habe.
       „Oder auch sonstige kriminelle, mafiöse Strukturen.“
       
       Gegen die Einstellung des Verfahrens hat sie eine Beschwerde eingereicht.
       Die Generalstaatsanwaltschaft Dresden muss jetzt darüber entscheiden.
       
       Lucia Dunkova, die bei diesem Brand so schwere Verletzungen davongetragen
       hat, lebt immer noch in Plauen. In einer anderen Wohnung inzwischen –
       einer, die auch Frank B. gehört. Es ist ein kleiner Verschlag im
       Erdgeschoss, auf dem Gelände eines alternativen Wohnprojektes. Sie versteht
       nicht, warum die Polizei Jens W. wieder freigelassen hat. „Warum?“, fragt
       sie immer wieder.
       
       Warum?
       
       Mitarbeit: Marie-Louise Stoll
       
       11 Sep 2018
       
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       Vermutungen waren öffentlich, die angeblichen Belege aber bleiben geheim.
       
 (DIR) Umgang mit Rechtsextremismus: Es brennt überall in Sachsen
       
       Rechter Hass und Hetze sind nirgendwo so fest verankert wie in Sachsen.
       Schuld sind vor allem die Regierenden der vergangenen Jahrzehnte.
       
 (DIR) Antiziganismus in Berlin: Die Diskriminierung nimmt zu
       
       Banken, Jobcenter, Kita – Sinti und Roma werden in Berlin massiv
       benachteiligt. Das zeigen neue Zahlen des Vereins Amaro Foro.
       
 (DIR) Klischees über Sinti und Roma: „Ich habe mir eine Wut angefressen“
       
       Dotschy Reinhardt ist Musikerin und eine entfernte Verwandte von Django
       Reinhardt. Der erstarkende Nationalismus von AfD und Co. trieb sie in die
       Politik.
       
 (DIR) Image und Wirkung von Crystal Meth: Höher, schneller, weiter
       
       Crystal Meth ist nicht die schlimmste Droge der Welt, aber auch nicht
       harmlos. Die User-Zahl steigt: Mütter, Leistungsträger, Hedonisten.
       
 (DIR) Abwasser und Drogenanalyse: Stille Wasser sind high
       
       Volles Rohr: Wie viele Drogen genommen werden, verrät die Kanalisation. Was
       wir nehmen, wann wir es nehmen und sogar, wo wir es nehmen.