# taz.de -- Wintersport und Klimawandel: Nun also Snowtuning
       
       > Was tun, wenn der Schnee knapp wird? Zentren des alpinen Wintersports wie
       > Sölden sorgen vor für den Fall eines drastischen Klimawandels.
       
 (IMG) Bild: Wie lange noch? Schneeschaufeln in Sölden
       
       SÖLDEN taz | Wo die Zukunft des Skisports zu Hause ist? Na, hier oben:
       „3.048 Meter über dem Meer. Umringt von über 250 prächtigen Dreitausendern.
       Wo die Freiheit nach den Sternen greift. Am spektakulären Drehort von
       James Bond Spectre. Wo innovative Architektur auf futuristisches Design
       trifft, gehen im Restaurant ice Q, dem höchstgelegenen Haubenrestaurant
       Österreichs, erlesene Gourmetgenüsse mit feinen Weinkreationen und
       traumhaften Panoramen eine außergewöhnliche Symbiose ein.“
       
       [1][So steht’s im Web], und so sieht’s aus: ein kantiger Glaspalast, der
       irreal aus einer Geröllwüste ragt. Drinnen: edle Hölzer, gedämpftes Licht,
       Ober in Livree und Rotwein aus der Magnumflasche. Ein Ambiente, gerade
       recht, um ein hübsches kleines Jubiläum zu feiern: 25 Jahre Ski-Weltcup in
       Sölden. „Das Baby ist erwachsen und schön geworden“, sagt Bergbahnboss
       Jakob Falkner, den alle nur Jack nennen. Der regelmäßige Weltcup-Auftakt im
       Oktober befeuere Tourismus und Sportartikelindustrie gleichermaßen, die
       Bedeutung der Rennen sei enorm, „ein wichtiger Impuls und Mosaikstein in
       der Entwicklung Söldens“.
       
       In der Tat: Wer durch den 3.000-Seelen-Ort mit seinen 15.000 Gästebetten
       spaziert, den erinnert wirklich nichts mehr an ein Bergbauerndorf. Ende der
       70er wurde der Gletscher erschlossen, seitdem gibt es kein Halten mehr.
       Falkner, Spitzname Schneekönig, ist der Motor der Entwicklung, quasi Vater
       vieler Babys. Vor 20 Jahren, als Thermen noch was Besonderes waren, setzte
       er eine Raumstation namens Aqua Dome ins Tal, heute kommen 350.000 Gäste im
       Jahr.
       
       Ein paar Kilometer weiter schuf er die Area 47, einen Action-Park samt
       Wildwasser und Open-Air-Konzerten. Nun also das ice Q auf dem Gaislachkogl
       und nebenan das „007 Elements“, eine multimediale Installation in einer gut
       10 Millionen Euro teuren Betonhalle. „Wir leben vom und mit dem Skisport.
       Aber der Skisport ist weltweit klein. Bond hingegen ist eine Weltmarke und
       beschert uns auch Medienartikel in Australien, Japan, den USA oder
       England.“
       
       Stimmt: Von der Eröffnung berichteten sogar NBC und Al-Dschasira. „Dieses
       internationale Marketing wird uns noch viel bringen“, sagt der Schneekönig.
       Es wird also vorgebaut für die Zeit nach dem Schnee, eine Exit-Strategie,
       wie sie Dubai und Abu Dhabi für die Ära nach dem Erdgas betreiben. Aber was
       ist denn nun mit Skifahren in Sölden? Thema Klimawandel, Gletschersterben?
       Da sagt Falkner nur: „Niemand kann sagen, was in 25 Jahren ist.“
       
