# taz.de -- Linken-Politikerin über Chemnitz: „Hände falten reicht nicht mehr“ > Die sächsische Landtagsabgeordnete Susanne Schaper warnt seit Jahren vor > der rechten Szene ihrer Heimatstadt. Jetzt ist sie trotzdem schockiert. (IMG) Bild: „Wir sind ja auch noch da“: Protest gegen Rechts in Köln taz: Frau Schaper, Sie sind gebürtige Chemnitzerin und sitzen für die Linke im sächsischen Landtag. Was empfinden Sie angesichts der rechtsextremen Ausschreitungen in Ihrer Heimatstadt? Susanne Schaper: Wir hatten ja eine Ausschussreise nach Russland, die war eigentlich bis Samstag geplant. Die habe ich sofort abgebrochen, als ich das gehört habe. Es ist mir kalt den Rücken heruntergelaufen. Ich bin zutiefst schockiert, anders kann ich das nicht beschreiben. Sie gehören zu denen, die schon seit Jahren vor der rechtsextremen Szene in Chemnitz warnen. Waren Sie angesichts der aktuellen Ereignisse überrascht, oder haben Sie gewusst, dass so etwas passieren könnte? Das ist eine ganz seltsame Gefühlslage, die ich momentan habe. Eigentlich habe ich es gewusst, aber gleichzeitig will ich nicht wahrhaben, dass ich es gewusst habe. Obwohl man weiß, dass es diesen rechten Mob gibt, ist man über dieses Ausmaß und die Eskalation dann doch erschüttert. Auf ihr eigenes Wahlkreisbüro in Chemnitz-Sonnenberg wurden 2016 und 2017 [1][mehr als 20 mutmaßlich rechtsextreme Anschläge verübt]. Wie ist die Situation heute? Ich habe dann nach langer Suche endlich ein neues Büro beziehen können. Das ist jetzt nach außen aber nicht mehr erkennbar als mein Büro, deswegen haben die Angriffe aufgehört. Das ist leider so, dass es in diesem Stadtteil keine andere Möglichkeit gibt. Briefe bekomme ich immer noch ab und an. Haben Sie mal darüber nachgedacht, die Stadt zu verlassen? Nein, und das tue ich auch jetzt nicht, gerade jetzt nicht. Chemnitz, das ist ja nicht per se rechts. Wir sind ja auch noch da. Ich finde das im Übrigen auch so perfide, dass in der Berichterstattung immer von Rechts und Links gesprochen wird. Da frage ich mich, wo sind wir denn hier? Das muss doch selbstverständlich sein, dass man aufbegehrt, wenn dieser rechte Mob auf die Straße geht. Das ist ein Bekenntnis zu Humanität. Wenn das nicht selbstverständlich ist, sondern „den Linken“ überlassen wird, dann gute Nacht Deutschland. In Chemnitz waren am Montag nicht nur organisierte Neonazis auf der Straße, [2][sondern auch die sogenannten besorgten Anwohner]. Was sagen Sie dazu? Das ist genau das, was die AfD macht: Man verschiebt die Grenze von dem, was in Ordnung ist. So lange, bis keiner mehr widerspricht, wenn der neben ihm den Hitlergruß zeigt. Bis die Leute so etwas normal finden. Dieses ganze angebliche Saubermann-Image und dann vom Vogelschiss reden, dieses „Ich bin kein Nazi, aber“: Diese Grenzen, die haben sich aufgelöst in den letzten Jahren, das sieht man dort. Was muss jetzt in den nächsten Tagen passieren? In Chemnitz muss jetzt die Zivilgesellschaft aufstehen. Da müssen sich jetzt alle aufraffen. Friedensgebet, das ist schön und gut, da bin ich auch voll dabei, aber das reicht nicht mehr. Wer das jetzt nicht versteht, der darf später nicht sagen, wir haben es nicht gewusst. Man muss jetzt aufstehen. Die Hände zu falten, das reicht nicht mehr. Was muss die sächsische Regierung tun? Die sächsische Staatsregierung, die CDU, die muss mit ihrem dummen Geschwätz, dass sie alles im Griff hätten, aufhören. Von Extremismus auf beiden Seiten zu sprechen, diese