# taz.de -- Biopic-Film über Silvio Berlusconi: Die Scheinwelt, mit der er sich umgibt
       
       > Paolo Sorrentino nähert sich in „Loro – Die Verführten“ dem ehemaligen
       > Ministerpräsidenten Italiens an. Und das mit viel Freude an persönlichen
       > Spleens.
       
 (IMG) Bild: Manspreading: Toni Servillo als Silvio Berlusconi
       
       Auf einer Wiese auf Sardinien steht ein Schaf. An der leuchtend weißen,
       getrimmten Wolle ist klar zu erkennen, dass es sich um kein wildes Schaf
       handelt. Ein leichter Wind kommt auf. Mit wehender Wolle steht das Schaf im
       Wind, scheint die Brise zu genießen. Dann beginnen die Nüstern zu spielen,
       etwas liegt in der Luft. Das Schaf setzt sich in Bewegung. Landeinwärts.
       Eine Villa wird sichtbar, das Schaf erklimmt ein paar Stufen und geht durch
       die offene Verandatür ins Innere.
       
       Rechts neben sich hat das Schaf eine Regalwand, links vor sich eine
       Klimaanlage und in der Mitte läuft stumm ein großer Fernseher, der eine
       Quizsendung zeigt. Das Fernsehbild springt zwischen Mike Bongiorno, dem
       bekanntesten Quizmaster Italiens, seiner Assistentin und den beiden
       Quizteilnehmern hin und her. Der Blick des Schafs wechselt zwischen
       Fernsehbild und Klimaanlage.
       
       Nach anfänglicher Ruhe scheint sich die Klimaanlage zu verselbstständigen,
       deutlich hörbar springt die Lüftung an, die Temperatur wird weiter und
       weiter nach unten geregelt. Tiefgekühlt kippt das Schaf im Wohnzimmer tot
       zur Seite. Das Schaf starb im Wohnzimmer der Villa von Silvio Berlusconi.
       Mit dieser Anfangssequenz sind die besten Minuten aus Paolo Sorrentinos
       neuestem Film „Loro“ (wörtlich: „Sie“) vorbei.
       
       Sergio Morra, ein junger Unternehmer aus Taranto, ganz im Süden des
       italienischen Festlands, lebt davon, sich öffentliche Aufträge zu sichern,
       indem er den entscheidenden Politikern sexuelle Kontakte vermittelt. Doch
       eigentlich will er vor allem eines: weg aus dem provinziellen Taranto. Der
       beste Weg dazu scheint im direkten Kontakt zur Macht zu bestehen. Und
       Kontakt zur Macht heißt im Italien der 2000er Jahre: Kontakt zu Silvio
       Berlusconi.
       
       Auf einer Party in Rom lernt er Kira kennen, eine der zahllosen Affären von
       Berlusconi. Gemeinsam schmieden die beiden den Plan, eine Gruppe junger
       hübscher Frauen nach Sardinien zu bringen für eine Party in einer Villa
       gegenüber derjenigen von Berlusconi, in der Hoffnung, dessen Aufmerksamkeit
       zu erregen. Gesagt, getan. Nach 40 Minuten repetitiver Poolparty mit oder
       ohne Bikini ist das immer noch nicht recht gelungen, doch ganz zum Schluss,
       kurz vor dem Aufgeben (das den finanziellen Ruin von Sergio Morra bedeuten
       würde), klappt es doch noch: Berlusconi lädt Morra mitsamt den Frauen zur
       Feier auf sein Anwesen ein.
       
       ## Leider zeigt „Loro“ bekannte Schwächen
       
       Sorrentino inszeniert die italienische Politik unter Berlusconi als feudale
       Hofstruktur, in der der direkte Kontakt zum Herrscher, der Ämter und
       Ämtchen verleiht und nimmt, über die eigene Karriere entscheidet. Die im
       Filmtitel genannten „Sie“ umschwirren Berlusconi wie Motten das Licht. Mit
       viel Sinn zum Detail inszeniert Sorrentino die Scheinwelt, mit der sich
       Berlusconi umgibt: von einem Tritt in die Scheiße, den er seinem Enkel als
       Tritt in aufgelockerte Erde verkauft, bis zum hörbar nachgeahmten
       Neapolitanisch der Lieder, mit denen Berlusconi seine Karriere begann und
       mit denen er die Gäste auf seinen Festen unterhält.
       
       Leider zeigt auch „Loro“ die Schwächen, die viele Filme Sorrentinos prägen:
       Figuren und Handlungsstränge werden zum Aufzeigen von Einzelheiten
       verwendet und verschwinden dann einfach wieder mit losen Enden,
       Oberflächenschauwerte sind sich selbst Zweck genug, werden aber zugleich
       anders als etwa bei US-Regisseur Michael Bay vollkommen unhedonistisch und
       unanalytisch inszeniert.
       
       Sorrentino schleppt die ödeste aller erzählerischen Grundkonstellationen,
       „Alter Mann geifert jungen Frauen nach“, seit drei Filmen mit sich rum,
       ohne daraus wirklichen Mehrwert für den jeweiligen Film entwickeln zu
       können und ohne dass es darin Analysezugänge oder Brechungen gab. In „Loro“
       kommt die erhebliche Schwäche hinzu, dass es zwar durchaus Spaß macht, Toni
       Servillo dabei zuzusehen, wie er Berlusconi spielt, der Film aber nie über
       den Allgemeinplatz von Berlusconis System der persönlichen Abhängigkeiten
       als politisches Herrschaftskonstrukt hinauskommt.
       
       Ähnlich wie 2008 in seinem Politbiopic „Il divo“ über einen der prägendsten
       konservativen Politiker der italienischen Nachkriegszeit, Giulio Andreotti,
       erweist sich Sorrentino in „Loro“ als unfähig, Strukturen politischer
       Herrschaft unabhängig von persönlichen Spleens darzustellen. Berlusconi ist
       einer der zentralen Verantwortlichen für das Zugrunderichten des
       politischen Systems in Italien.
       
       Nach Tangentopoli, jenen Korruptionsskandalen der frühen 1990er Jahre, die
       das Ende der klassischen Parteien der Nachkriegszeit bedeuteten, sind die
       Regierungen Berlusconis Schritt zwei gewesen auf dem Weg in die desaströse
       Gegenwart, gefolgt von Matteo Renzis populistischer Egomanie als Schritt
       drei. Für die Darstellung eines so zentralen Akteurs des Niedergangs ist
       „Loro“ schlicht zu oberflächlich in der Darstellung und zu mäßig in der
       Umsetzung. „Loro“ ist eine vertane Chance.
       
       14 Nov 2018
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Fabian Tietke
       
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