# taz.de -- Chemnitzer Haftbefehl im Internet: Staatsanwaltschaft ermittelt
       
       > Rechte haben den Haftbefehl der Chemnitzer Staatsanwaltschaft gegen zwei
       > mutmaßliche Täter ins Netz gestellt. Doch das ist verboten.
       
 (IMG) Bild: Trauerkerzen an dem Ort in Chemnitz, an dem am Sonntagmorgen ein 35-Jähriger erstochen wurde
       
       FREIBURG taz | Die Chemnitzer Staatsanwaltschaft hat Ermittlungen wegen der
       Veröffentlichung des Haftbefehls zum tödlichen Messerangriff von Sonntag
       eingeleitet. Die Haftbefehle gegen einen Iraker und einen Syrer waren laut
       tagesschau.de [1][frühzeitig von Rechtspopulisten veröffentlicht worden],
       unter anderem von einem AfD-Kreisverband und von Pegida-Gründer Lutz
       Bachmann. Seither wurde der Haftbefehl vielfach über soziale Medien wie
       Twitter verbreitet.
       
       Wer die Anklageschrift oder „andere amtliche Dokumente eines
       Strafverfahrens“ öffentlich mitteilt, „bevor sie in öffentlicher
       Verhandlung erörtert wurden oder das Verfahren abgeschlossen ist“, macht
       sich strafbar. Das ist im Strafgesetzbuch geregelt (§ 353d Nr. 3).
       
       Den mutmaßlichen Tätern drohen Freiheitsstrafen bis zu einem Jahr oder
       (wohl eher) Geldstrafen. Strafbar ist nur die „wörtliche“ Wiedergabe
       solcher Dokumente, etwa als Kopie oder als (nahezu) vollständiges Zitat.
       
       Sinn der Vorschrift ist nicht nur der Schutz von Persönlichkeitsrechten und
       Unschuldsvermutung, sondern auch der Unbefangenheit von Schöffen und Zeugen
       eines Strafverfahrens. Da nur Richter, Staatsanwälte und Verteidiger die
       Akten kennen, soll verhindert werden, dass Aktenbestandteile (etwa
       Sachverständigen-Gutachten) vorher in der Öffentlichkeit verbreitet werden.
       
       Deshalb ist es auch strafbar, wenn der Angeklagte selbst die Anklage oder
       andere Dokumente auf einer Webseite veröffentlicht. Bei der
       Veröffentlichung eines Haftbefehls geht es wohl vor allem um den Schutz von
       Persönlichkeitsrechten.
       
       ## Auch Weiterverbreitung und Beihilfe sind strafbar
       
       Strafbar macht sich, wer das Dokument „öffentlich mitteilt“. Es kann also
       nicht nur derjenige belangt werden, der den Haftbefehl erstmals
       veröffentlicht hat. Vielmehr ist auch jede weitere Veröffentlichung
       strafbar, da sich die abstrakte Gefahr für die Rechtsgüter erhöht.
       
       Als „Beihilfe“ zur verbotenen Mitteilung kann die ursprüngliche Weitergabe
       des Haftbefehls bestraft werden – wenn sie in der Erwartung erfolgte, dass
       dieser von den Empfängern alsbald veröffentlicht wird. Infrage kommen hier
       vor allem Personen im Gericht, in der Staatsanwaltschaft und bei der
       Polizei.
       
       Es wird immer wieder diskutiert, ob Paragraph 353d ein unverhältnismäßiger
       Eingriff in die Meinungs- und Pressefreiheit darstellt. Viele halten die
       Strafnorm für völlig ungeeignet, weil sie nur die wörtliche Weitergabe
       bestraft, während die sinngemäße Mitteilung der Anklageschrift oder eines
       Gutachtens nicht strafbar ist. Für den Schutz der Persönlichkeitsrechte
       genüge es, Namen und ähnliches vor der Veröffentlichung zu schwärzen oder
       zu anonymisieren, sagen Kritiker.
       
       Das Bundesverfassungsgericht hat aber in zwei Entscheidungen, 1985 und
       2014, darauf verzichtet, die Norm zu beanstanden. Das strafrechtliche
       Verbot sei „trotz bestehender Umgehungsmöglichkeiten nicht schlechterdings
       ungeeignet“. Schließlich könnten Originaldokumente und wörtliche Zitate
       größeren Eindruck machen als indirekte Zitate.
       
       29 Aug 2018
       
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