# taz.de -- 40 Jahre taz: Krise im Iran: Iranische Optionen
       
       > Landesweit regen sich im Iran Proteste gegen das politische System.
       > Revolutionsführer Chamenei und Präsident Rohani sehen keine Probleme.
       
 (IMG) Bild: Falsches Lächeln? Präsident Hassan Rohani bemüht sich, das Volk zu beschwichtigen
       
       Die Islamische Republik Iran [1][steckt in der schwersten wirtschaftlichen,
       politischen und kulturellen Krise seit ihrer Gründung] vor fast vierzig
       Jahren. Nicht einmal der achtjährige Krieg gegen den Nachbarstaat Irak
       stellte das Land vor derart schwerwiegende Probleme, für die es, zumindest
       kurz- oder mittelfristig, kaum Lösungen gibt.
       
       Die Staatsführung versucht die Probleme herunterzuspielen. Niemand brauche
       sich um die Zukunft der Islamischen Republik Sorgen zu machen, sagte
       Revolutionsführer Ali Chamenei. „Keine Macht der Welt kann das Land
       gefährden.“
       
       Auch [2][Präsident Hassan Rohani bemüht sich, das Volk zu beschwichtigen.]
       Er gab zwar zu, dass es wegen Wasser- und Stromknappheit sowie der
       Umweltverschmutzung Probleme gebe. Doch es gebe keine Gefahr für die
       Sicherheit, auch keine ernstzunehmenden Schwierigkeiten bei der Versorgung
       der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln und Konsumgütern.
       
       Doch die Fakten sprechen eine andere Sprache. Misswirtschaft, Mangel an
       notwendigen Reformen, die himmelschreiende Korruption und nicht zuletzt die
       Sanktionen haben größere Teile der Bevölkerung in die Armut getrieben.
       
       ## Korruption – wichtigste Ursache der Krise
       
       Innerhalb der vergangenen vier Monate verlor der Rial fast zwei Drittel
       seines Werts gegenüber dem Dollar. Die Arbeitslosigkeit, insbesondere unter
       Jugendlichen, und die Inflation sind stark angestiegen. In zahlreichen
       Regionen des Landes herrscht ein dramatischer Mangel an Wasser, zahlreiche
       Seen und Flüsse sind ausgetrocknet, manche Orte sind unbewohnbar geworden.
       
       Rohani hatte gehofft, mit dem Atomabkommen von 2015 und der Aufhebung von
       Sanktionen einen wirtschaftlichen Aufschwung einzuleiten. Das ist ihm und
       seiner Regierung nicht gelungen. Die Regierung verfügt nicht über
       ausreichend Macht, um notwendige Reformen durchzusetzen, Hardliner sowie
       Konservative torpedieren ihre Pläne ständig.
       
       Hinzu kommt, dass die Korruption, das größte Übel und die wichtigste
       Ursache der Krise, in der Islamischen Republik strukturell bedingt ist. Um
       sie zu beseitigen, müssten sämtliche mächtigen Institutionen wie die
       Stiftungen und religiöse oder militärische und paramilitärische
       Einrichtungen unter die Kontrolle des Staates gestellt werden. Das aber ist
       bei der gegenwärtigen Machtkonstellation nicht möglich.
       
       Die Millionen Wähler, die von Rohani grundlegende Veränderung und eine
       Öffnung nach außen und innen erwartet hatten, sind inzwischen bitter
       enttäuscht. Kaum noch jemand hofft auf eine Besserung der Lage. Im
       Gegenteil, die von den USA neu aufgenommen Sanktionen, die im November noch
       härter werden sollen, lassen noch schlimmere Zeiten befürchten.
       
