# taz.de -- Die Geschichte des Turnschuhs: So wird ein Sneaker draus
       
       > Vor 30 Jahren begannen schwarze Jungs, ihre Turnschuhe auf den Straßen
       > der Bronx zu tragen. Heute werden Modelle für Tausende Euro verkauft.
       
 (IMG) Bild: Janiv Koll im Schuhraum vor seinen 194 Paar Nike Air Max 1ern: Überglücklich!
       
       BERLIN taz | Ende des vergangenen Jahrtausends verliebte sich ein
       14-jähriger Junge in der deutschen Provinz in einen Schuh. Es war 1998,
       Sommer in Freiburg, und der Junge stand, drei Monatslöhne in der Tasche,
       vor einem Regal und sah den Nike Air Max 1 Leather SC. Weißes Leder, roter
       Airbag, eine sichtbare Dämpfung unter der Ferse, stromlinienförmige
       Silhouette: Er war zeitlos, perfekt. Als hätte ihn der Junge für sich
       selbst gemacht.
       
       „Ich werde nie das Gefühl vergessen, als ich aus dem Laden kam“, [1][sagt
       er heute]. „Ich schaute auf meine Schuhe und dachte: Wer will was von
       mir?!“ 20 Jahre später steht Janiv Koll, braune Augen, Käppi auf dem
       rasierten Kopf, vor seiner Wohnzimmerwand, 4,5 Meter lang, 3 Meter hoch,
       ein Meer aus blauem, rotem, gelbem Plastik. Er sagt: „Dieser erste Schuh
       war der Grundstein für alles, was heute ist.“ An diesem Nachmittag im
       November stehen exakt 194 Paar Nike Air Max 1 in seinem Wohnzimmer,
       aufgereiht an seiner Wand.
       
       Janiv Koll besitzt keine anderen Schuhe mehr. Keine Anzugschuhe, keine
       Sportschuhe, keine von Puma oder Adidas, nicht mal andere Nike-Modelle. Nur
       Nike Air Max 1er. Wobei, stimmt nicht ganz. An diesem Nachmittag trägt
       Koll, 34, ein rot-weiß kariertes Hemd, eine rote Stoffhose, weiße
       hochgezogene Nike-Socken und rosa Plüschschlappen. Es gibt in Deutschland
       nur eine 1er Sammlung, die an seine rankommt, sagt er. 50.000 bis 70.000
       Euro stehen da an der Wand, genau kann man das schwer sagen, denn der Wert
       von seltenen Sneakern geht hoch und runter.
       
       Bezahlt hat Koll vielleicht ein Drittel. Die wenigsten Schuhe trägt er, die
       Weichmacher sind zerfallen, die Sohle würde brechen. Kaum jemand in
       Deutschland hat so viel Wissen über den Nike Air Max 1 angehäuft wie Janiv
       Koll. Vor ein paar Monaten wurde er Administrator einer
       [2][Facebookgruppe], auf der seltene 1er angeboten werden. Die Gruppe hat
       35.000 Mitglieder. Wer über andere Schuhe schreibt, fliegt raus. Janiv
       Koll, das kann man ruhig so sagen, ist süchtig nach Sneakern. Und er ist
       nicht allein.
       
       Anfang des Jahres 2018 übernachteten über 500 Leute vor einem Laden in
       Berlin-Kreuzberg, [3][um einen Schuh zu kaufen], den Adidas mit den
       Berliner Verkehrsbetrieben herausbrachte und der als Jahreskarte galt. Auf
       der Sneakerbörse [4][stockx.com] werden Schuhe gehandelt wie Wertpapiere.
       [5][Eines der teuersten Modelle], ein Nachbau des selbstschnürenden
       Turnschuhs von „Zurück in die Zukunft“, wurde 2016 für 28.357 Euro
       verkauft.
       
       Auch abseits dieser Hypes sind Sneaker eine Weltmacht geworden. Nach Zahlen
       des Instituts für Handelsforschung hat sich ihr Anteil am Schuhmarkt seit
       Anfang der neunziger Jahre mehr als verdoppelt. Nike und Adidas, die beiden
       größten Hersteller, hatten 2017 das erfolgreichste Geschäftsjahr ihrer
       Geschichte.
       