       ## Vom Gletscher zum Gletscherchen
       
       Da liegt er falsch, der Falkner Jack. Natürlich können Wissenschaftler
       darlegen, wie es in den Alpen bald aussehen wird: aus Sicht der Skifahrer
       eher trüb. Man muss nur rüber zum Rettenbachferner fahren und einen Blick
       auf den Restgletscher werfen: grau und schmuddelig, kein Schnee weit und
       breit. Und Felix Neureuther, der mit den Kollegen nebenan auf blankem Eis
       trainiert und seit 15 Jahren hierherkommt, weiß: „Was sich auf den
       Gletschern getan hat, ist dramatisch. Aber laut Donald Trump und Peter
       Schröcksnadel [Präsident des Österreichischen Skiverbands; d. Red.] gibt’s
       ja keinen Klimawandel. Dabei sieht man ihn nirgends besser als an den
       Gletschern.“
       
       Wissenschaftliche Belege dafür gibt es zuhauf, ihr Tenor ist immer gleich:
       Bis Ende des Jahrhunderts nimmt der Schnee in den Alpen um 70 Prozent ab.
       Laut einer Studie der Münchner LMU wird 2050 die Zugspitze das einzige
       deutsche Skigebiet sein. Selbst in Norwegen schaffen sich Kindergärten
       Schneekanonen an, weil man sich einen Winter ohne Schnee nicht vorstellen
       kann und will.
       
       Als im frühlingslauen Oktober an der Resterhöhe in Kitzbühel auf einem
       schmalen Streifen Schnee die Saison eröffnet wurde, während nebenan
       Mountainbiker in kurzen Hosen strampelten, war die Aufregung groß: Wie kann
       man nur! Dabei gibt es das seit Jahren: dünnes weißes Band in grüner
       Wiesenlandschaft. Nicht selten handelt es sich dabei um irgendein
       Weltcuprennen.
       
       ## Alternativen zur Schneekanone?
       
       Wie also umgehen mit dem Klimawandel, als Tourismus-Chef oder Veranstalter
       von Wintersport-Weltcups? [2][Kunstschnee, klar.] Gibt es, seit in den
       60ern die erste Schneekanone Wasser in Eiskristalle verwandelte.
       Speicherseen braucht heute fast jedes Skigebiet. Der in Sölden ist 17 Meter
       tief, fasst mehr als 400.000 Kubikmeter. Doch „technischen Schnee“ zu
       produzieren ist aufwendig und teuer, und es wird noch teurer und
       aufwendiger, je wärmer es auf dem Planeten wird. Was tun, wenn das Wasser
       in den Alpen knapp wird, weil Niederschläge ausbleiben?
       
       Wer zum Stubaier Gletscher fuhr, kam vor der Talstation stets an einem
       rauschenden Wasserfall vorbei. Heute tröpfelt es nur noch müde. Und selbst
       wenn die Niederschläge wieder zunehmen: Was nutzt es, wenn es auch in
       höheren Lagen nur mehr regnet statt schneit? Wie lange ist der hohe Strom-
       und Wasserverbrauch zur Schneeproduktion noch rentabel? Und wie lange ist
       er noch ethisch vertretbar? Der ökologische Fußabdruck des Skifahrers wird
       immer tiefer und markanter.
       
       Alternativen zur Schneekanone? Logisch, da ist die Industrie findig. Seit
       einigen Jahren arbeiten viele Gebiete mit Planen, um den Frühjahrsschnee zu
       übersommern und für die nächste Saison möglichst kühl zu halten. Ein
       Hitzesommer wie heuer lässt den Restschnee gar nicht mal so schnell
       schmelzen – solange Regen ihn nicht wegschwemmt.
       
       Auch Schneesilos sind en vogue: Eine finnische Firma kann dort selbst bei
       30 Grad plus Schnee produzieren, zu einem horrenden Preis natürlich. Oder
       doch lieber Kunstschnee aus den Skihallen in NRW, Niedersachsen und den
       Niederlanden: Biathlon auf Schalke, Langlauf-Weltcup in Düsseldorf,
       Freestyle-Contest in Mönchengladbach? Unmöglich ohne das weiße Pulver aus
       der Neusser Halle.
       
