# taz.de -- Friedensnobelpreisträgerin Nadia Murad: Die Frau, die für Gerechtigkeit kämpft
       
       > Sie wurde als Geliebte „gekauft“, erlebte Missbrauch und Gewalt. Die
       > Jesidin Nadia Murad war eine der ersten, die von den IS-Verbrechen
       > berichtete.
       
 (IMG) Bild: Nadia Murad will weitermachen, bis der IS für seine Verbrechen bestraft wird
       
       Als Nadia Murad zum Gesicht der jesidischen Frauen wurde, die den Genozid
       durch die Terrormiliz „Islamischer Staat“ überlebten, war sie 22 Jahre alt.
       Es war im Dezember 2015, da erzählte Murad vor den Delegierten der
       UNO-Vollversammlung in Genf mit fester Stimme, wie sie und 150 weitere
       Jesidinnen aus ihrem Dorf entführt und nach Mossul gebracht worden waren.
       Wie sie bereits auf der Fahrt dorthin von einem IS-Kämpfer geschlagen und
       angefasst wurde. Wie einer der Kämpfer, ein IS-Richter namens Hadschi
       Salman, auf sie zukam, um sie als „Sabbaye“, als „Geliebte“ zu kaufen. „Er
       zwang mich, mich hübsch anzuziehen und zu schminken. Die Nacht war
       grausam.“
       
       Murad war eine der ersten Jesidinnen, die von diesen Verbrechen erzählten.
       Seither hat sie nicht aufgehört, den Überlebenden des Genozids durch den IS
       eine Stimme zu geben: Sie schrieb ein Buch über ihre Geschichte, sie
       spricht als UNO-Sonderbotschafterin für Menschenrechte in der ganzen Welt
       mit Staatschefs, Diplomaten und Journalisten über das Schicksal der
       jesidischen Frauen; sie will, dass ihrem Volk Gerechtigkeit widerfährt.
       
       Nadia Murad stammt aus dem Dorf Kocho in Sinjar, Irak. Sie führte ein
       einfaches Leben mit ihrer Familie, im Sommer schlief sie mit ihren
       Schwestern auf dem Dach und träumte davon, später einen Friseursalon zu
       führen. Dann wurde alles anders. Im August griff der „Islamische Staat“
       Sinjar an, er überfiel die jesidischen Dörfer, massakrierte Tausende
       Männer, entführte ihre Frauen und Kinder, nur eine Handvoll der Bewohner
       entkam.
       
       Mehrere Wochen verbrachte Nadia Murad bei Hadschi Salman, jenem Mann, der
       sie in Mossul gekauft hatte. Als sie zu fliehen versuchte, vergingen sich
       IS-Kämpfer zur Strafe an ihr, dann verkaufte Salman sie weiter, und immer
       wieder wurde sie missbraucht. Nach drei Monaten gelang ihr mithilfe einer
       Familie in Mossul die Flucht. Über ein Sonderkontingent für jesidische
       überlebende Opfer des IS kam sie 2015 nach Baden-Württemberg.
       
       Die grün-rote Landesregierung unter Ministerpräsident Winfried Kretschmann
       nahm damals 1.100 jesidische Frauen und Kinder auf, darunter auch Nadja
       Murad. Andere Bundesländer folgten. Der Leiter des Programms war der
       heutige Antisemitismusbeauftragte der Landesregierung, Michael Blume. Mit
       seinem Team reiste er mehrmals in den Nordirak und erreichte, dass Baba
       Scheich, geistliches Oberhaupt der Jesiden, den vom IS geschändeten Frauen
       seinen Segen gab. Nur so konnten sie wieder in die jesidische Gemeinschaft
       aufgenommen werden.
       
       „Es wird nicht einfacher, die eigene Geschichte zu erzählen“, schreibt
       Nadia Murad in ihrem Buch. „Jedes Mal wenn du darüber sprichst, erlebst du
       das Geschehene erneut.“ Trotz ihres Engagements, auf das Schicksal ihres
       Volkes aufmerksam zu machen – für die Jesiden hat sich bisher wenig
       verändert. Noch immer sind über die Hälfte der verschleppten Frauen und
       Kinder in Gefangenschaft, noch immer leben die meisten Jesiden in
       Flüchtlingslagern im Nordirak, noch immer sind ihre Dörfer zerstört und
       vermint. Und bisher wurde kein einziges IS-Mitglied im Irak für den Genozid
       an den Jesiden verurteilt.
       
       Nadia Murad macht weiter. Wenn sie ihre Geschichte erzähle, fühle es sich
       an, als ob sie den Terroristen ein Stück Macht wegnehme. Der IS hätte nie
       gedacht, dass ein jesidisches Mädchen den Mut aufbringen würde, über das
       Geschehene zu reden, schreibt sie. Und will weitermachen, bis der IS für
       seine Verbrechen bestraft wird. (Mitarbeit: Benno Stieber)
       
       5 Oct 2018
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Meret Michel
       
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