       Karl Lagerfeld, der einmal sagte, wer im Alltag eine Jogginghose trage,
       habe die Kontrolle über sein Leben verloren, designt mittlerweile Sneaker –
       dabei waren sie doch, als sie noch Turnschuhe hießen, nichts anderes als
       eine Jogginghose für die Füße.
       
       ## Warum sind Sneaker heute überall?
       
       Falls Sie sich jetzt fragen, warum hier die ganze Zeit von Sneakern die
       Rede ist, und nicht von Turnschuhen – das ist schon ein Teil der Antwort.
       Früher war das ein- und dasselbe: etwas, das man zum Sport anzog.
       Laufschuhe, Basketballschuhe, weiße Schuhe, die Kinder sich für den
       Sportunterricht kauften, um keine Streifen auf dem Parkett zu machen. Heute
       sind Sneaker viel mehr als das. Sie sind im Sport, auf der Straße, bei der
       Arbeit, auf dem Laufsteg.
       
       Mitte des 19. Jahrhunderts begann die Liverpool Rubber Company damit,
       Gummisohlen mit Leinenstoff zu kombinieren. Die weiße Sohle zierte ein
       schwarzer Strich. Die viktorianische Mittelklasse trug die leichten Schuhe
       zu Ausflügen an den Strand und nannte sie Plimsolls, denn der Strich an der
       Sohle erinnerte sie an die Lademarke bei Hochseeschiffen, genannt
       Plimsoll-Line. Wer ein Schiff über diese Marke belud, lief Gefahr, zu
       kentern. Wer mit den neuen Leinenschuhen über die Gummisohle hinaus ins
       Wasser ging, bekam nasse Füße.
       
       In den zwanziger Jahren erfand Marquis Mills Converse gemeinsam mit dem
       Basketballer Chuck Taylor den Chuck Taylor All Star, besser bekannt als
       Chuck. Er wurde zum Standardschuh der Basketballer bis weit in den Kalten
       Krieg hinein. Einen schwarzen Strich hat er bis heute. Sneaker waren
       Sportschuhe, Instrumente für Läufer, Turner, Tennisspieler und
       Basketballer. Noch 1970 gab es in den Vereinigten Staaten genau fünf
       Modelle.
       
       Weiterentwickelt wurden sie nur aus sportlichen Gründen. In den siebziger
       Jahren verletzte sich ein junger Leichtathlet namens Tinker Hatfield beim
       Hochsprung. Er begrub seine olympischen Träume, studierte Architektur und
       wurde Designer bei Nike. Er wollte einen Schuh entwickeln, der Sportler
       beschützen sollte. Heraus kam der Nike Air Max 1, in den sich Jahre später
       Janiv Koll in Freiburg verlieben sollte.
       
       In die Sohle des Nike Air Max 1 war ein Airbag eingelassen. Hatfield hatte
       sich in Paris das Centre Georges-Pompidou angeschaut, entworfen vom
       Architekten Renzo Piano, ein Gebäude, dessen Rohre und Leitungen nach außen
       gekehrt sind. Er designte den Air Max 1 nach diesem Prinzip und legte den
       Airbag frei.
       
       Die Leute hassten es. Und sie liebten es. Es war Punk, Provokation, es war
       wie Elton John, der in High Heels mit Goldfischglassohlen auf die Bühne
       ging. Doch auch der Nike Air Max 1 war immer noch ein Sportschuh. Es ging
       um Sprunggelenke von Läufern und Basketballern.
       
       Dann passierte etwas: Sneaker wurden cool. Einige wenige Menschen begannen,
       Sneaker auf der Straße anzuziehen. In den Achtzigern bildete sich um diese
       Schuhe herum eine Kultur, mit eigenen Codes und Regeln. Man kann das bei
       der Kultursoziologin Yuniya Kawamura nachlesen.
       