       ## Wenn 300 Millionen Chinesen Ski fahren
       
       Der neueste Clou heißt Snowtuning. Dabei werden die Wassermoleküle „neu
       geordnet“, Schwingungsmuster angepasst, heraus kommt angeblich noch
       dichterer Kunstschnee, der länger halten soll. Auch vor der Zugabe von
       Bakterien schrecken manche Betreiber nicht zurück, wenn es auch bei
       Plusgraden kunstschneien soll, gerade in der für den Tourismus so wichtigen
       Weihnachtszeit, die ja immer seltener weiß ist. Die Nachfrage ist da, und
       sie wird wohl noch größer: Bis zu [3][Winter-Olympia 2022 in Peking] sollen
       300 Millionen Chinesen Ski fahren können. Das sind so viele wie alle
       Skifahrer Europas zusammen. Die müssen ja alle irgendwohin.
       
       Der Wettkampf-Wintersport hat auf das Ausbleiben des Schnees reagiert:
       Skispringer fahren in Kunsteisspuren an, Langläufer trainieren in
       heruntergekühlten Tunnels, Slalom-Cracks am anderen Ende der Welt in
       Chile, Neuseeland oder in beinahe topfebenen Skihallen, Freeskier hauen
       sich im komplett schneefreien Modena über Big-Air-Schanzen. Langlauf am
       Rheinufer, Biathlon im Fußballstadion, Olympische Winterspiele am
       Schwarzen Meer, Schlittschuhrennen auf Crushed Ice? Alles längst normal.
       
       Abfahrtsläufe sollen künftig halbiert werden, weil kurze Strecken einfacher
       zu präparieren ist als drei, vier Kilometer am Stück. Der Präsident des
       Welt-Skiverbands (FIS), Juanfranco Kapser (74), schlug dagegen Auswandern
       vor: „Nepal und der Himalaja könnten irgendwann unsere letzten
       Ausweichmöglichkeiten sein.“ Oder halt die Natur zum Menschen bringen: in
       die Stadt. Schnelle, kurze Wettbewerbe mit einem gewissen Showanteil.
       City-Slaloms wie in Stockholm oder Moskau sind beliebt bei Fans und
       Fahrern, fallen aber öfter aus, wie der am Münchner Olympiaberg, den man
       nach drei Absagen innerhalb von fünf Jahren endgültig begraben musste.
       
       Felix Neureuther, der hier mal gewann und sich bei der Siegerehrung vom
       alten Rennlauf-Spezl Bastian Schweinsteiger die Skistiefel küssen ließ,
       bedauert das. Neureuther mag sich ein Leben ohne Skilauf nicht vorstellen:
       „Das Skifahren wird immer da sein. Mitte November war ich im Stubaital:
       Men-schen-massen! Der Parkplatz rammelvoll! Ich hab gedacht, ich seh nicht
       richtig. So viele Leute, dass man kaum Ski fahren konnte.“
       
       In Sölden, beim Weltcup-Auftakt, konnte er gar nicht Ski fahren:
       Schneesturm mit 90 km/h, Rennen abgesagt. Humor hat sie schon, diese Natur,
       aber der 25 Jahre alte Plan von Jack Falkner ging auf: Die Bilder, die von
       Sölden um die Welt gingen, zeigen eine frisch eingestäubte
       Winterlandschaft, die Lust macht aufs Skifahren und auf Konsum: Brauch ich
       mal wieder neue Ski? Sollte ich nicht lieber schon den Skiurlaub buchen?
       Oder einen Tisch im ice Q reservieren? Dieses James-Bond-Ding soll ja toll
       sein. Schnee? Ach, braucht man doch gar nicht mehr.
       
       1 Dec 2018
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://www.iceq.at/
 (DIR) [2] /Schneemangel-im-Wintersport/!5474142
 (DIR) [3] /Klimawandel-bedroht-Winterspiele/!5484654
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Thomas Becker
       
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