Rechts-Links-Nummer aufzumachen, wo man sich dann als goldene Mitte schön rausziehen kann, das ist wirklich verabscheuenswert. Wir sind genau da, wo wir sind, weil die sächsische CDU blind ist auf dem rechten Auge. Dass sich jetzt sogar Frau Merkel äußern muss, das würde doch auch nicht passieren, wenn wir hier einen Ministerpräsidenten hätten, der adäquat reagieren würde. Das ist Versagen von vorne bis hinten. Dass Ministerpräsident Michael Kretschmer die Ausschreitungen verurteilt hat, reicht Ihnen nicht? Sich da hinzustellen, mit dem Finger auf Rechts und Links zu zeigen und sich selbst als Saubermann hinstellen, das geht nicht. Das hätte in jeder anderen sächsischen Stadt so eskalieren können, das ist kein Chemnitz-Problem, das ist Sachsen. Das wird kleingeredet von den Staatstragenden, seit vielen, vielen Jahren, das ist ein Problem. Im Moment schauen viele von außerhalb auf Chemnitz. Was wünschen Sie sich von denen? Ich würde mir wünschen, dass man die Chemnitzerinnen und Chemnitzer nicht alle über einen Kamm schert. Dass man zur Kenntnis nimmt, dass es hier viele Menschen gibt, die zutiefst entsetzt sind über das, was hier in den letzten Tagen passiert ist. 29 Aug 2018 ## LINKS (DIR) [1] /Eine-ostdeutsche-Grossstadt-in-Aufruhr/!5532080 (DIR) [2] /Eine-ostdeutsche-Grossstadt-in-Aufruhr/!5532080 ## AUTOREN (DIR) Malene Gürgen ## TAGS (DIR) Chemnitz (DIR) Rechtsextremismus (DIR) Sachsen (DIR) Chemnitz (DIR) Michael Kretschmer (DIR) Chemnitz (DIR) Schwerpunkt Rassismus (DIR) Chemnitz (DIR) Chemnitz (DIR) Chemnitz (DIR) Polizei Sachsen (DIR) Lesestück Recherche und Reportage ## ARTIKEL ZUM THEMA (DIR) Rechte Szene in Chemnitz: Sie wollen den Volksaufstand Die Rechten haben in Chemnitz noch lange nicht genug: Auch am Donnerstag und Samstag wird protestiert. Die lokale Szene ist gut vernetzt. (DIR) Sachsens Regierungschef Kretschmer: Ein Januskopf in Chemnitz Heute kann Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer in Chemnitz Gesicht zeigen. Aber was verbirgt sich hinter diesem Gesicht? (DIR) Kommentar Haftbefehl von Chemnitz: Keine Gefahr für den Rechtsstaat Die Veröffentlichung des Haftbefehls von Chemnitz ist vor allem: unbedeutend. Die Aufregung darum hilft den Rechten bei ihrer Propaganda. (DIR) Migrantenorganisationen über Chemnitz: „Um Jahrzehnte zurückgeworfen“ Opferberatung und Flüchtlingsrat wünschen ein klares Zeichen gegen Rechts. Die Nazi-Szene in Chemnitz sei klein, aber gut vernetzt. (DIR) Kommentar Seehofer und Chemnitz: Plötzlich so schweigsam Horst Seehofer nennt die Dinge gern beim Namen. Im Fall der Neonazi-Proteste in Chemnitz bleibt er hingegen wortkarg – was soll das? (DIR) Chemnitzer Haftbefehl im Internet: Staatsanwaltschaft ermittelt Rechte haben den Haftbefehl der Chemnitzer Staatsanwaltschaft gegen zwei mutmaßliche Täter ins Netz gestellt. Doch das ist verboten. (DIR) Eine ostdeutsche Großstadt in Aufruhr: Zwei Tage in Chemnitz Rechte ziehen ungestört durch die Straßen. Die Polizei ist überfordert, unter Geflüchteten herrscht Angst. Ein Vor-Ort-Bericht. (DIR) Kommentar Ausschreitungen in Chemnitz: Probe für den rechten Volksaufstand Hass, Aggressivität und Menschenverachtung: In Chemnitz bekam man am Montag ein Gefühl dafür, was uns bei einem fortgesetzten Rechtsruck droht. (DIR) Rechte Szene in Chemnitz: Als die Nazis Reißaus nahmen Farbbeutel, Fäkalien und eine tote Ratte vor der Tür: Wie Rechte eine linke Abgeordnete in Chemnitz drangsalierten. Und Widerstand hervorriefen.