# taz.de -- Exil-Kunst in Hamburg: Ästhetischer Übersetzer
       
       > Khaled Barakeh setzt sich mit Konflikten und ihrer Befriedung
       > auseinander, mit Folter und Flucht – und mit all den Erwartungen, die
       > sich an ihn richten.
       
 (IMG) Bild: Kritik am medialen Voyeurismus? Aus Bildern von Trauernden schneidet Barakeh die Körper der Toten heraus: The Untitled Images 4 (2014).
       
       Rechtsrum ist richtig. Wenn auch nur bei der Uhr. Doch im [1][Hamburger
       Museum für Kunst und Gewerbe] geht das auch genau andersrum: Dort hängt
       eine linksgängige Uhr mit indischen Ziffern. Aber ist die Zeit, die Khaled
       Barakeh damit anzeigt, auf diese Weise eine ganz andere?
       
       „One hour is sixty minutes“, konstatiert diese Arbeit des syrischen
       Künstlers gleichmacherisch. Sie zeigt, dass selbst ein grundlegend
       scheinender Unterschied oft nichts anderes ist, als eine andere Art der
       Problemlösung. Es ist eine durchaus reflexive Installation, die durch einen
       über Eck hängenden Spiegel zudem wieder in das gewohnte Bild des
       Uhrzeigersinns reflektiert wird.
       
       Mit Witz und nicht ohne didaktischen Hintersinn begegnen alle
       konzeptionellen Arbeiten dieser Ausstellung der Irritation durch Fremdes.
       „Die blaue Stunde“ heißt die Schau von etwa zwanzig Werken zu aktuellen
       Konflikten, zu der Tobias Mörike, der neue Kurator der seit den
       Gründertagen bestehenden Islam-Abteilung des Schatzhauses am Steintor, den
       1976 in Damaskus geborenen Künstler eingeladen hat. Der Titel bezieht sich
       weniger auf die romantische Verklärung der Dämmerung, in der zwischen Tag
       und Nacht die Konturen verschwimmen, als auf die Ungewissheiten und Brüche
       jedweden Übergangs.
       
       ## Dauernde Krise und kulturelle Differenz
       
       Die Dauerkrise in seinem Geburtsland, die weltweite Migration und die
       Erfahrung kultureller Differenzen sind die Kernthemen des seit zehn Jahren
       in Deutschland lebenden und an der Berliner Universität der Künste
       unterrichtenden Künstlers. Für den allzu engen Zusammenhang von Macht und
       Tod hat er ein einfaches Zeichen aus geschichtsgesättigtem Holz gefunden:
       Eine originale Leichenbahre aus Syrien hat er zu einem gestürzten Thron
       umgearbeitet.
       
       Denn der Krieg begann mit dem Machtmissbrauch des Systems und dessen
       Geheimgefängnissen. An die Opfer von dortigen Misshandlungen erinnert eine
       ganze Fotowand. Aber die Hunderte von herausgeschmuggelten Fotos von
       Folteropfern werden nicht direkt gezeigt, sondern in der Reihe der kleinen
       Fotorahmen sind nur die Metadaten der Aufnahmen angegeben: Leid ist im Bild
       nicht direkt darstellbar, sehr wohl aber im Kopf vorstellbar.
       
       So schneidet Barakeh auch aus den Bildern von Trauernden die Körper der
       Toten heraus: Aus der distanzierten Dokumentation eines historischen
       Ereignisses wird so eine fast schmerzhaft wirkende Leerstelle, die Metapher
       des unwiederbringlichen Verlustes, wie sie trotz der von Fotoreportern oft
       gewählten Anklänge an die Ikonologie der christlichen „Pietà“-Darstellung
       im Abbild allein nur schwer zu vermitteln ist.
       
       Sicher ist dabei auch eine Kritik am latenten Voyeurismus der Bildmedien zu
       erkennen. Und die könnte zudem auf die generell stark ablehnende Haltung
       zum Abbild im islamischen Kulturkreis bezogen werden. Solche vielleicht nur
       klischeehaft vermuteten kulturellen Unterschiede drängen sich immer wieder
       auf. Auch das vorschnelle Deuten von leicht ornamental geschwungenen
       Chiffren als orientalische Kalligrafie erfolgt wohl nur im Wissen um die
       Herkunft des Künstlers.
       