       Die sneaker culture war eine Subkultur, und sie war schwarz. Geboren in der
       South Bronx, New York, dem ärmsten Viertel einer bankrotten Stadt. Gangs
       markierten ihr Territorium, indem sie ihre Namen an Wände sprayten. Diese
       Leute trugen eine Uniform, die Uniform des Hip-Hop: Jeans, T-Shirt,
       Sneaker. Niemand sonst trug damals Sportschuhe außerhalb von Turnhallen.
       Die Straße war nicht bunt, sondern schwarz und braun: Lederschuhe,
       Arbeitsstiefel, Halbschuhe.
       
       Es gibt eine Art nachträgliches Gründungsdokument der Sneakerbewegung.
       Bobbito Garcia, der erste berühmte Sammler, schrieb es für das
       Hip-Hop-Magazin „The Source“. Titel: [6][„Confessions of a Sneaker
       Addict“]. Garcia, ein Streetballer, DJ und Moderator, erzählt darin, wie
       das Sneaker Game, die Jagd nach den angesehensten Modellen, funktioniert.
       Gerade waren Wiederauflagen alter Modelle, Nike Air Force Ones oder Adidas
       Forums, populär.
       
       Kein Nike-Marketinggenie aus Manhattan ahnte, was damals passierte. Der
       Kult ging völlig an den Herstellern vorbei. Sie dachten bei der Entwicklung
       neuer Modelle immer noch an Kinder in Sporthallen. Ganze Wochenenden ist
       Garcia mit seinen Jungs unterwegs, die sich Ted Nitro nennen oder Sake
       Lover, um neue Geschäfte aufzutreiben, in irgendwelchen Kellern alte
       Bestände abzugreifen oder in andere Städte zu fahren, wo ein Laden seltene
       Modelle hat.
       
       Alles für diesen einen Moment: Es gebe nichts Besseres, schreibt Bobbito
       Garcia, als von einem Typen gescannt zu werden, der diese Schuhe an deinen
       Füßen noch nie gesehen hat. „Dein Tag war gerettet, wenn der Typ dich
       fragte: ‚Ay yo, where’d you get those?‘“ Bobbito Garcia ist der erste, der
       berühmteste Sneakerhead. Ein Verehrer des Schuhs. Ein Trendsetter. Und er
       gibt den geneigten Lesern ein paar Tipps, wie man diese Schuhe richtig
       trägt.
       
       Tipp 1: Die sehen nur gut aus, wenn sie frisch aus der Box kommen. Das
       Beste ist es, sich neue Schuhe zu kaufen, sie ein paar Jahre auf Eis zu
       stellen und sie dann, wenn sie gereift und wieder modern (und nirgendwo zu
       finden sind), frisch und jungfräulich zu tragen.
       
       Tipp 2: Pass auf, wem du dein Wissen verrätst. Erzähle niemandem, wo du
       dein Sneakerparadies gefunden hast. Denn in jedem Bekanntenkreis gibt es
       doch immer diesen einen Typen. Der mit dem X-Faktor, mit der Fähigkeit,
       alles, was er anzieht, scheiße aussehen zu lassen. Kommt dieser Typ in den
       Besitz deiner Schuhe, sind die ruiniert.
       
       Die Sneaker-Ökonomie funktioniert damals so: Trends entstehen auf der
       Straße. Der richtige Typ trägt die Schuhe, seine Coolness geht auf sie
       über, dann trägt der nächste Typ sie. Und der Hype ist da. Coolness ist
       etwas Organisches, eine flüchtige Verbindung, keiner kann sie
       kontrollieren. Die großen Schuhkonzerne haben die kommerzielle Macht dieses
       Faktors noch nicht entdeckt.
       
       Ungefähr zehn Jahre nach seinem ersten Air Max 1 in Freiburg wurde Janiv
       Koll zum Sammler. Bis dahin hatte er auch mal Adidas gekauft, dann nur noch
       Nike, bis er zuletzt nur noch 1er trug, der Schuh hatte schon früh eine
       „intakte Ästhetik“, sagt er. Aber nur eine einzige Linie einer einzigen
       Marke? Pass auf, sagt Koll, mit Sneakern ist es so. Er holt tief Luft, denn
       gleich geht es los und wenn Janiv Koll redet, dann redet er. Wie ein
       Presslufthammer, präzise, laute Schläge, Bambambam, ohne Äh, ohne Pause,
       höchstens Not-Schnappatmung.
       