       Die Folgen sind soziale Unruhen. Die Massenproteste im August waren die
       dritte Welle von Protesten im laufenden Jahr, die sich immer deutlicher
       gegen das gesamte System richten. Alles deutet darauf hin, dass weitere
       Unruhen ausbrechen werden. Die Unterstützung dieser Unruhen gehört zu der
       Iran-Strategie der USA. Außenminister Mike Pompeo sagte an die iranische
       Bevölkerung gerichtet: „Die Vereinigten Staaten hören eure Rufe, die
       Vereinigten Staaten unterstützen euch, die Vereinigten Staaten sind mit
       euch.“
       
       ## USA wollen Druck ausüben
       
       Einem Bericht der Agentur Reuters zufolge haben die USA eine Kampagne
       gestartet, um in Iran Unruhen zu stiften, die iranische Staatsführung zu
       diffamieren und die Probleme des Landes zugespitzt und übertrieben
       darzustellen. Der Druck von außen und von innen soll das Regime in Teheran
       zermürben, bis es zu einem Regimewechsel kommt – oder Iran die Bedingungen
       Washingtons akzeptiert. Das hieße, dass Iran auf das Atom- und
       Raketenprogramm verzichtet, sich aus der Region zurückzieht, vor allem aus
       Syrien, Irak und Libanon, und seine Hilfe für die libanesische Hisbollah,
       palästinensische Organisationen und die Huthis in Jemen einstellt.
       
       Die zweite Phase der Sanktionen, die am 4. November beginnen soll, hat zum
       Ziel, den iranischen Ölexport zu boykottieren und das Land aus
       internationalen Finanzinstitutionen auszuschließen. Der Nationale
       Sicherheitsberater im Weißen Haus, John Bolton, sprach von „beispiellosem
       Druck“.
       
       Tatsächlich ist der Druck auf Iran enorm. Iran hat zwar in den vergangenen
       Jahren seinen Einfluss im Nahen und Mittleren Osten erheblich gesteigert
       und ist zu einer regionalen Großmacht aufgestiegen. Doch das Land steht nun
       einer Front gegenüber, der neben den USA auch die ehemals verfeindeten
       Staaten Israel und Saudi-Arabien angehören. Das hat zur Folge, dass Iran
       sich Russland und China angenähert hat. Aber diese Partner sind nicht
       verlässlich. Vor allem Russland, das durch die Erfolge im Syrien-Krieg
       seine Position im Nahen Osten verstärkt und ausgebaut hat, wird Iran fallen
       lassen, sobald seine Interessen es erfordern.
       
       Die Frage ist nun, wie sich Iran angesichts dieser schwierigen Lage in den
       nächsten Monaten verhalten wird. Wird Teheran am Ende dem Druck der USA
       nachgeben und sich zu neuen Verhandlungen bereit erklären? Darauf hoffen
       die USA. Iran stehe vor einem Zusammenbruch, sagt Präsident Trump. „Sie
       werden mich an einem gewissen Punkt anrufen und sagen ‚Lass uns einen Deal
       machen‘ und wir werden einen Deal machen.“
       
       ## Gang nach Canossa?
       
       Zu diesem Gang nach Canossa wären Rohani und die Gemäßigten unter gewissen
       Umständen bereit. Verbal lehnte das Teheraner Außenministerium zwar das
       Angebot Washingtons ab. „Verhandlungen im Schatten von Drohungen (…), das
       können die Amerikaner vergessen“, sagte Sprecher Bahram Ghassemi. Rohani
       selbst äußerte sich etwas versöhnlicher. Er forderte eine „sachliche
       Reaktion“ auf das Angebot Trumps. Und sein Berater Hamid Abutalebi nannte
       die Voraussetzungen für Verhandlungen: „Rückkehr der USA zum Atomabkommen,
       Rücknahme der Sanktionen, Ende der Feindseligkeiten und Respekt für das
       iranische Volk.“
       
       Demgegenüber verfolgen die Hardliner eine konfrontative Politik gegenüber
       den USA. Revolutionsführer Ali Chamenei, der bei wichtigen Entscheidungen
       das letzte Wort hat, schloss grundsätzlich Verhandlungen mit Washington
       aus. „Ich verbiete jedes Gespräch mit den USA“, sagte er.
       