       Der aber weiß mit solchen Erwartungen zu spielen: Tatsächlich abstrahieren
       diese Drucke die Spuren der Rückenverletzungen eines befreundeten
       Verhöropfers. Auch westlich abstrakte Malerei ist in der Ausstellung
       vertreten. Doch auch dieses scheinbare Bild ist etwas anderes: Es entstand
       durch das in den Kissenbezug geweinte Make-up einer Trauernden.
       
       ## Objekt gewordene Entfremdung
       
       Dass es Barakeh um allgemeine Erfahrungen von Auseinandersetzungen, von Ab-
       und Ausgrenzungen geht – und nicht nur um Syrien –, zeigt seine
       ausführliche Beschäftigung mit dem Nordirlandkonflikt. In Derry/Londonderry
       steht die Statue „Hands across the Divide“ von Maurice Harron: Ein
       Protestant und ein Katholik setzen da zu einem Handschlag an, jedoch ohne
       sich wirklich zu erreichen. Barakeh nun lässt Repliken dieser Figuren auf
       verschiedenen Uhren gegeneinander kreisen oder materialisiert die Distanz
       zwischen den Händen zu einer Keramik: Objekt gewordene Entfremdung.
       
       In einer anderen Arbeit zitiert er die historische japanische
       Reparaturtechnik des Kintsugi: Wie dort bei zerbrochenem Porzellan werden
       hier die politisch umkämpften oder vermauerten Grenzen dieser schäbigen
       Welt auf einer Karte als mit Gold markierte Bruchlinien gezeigt –
       vielleicht mit Hoffnung auf „Heilung“ wie im japanischen Vorbild.
       
       Barakeh dekonstruiert auch das über alle Notwendigkeiten weit
       hinausgewachsene Monster der Bürokratie und dessen Schmuckformen. So zeigt
       er die Wasserzeichen des syrischen Passes. Es sind Architektursymbole der
       großen historischen Vergangenheit des Landes, die staatliche Identität
       stiften sollen, im Exil aber langsam verblassen. Zudem sind darunter
       einige, die in der Realität ebenfalls aus identitätspolitischem Kalkül
       nunmehr schwere Zerstörungen erleiden mussten, wie beispielsweise die
       Tempel und Grabestürme der antiken Wüstenmetropole Palmyra.
       
       Eine an Urkundenfälschung grenzende Selbstermächtigung kann in der Arbeit
       gesehen werden, in der Barakeh aus den Stempelabdrücken in seinem Reisepass
       die Stempel der Behörden rekonstruiert und in landestypischem Holz
       nachgebaut hat.
       
       ## Interkulturelles Versöhnungsprojekt
       
       Eine interkulturelle Versöhnungsaktion ist das das Publikum
       miteinbeziehende Projekt „The Aperture“. Hier wird das deutsche Grundgesetz
       in arabischer Kalligrafie auf Blätter geschrieben, die in Syrien im Stil
       islamischer Buchmalerei gerahmt und ornamental geschmückt wurden. Doch
       wirklich lesen können wird diese gemeinsamen Grundlagen anschließend doch
       wieder nur ein spezieller Teil der Gesellschaft.
       
       Doch das macht nichts. Denn diese Kunst leistet insgesamt sehr viel an
       ästhetischer Übersetzungsarbeit. Und Barakeh ist unermüdlich: In der
       [2][Galerie Postel] im Hamburger Uni-Viertel hat er gerade die Ausstellung
       „In Between“ mit vier syrischen Exil-KünstlerInnen kuratiert, er sammelt im
       „Syria Cultural Index“ die verbliebene Künstlerschaft im Virtuellen und er
       plant zukünftig eine Exil-Biennale syrischer Kunst.
       
       13 Dec 2018
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://www.mkg-hamburg.de/de/
 (DIR) [2] http://www.galeriepostel.de/
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) hajo schiff
       
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