       Koll also: „Wenn ich jetzt sage, jetzt habe ich von Air Max 1ern ein ganz
       bisschen Plan und von Air Max 90 hab ich auch ein ganz bisschen Plan, dann
       hab ich noch ein ganz bisschen Plan von Asics, dann ab ich noch ganz
       bisschen Plan von Adidas, noch ganz bisschen Plan von Puma, dann bin ich
       halt im Endeffekt … (keuch!) … ein Dude mit’n bisschen Plan von bisschen
       was.“
       
       Koll aber wollte der Dude sein, den man fragt, wenn es um Air Max 1 geht.
       Ein Purist. Ein Jäger und Sammler in legitimer Ahnenreihe. So wie die Jungs
       vor 30 Jahren in der Bronx. Aber etwas Entscheidendes hatte sich verändert.
       Früher bestand das Sneaker Game darin, neue Läden zu finden, nach Baltimore
       zu fahren, um Restbestände abzugreifen und Geheimnisse zu bewahren. Im 21.
       Jahrhundert pflegt Janiv Koll das Sneaker Game im Internet. Das geht zum
       Beispiel so:
       
       Irgendwann im Herbst 2016 bekommt Koll auf Facebook eine Nachricht aus Los
       Angeles. Es ist ein Kollege, der ihn schon oft um Rat gebeten hat. Meistens
       fragt er: Was krieg ich für den? Die Preise für den Air Max 1 in Europa
       sind höher als in den Vereinigten Staaten, wo der Schuh viel getragen wird.
       Der Kollege schreibt also: Hey, wie viel kann ich für den hier nehmen? Und
       schickt ein Bild von einem zitronengelben Schuh mit grünen Schnürsenkeln.
       Janiv Koll antwortet: Hold on now.
       
       Der fragliche Schuh ist ein [7][Nike Air Max 1 Powerwall Lemonade], von
       2005. Dazu muss man ein paar Dinge wissen: Die Powerwall-Serie feierte den
       20. Geburtstag der Air Max. Darunter sieben Varianten des Air Max 1, retro,
       supergreen, extraordinary red, „ein Arsch voll“, wie Koll das nennt.
       
       Koll hat alle sechs bis auf den Lemonade. Koll schreibt: Der kommt zu mir.
       Ich brauch den. Dann beginnt eine monatelange Verhandlungsschlacht. Im
       Facebook-Chat liest sich das so: Der Kalifornier schreibt: „Some guy just
       offered a wicked deal!“ Koll schreibt: Don’t you think I deserve to have
       these?“ Der Kalifornier schreibt: „Man, I need the money for my family.“
       Koll schreibt: „All jokes aside now. I need this.“
       
       Die Verhandlungen dauern Monate, Koll wird, so sagt er, unausstehlich. Er
       formuliert Nachrichten fünfmal, bevor er sie versendet, er schickt Bilder,
       Gifs, psychologische Kriegsführung. Er verfolgt eine Strategie, er hat ein
       Narrativ, es geht so: Ich bin der Dude, der dir ständig hilft. Jetzt hast
       du einmal die Chance, mir zu helfen. Wie willst du sonst morgens in den
       Spiegel gucken?
       
       Zwei Monate später bekommt er den Lemonade im Austausch für 700 Euro und
       einen anderen Schuh, den Koll einem Bekannten für einen Betrag weit
       unterhalb des Marktpreises aus der Hüfte leiert. Heute, zwei Jahre später,
       ist der Lemonade locker 2.000 Euro wert. Janiv Koll bezieht seine Stellung
       als Sammler aus solchen Geschichten. Es geht nicht darum, dass er viel Geld
       für Schuhe ausgeben kann.
       