       Und General Ghassem Soleimani, Oberbefehlshaber der Al-Kuds-Brigade, einer
       Abteilung der Revolutionsgarden, die für Auslandseinsätze zuständig ist,
       warnte vor einem Krieg, bei dem Washington „alles verlieren“, Iran aber
       „alles gewinnen“ werde. „Wir sind ein Land, das nach Märtyrertum lechzt
       (…), und so einem Land will Trump mit seinen Tweets Angst machen?“, sagte
       er.
       
       ## Chamenei unterstützt die Regierung
       
       Welche Strategie wird sich durchsetzen? [3][Seit dem Austritt der USA aus
       dem Atomabkommen] ist die Regierung Rohani stark geschwächt und mit ihr die
       Fraktion der Gemäßigten und Reformer. Die Hardliner und Militärs wittern
       die Chance, die Regierung zu übernehmen.
       
       Doch neuerdings unterstützt Chamenei die Regierung. Offenbar will er damit
       die Balance zwischen den Machtzentren erhalten, um weiterhin seine Position
       als „Alleinherrscher“ behaupten zu können. Kann er aber diese Taktik auch
       fortsetzen, wenn die Krise sich verschärft, der Druck von außen wächst und
       die Unruhen im Land größeres Ausmaß annehmen? Wohl kaum.
       
       Sollten aber tatsächlich die Militärs über kurz oder lang das Ruder in die
       Hand nehmen, würde Iran höchstwahrscheinlich das Atomabkommen kündigen und
       sein ursprüngliches Nuklearprogramm wieder aufnehmen. Die Lage würde
       eskalieren und möglicherweise zu einer militärischen Konfrontation mit
       verheerenden Folgen führen.
       
       Anders als damals beim Krieg der USA gegen den Irak, der seinerzeit
       innerhalb weniger Tage kapitulierte, hat Iran durchaus die Möglichkeit,
       sich zu verteidigen. „Der Frieden mit Iran wäre die Mutter allen Friedens,
       und der Krieg mit Iran die Mutter aller Schlachten“, sagte Rohani. Iran
       könne die Straße von Hormus schließen und andere Möglichkeiten nutzen, um
       den gesamten Ölexport aus den Staaten am Persischen Golf zu verhindern,
       drohte er.
       
       ## Demokratische Alternative nicht in Sicht
       
       US-Stützpunkte am Persischen Golf, auch Israel, befinden sich in Reichweite
       iranischer Raketen. Iran hätte auch die Möglichkeit, mit Hilfe seiner
       Verbündeten einen Großteil der Region in Aufruhr zu versetzen. Angesichts
       dieser Lage scheint ein direkter Krieg der USA gegen Iran unwahrscheinlich.
       Denkbar sind aber gezielte Luftangriffe, auch durch Israel, auf iranische
       Atomanlagen und Militärstützpunkte.
       
       Denkbar ist auch eine militärische Konfrontation auf syrischem Territorium,
       bei der auch die libanesische Hisbollah und die schiitischen Milizen im
       Irak Iran unterstützen würden.
       
       Bleibt noch die Option, die für die USA die angenehmste wäre: ein Sturz des
       Regimes durch eine Volkserhebung. Doch diese Option hat im Vergleich zu den
       anderen die geringste Chance. Zwar ist die Unzufriedenheit in der
       Bevölkerung weitverbreitet, auch größere Unruhen sind zu erwarten, aber es
       gibt keine organisierte Opposition, die die Streiks und Demonstrationen
       miteinander vernetzen könnte.
       
       Eine demokratische Alternative zum herrschenden Regime ist nicht in Sicht.
       Die Amerikaner würden die alten Monarchisten mit dem Sohn des gestürzten
       Schahs, der in den USA lebt, als Nachfolge der Islamisten an der
       Staatsspitze installieren. Doch für das iranische Volk würde eine Rückkehr
       zu einem Regime, das unter großen Opfern gestürzt wurde, eine Demütigung,
       eine Niederlage bilden, die psychologisch kaum zu verkraften wäre.
       
       29 Sep 2018
       
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