       Es geht darum, dass er sich mit Ausdauer, Tricks und Verbindungen eine
       Sammlung aufgebaut hat, die es so kaum ein zweites Mal gibt. Das verschafft
       ihm Ansehen. Janiv Koll ist ein Bobbito Garcia im Internet. Ein Sammler,
       Teil einer Subkultur, wie der Sneaker es bis Mitte der 80er Jahre blieb.
       Aber heute tragen nicht nur Nerds, sondern fast alle Sneaker. Damit das
       möglich wurde, brauchte es einen Mann, der so genannt wird wie Kolls
       Sneaker: Michael „Air“ Jordan.
       
       Der beste Basketballer aller Zeiten, den sie „Air“ nannten – denn er konnte
       fliegen. 1984 designte Nike einen Schuh für ihn und nannte ihn „Air
       Jordan“. Der schwarz-rote dreiviertelhohe Schuh verstieß gegen die
       Farbregularien der Basketballliga NBA. Jordan trug ihn trotzdem, und musste
       Strafe zahlen. Nike machte daraus eine Werbung: [8][„Banned by the NBA.“]
       Danach saß Jordan in David [9][Lettermans Talkshow]. Der fragte ihn: Warum
       um alles in der Welt sind diese Schuhe verboten? Jordan: „Well, it didn’t
       have any white in it.“ Letterman: „Well, neither does the NBA.“
       
       Die Air Jordans verkauften sich so gut, dass der Schuh bis heute in über 30
       Ausgaben aufgelegt wurde. Er verkaufte sich in der schwarzen South Bronx
       ebenso wie im weißen mittleren Westen. Jordan, ein schwarzer Athlet in
       einem von Weißen dominierten Land, verbot sich krampfhaft politische
       Statements. Er soll einmal gesagt haben: [10][„Republicans buy sneakers,
       too.“]
       
       Die Air Jordans machten eine schwarze Subkultur zum Mainstream, die
       Soziologin Yuniya Kawamura nennt das die „Kommodifizierung einer
       Subkultur.“ Die Coolness, die die Jungs aus der Bronx ihren Sneakern
       verliehen, diese organische Verbindung, wurde von Nike, Adidas, Reebok und
       den anderen Schuhkonzernen erforscht, verstanden und zur Ware gemacht.
       Langsam ging die kulturelle Macht von den Sammlern zu den Herstellern über.
       
       ## Regel Nummer 1: Verknappe das Gut
       
       An einem heißen Julitag sitzt ein Mann auf einem Bordstein im Schatten.
       Berlin-Alt-Treptow, die Spree fließt vorbei, und in einem roten
       Backsteinbau ist gerade Streetstyle-Modemesse. Hikmet Sugoer, 45,
       abrasierte Haare, grauer Vollbart, pastellfarbene Diadora-Sneaker, hat fast
       die Hälfte seines Lebens mit Schuhen gearbeitet.
       
       Sugoer sagt: „Der Sneakermarkt ist zu 80 Prozent homogen geworden.“
       Irgendwann zwischen dem Air Jordan und heute entdeckten die Hersteller,
       dass sie Coolness, dieses organische Element, selbst herstellen konnten. Es
       gibt verschiedene Wege, einen Trend zu starten, hat der Sneakerblog
       [11][„High Snobiety“] mal beschrieben:
       
       1. Verknappe das Gut. Liefere weniger aus, als es an Nachfrage gibt. Auf
       Pre-Launch Events sehen Blogger und Journalisten den neuen Schuh. Die Leute
       erfahren, wie heiß der Schuh ist – sie können nur kein Paar bekommen.
       Vergrößere dann langsam die Menge, damit es Wachstum gibt. 2.
       Veröffentliche exklusive Schuhe, die nur in bestimmten Städten erscheinen.
       3. Influencer Marketing: Bezahle coole Leute dafür, deine Schuhe
       anzuziehen, auf dass ihr Glanz auf sie abstrahle.
       
       Die Technik ist so alt wie Givenchys Kleid für Audrey Hepburn in „Breakfast
       at Tiffany’s“. Mittlerweile aber tragen Prominente die Schuhe nicht nur,
       sie designen sie, egal ob Basketballer, Rapper, Modezaren oder Popstars,
       und es werden nicht mal ausnahmsweise Leute bezahlt, um die Sachen zu
       tragen wie früher, sondern es ist die Regel, nicht nur bei A-Promis,
       sondern auch bei unzähligen Influencern auf Instagram.
       
       2002 machte Hikmet Sugoer im Herzen von Westberlin seinen Sneakerladen
       „Solebox“ auf. Es gab weniger Auswahl, weniger Modelle als heute. Es war
       schwieriger, an sie heranzukommen. „Aber wenn man sie hatte“, sagt Sugoer,
       „war es etwas Besonderes.“ Heute gibt es eine globale Kollektion. Früher
       gab es Modelle für den amerikanischen Markt, für den europäischen Markt,
       Sneakers made in West Germany, Sneakers made in Yugoslavia.
       
       Sugoer fuhr ins Umland von Berlin und klapperte Sportgeschäfte ab, um alte
       Bestände aufzukaufen. Er telefonierte sich durch den Senegal. Er bekam
       seine Hände an Modelle, die Adidas für den jugoslawischen Markt gemacht
       hatte. Sugoer trieb seltene Modelle auf, Connaisseurs kauften sie und dann
       sprach sich herum, welche Schuhe cool waren.
       
       ## Mit den Herstellern zusammen arbeiten
       
       Sugoer griff in die Politik der Hersteller ein – er untergrub ihr
       Marketing. Also arbeiteten sie mit ihm zusammen. Solebox wurde von Nike in
       eine Kategorie gesteckt: Tier Zero. Alle Hersteller gruppieren ihre Schuhe
       und Händler in eine Art Pyramide ein. Ganz oben hieß die Kategorie bei Nike
       Tier Zero, bei Puma The List: Superlimitierte, superwichtige, superseltene
       Schuhe, die gerne 280 Euro kosten, und die nur ein paar Dutzend
       Nischenstores weltweit verkaufen dürfen.
       
       Je weiter nach unten man in der Pyramide kommt, desto häufiger sind die
       Schuhe und desto leichter findet man sie. Sugoer hatte in Deutschland den
       ersten Laden, der die Hersteller in ihre Topkategorie steckten. Und so kam
       er in den Genuss von Marketingaktionen der außerirdischen Art. 2009 feierte
       Reebok das 20-jährige Jubiläum von „The Pump“. Der Schuh war damals ein
       revolutionärer Basketballschuh, weil man mit Druck auf die Lasche
       Luftkissen im Inneren, genau, aufpumpen konnte.
       
       Reebok machte dazu eine [12][Werbung], in der zwei Bungeejumper von der
       Brücke springen, nur einer hatte den Pump an. Und nun raten Sie mal,
       welcher von beiden aus den Schuhen rutschte. Zum Jubiläum lud Reebok Sugoer
       und 19 weitere Schuhhändler aus aller Welt nach Boston ins Firmenquartier
       ein. Sie lernten den CEO kennen und wurden zu einem Spiel der NBA
       eingeladen. Dann überlegten sie gemeinsam: Wie können wir das Jubiläum
       zelebrieren? Am Ende stand ein Konzept: 20 Versionen des Jubiläumsschuhs,
       einen pro Laden.
       
       Sugoer codesignte also einen Schuh und nahm ein Bungeeseil als
       Schnürsenkel. Sie feierten das Release mit einer Party. Für die großen
       Konzerne sind solche Aktionen Brand-Building. Sie machen das, um Fans das
       alte Gefühl wiederzugeben. Die Jagd. Den Hustle. Das Gefühl, sich einen
       Schuh verdienen zu müssen. Sie bringen limitierte Modelle heraus, Fans
       stellen sich vor Läden und warten nächtelang.
       
       Aber ist das noch dasselbe? Hikmet Sugoer sagt: Die Hersteller sind gut
       darin, Hypes auszulösen. Aber sie machen das zu häufig. Die Pyramide ist
       stumpf geworden, sagt er. Es gibt wöchentlich limited releases. Es gibt
       Sneakerstores wie Sand am Meer. Es gibt immer mehr Hype-Schuhe, die sich
       immer ähnlicher werden. Immer mehr Leute sind bereit, verrückte Preise zu
       bezahlen.
       
       „Nicht jeder sollte alles bekommen“, sagt Sugoer. Früher entstanden die
       Trends organisch, keiner hatte Kontrolle darüber. Jetzt, wo sich Hersteller
       dieses Mechanismus bemächtigt haben – kann man sie dafür verurteilen, dass
       sie so viele Trends wie möglich starten wollen?
       
       ## Luxusmarken und Streetwear verschmelzen
       
       Vor ein paar Jahren fiel die letzte Grenze. 2009 verpflichtete die
       Luxusmarke Louis Vuitton Kanye West, den einflussreichsten Rapper seiner
       Zeit, seine eigenen Sneaker zu designen. Das Aufeinandertreffen von Kanye
       West und Vuitton wirkt auf den ersten Blick unfassbar, doch es folgte einer
       Logik. West stand für Menschen, die Street Wear tragen, die aus ärmeren
       Verhältnissen kommen, eine materialistische Klientel, für die Luxusmarken
       ein unerreichbares Statussymbol darstellten.
       
       Street-Wear-Marken fingen an, die Luxusmarken zu imitieren. Stussy, eine
       kalifornische Skatermarke, ahmte bei ihrem Logo, zwei ineinander
       verschränkten S, das Logo von Chanel nach. Kanye West wollte sein Leben
       lang teure Klamotten tragen, konnte sie sich aber lange Zeit nie leisten.
       Und dann arbeitete er mit Louis Vuitton zusammen. Kanye West riss Grenzen
       ein. Street Wear wurde High Fashion. Mittlerweile gibt es Sneaker von
       Givenchy, Balenciaga, Dior, Dolce & Gabbana und, und, und.
       
       Die ersten von West designten Schuhe kosteten an die 1.000 Euro und waren
       sofort ausverkauft. Als Resale, auf dem Wiederverkaufsmarkt, werden sie
       heute für hohe vierstellige Summen gehandelt. Mittlerweile hat er über
       [13][30 Modelle] designt, für Louis Vuitton, Nike, Adidas.
       
       ## Wann platzt die Blase?
       
       Der Sneaker-Hype zeigt mittlerweile alle Anzeichen einer Blase. Limited
       Releases gibt es nicht mehr ein paarmal im Jahr wie früher, nicht mehr
       einmal im Monat wie vor nicht allzu langer Zeit, sondern ungefähr jede
       Woche. Immer weniger Läden lassen sogenannte „Camp-outs“ zu, also das
       Zelten vor dem Laden. Denn dort tauchen immer mehr „Reseller“ auf, Leute
       also, die seltene Schuhe direkt weiterverkaufen. Eine Blase, so definieren
       das Ökonomen, ist dann erreicht, wenn ein Gut deutlich mehr kostet, als es
       an Gebrauchswert hat.
       
       An einem sonnigen Tag Mitte November kommen die neuen Schuhe von Kanye West
       in Berlin auf den Markt. Der Adidas Yeezy Boost 350 V2, 220 Euro, ein
       Schuh, der aussieht wie ein Schlauchboot, über das man ein Zebrafell
       gezogen hat. Der Yeezy wird hier in Kreuzberg, im Sneakergeschäft
       „Overkill“, als „In-Store Release“ veröffentlicht. Leute müssen also früh
       genug vor dem Erscheinungsdatum auftauchen und sich in Listen eintragen.
       
       Als im April 2015 die zweiten Adidas Yeezy von West veröffentlicht wurden,
       standen in Berlin-Kreuzberg an die 100 Leute an, sie putzten sich draußen
       die Zähne, sie campten vor dem Laden. An diesem sonnigen Novembermorgen,
       eine Stunde vor Öffnung des Ladens, stehen vier Leute vor der Tür.
       
       30 Dec 2018
       
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