# taz.de -- 150. Geburtstag von Will Marion Cook: Der Mentor
       
       > Ein Grund zum Feiern: Vor 150 Jahren wurde Will Marion Cook geboren. Er
       > war Antirassist und Mitgründer afroamerikanischer Musikkultur.
       
 (IMG) Bild: Cook schreckte nicht davor zurück, seinem eigenen Publikum Rassismus vorzuwerfen
       
       Ein unglaubliches Leben, und kaum jemand erinnert sich noch daran: Will
       Marion Cook, der am 27. Januar 1869 in Washington D. C. zur Welt kam,
       dessen 150. Geburtstag man jetzt also feiern könnte. Und sollte. Ein
       Komponist, Textdichter, Violinist, Pianist, Dirigent, Arrangeur und
       Weltreisender. Und einer der Gründungspfeiler afroamerikanischer
       Musikkultur.
       
       Cooks Eltern gehörten zur ersten Generation frei geborener Afroamerikaner
       und zu den ersten mit Universitätsabschluss. Nach dem frühen Tod seines
       Vaters lebte Will eine Zeit bei seinen Großeltern in Chattanooga
       (Tennessee), wo er nicht nur wiederholt Prügeleien mit weißhäutigen Knaben
       begann, die es wagten, ihn „Nigger“ zu nennen. Er kam auch zum ersten Mal
       in tieferen Kontakt mit zeitgenössischem afroamerikanischem Liedgut, was
       ihn zu der Überlegung führte, dass diese Melodien „vielleicht der Hebel
       sind, um meinen Leuten einen höheren Status zu geben“.
       
       Seine musikalische Begabung fiel früh auf und wurde von der Familie
       gefördert. Will studierte am Konservatorium in Oberlin (Ohio) von 1883 bis
       1887 Violine und gewann Preise als Interpret von Schumann und Mendelssohn.
       
       Als sein Professor das Gefühl hatte, er könne ihm nichts mehr beibringen,
       schlug er vor, Cook solle in Berlin bei dem Violinisten Joseph Joachim
       weiter studieren, einem einst von Felix Mendelssohn Bartholdy geförderten
       Wunderkind, später Freund und Berater von Johannes Brahms und ab 1869
       Gründungsrektor der Königlich Akademischen Hochschule für ausübende
       Tonkunst, der späteren Musikhochschule Berlin (heute eingegliedert in die
       Universität der Künste). Mit Hilfe eines Benefizkonzerts gelang es Cook,
       das dafür nötige Geld zusammenzubekommen.
       
       ## „Sie sind ein Fremder – wir werden Freunde werden“
       
       Die Reise nach Deutschland empfand er als Reise in eine bessere Welt, was
       nicht nur an seiner Liebe zu deutschen Komponisten lag: „Ich konnte kaum
       ein Wort Deutsch, aber in Bremerhaven, wo wir das Schiff zur Weiterreise
       nach Berlin verließen, waren alle Amtspersonen so hilfreich und höflich,
       dass ich mich fragte: ‚Bin ich im Himmel?‘“, schrieb er in seiner
       unvollendeten Autobiografie „A Hell of a Life“ (zitiert nach
       [1][blackcentraleurope.com]).
       
       So ähnlich ging es weiter: Nach der Aufnahmeprüfung, die er fast verpatzt
       hätte, sprach ihn Professor Joachim höchstpersönlich an: „Sie sind ein
       Fremder in einem fremden Land. Wir werden Freunde werden. Kommen Sie am
       Sonntag zu mir nach Hause zum Mittagessen.“
       
       Nach einem Jahr musste Cook das Paradies aus Geldmangel wieder verlassen,
       hatte jedoch nicht nur jede Menge Freundschaften geschlossen, sondern auch
       künstlerisches Selbstbewusstsein gewonnen. Mit diesem Rückenwind schaffte
       er es, nach seiner Rückkehr einen Studienplatz bei niemand Geringerem als
       Antonín Dvořák zu bekommen, der zu jener Zeit am National Conservatory of
       Music in New York unterrichtete, einer liberalen Institution, die Wert
       darauf legte, möglichst viele afroamerikanische Studenten zu unterrichten.
       
       Die öffentliche Wahrnehmung der afroamerikanischen Kultur war zu jener Zeit
       noch maßgeblich geprägt durch die Minstrel Shows: „Seit den frühen 1830er
       Jahren waren Afroamerikaner als lächerlich dargestellt worden, zunächst von
       Weißen, die sich das Gesicht schwärzten, und dann von Schwarzen, die sich
       ihr Gesicht noch schwärzer machten, in der beliebten Tradition des
       Minstrelsy“, schreibt die Musikwissenschaftlerin Marva Griffin Carter in
       ihrer Cook-Biografie „Swing Along – The Musical Life of Will Marion Cook“.
       
       „Kindisches Grinsen mit perlweißen Zähnen, weit aufgerissene Augen,
       unstillbarer Appetit auf Hähnchen und Wassermelonen, Kämpfe mit
       Rasierklingen und der ‚Coon‘-Dialekt waren nur einige der Stereotypen, die
       die Theater verbreiteten.“ „Coon“ war eine rassistisch-beleidigende
       Bezeichnung für Afroamerikaner. Sie leitete sich ab von „raccoon“
       (Waschbär), deren Fleisch nach einem populären Klischee Afroamerikaner
       besonders gern verzehrten.
       
       ## Performer, Komponist, Thematik: alles afroamerikanisch
       
       In diesem Umfeld begann Cook seine Karriere. Sein Traum war es zwar, große
       klassische Werke zu komponieren, er nahm zunächst aber alle Jobs an, die
       Geld brachten: als Orchestermusiker, Soloviolinist, Dirigent, Arrangeur,
       Piano-Begleiter, schließlich auch Komponist und sogar Textdichter.
       
       1896 fand er einen Musikverlag für sein erstes Musical, das er zusammen mit
       dem Dichter Paul Laurence Dunbar komponierte: „Clorindy – The Origin of the
       Cakewalk“. Und trotz des Pessimismus seines Verlegers, der ihm sagte, „ich
       müsse verrückt sein, zu glauben, dass sich das Broadway-Publikum Neger
       anhören würde, die Negerlieder singen“, gelang es, „Clorindy“ am Broadway
       unterzubringen.
       
       Der Erfolg war überwältigend. Cook: „Die Neger waren am Broadway angekommen
       und sollten bleiben.“ Performer, Komponist, Textdichter und sogar die
       Thematik – alles war afroamerikanisch. Das Stück enthielt klassische
       Coon-Songs wie „The Hottest Coon in Dixie“ oder „Darktown Is Out Tonight“,
       wobei Cook und Dunbar wie auch andere afroamerikanische Coon-Song-Autoren
       so übertrieben, dass sie eigentlich die Klischees eher parodierten als
       Genre-typisch einsetzten. Dennoch waren Dunbar die Texte bei der Premiere
       so peinlich, dass er sich schwor, nie wieder Songtexte zu schreiben.
       
       Im Februar 1903 hatte Cooks Musical „In Dahomey“ Premiere am Times Square.
       Es sollte Cooks größter Bühnenerfolg werden. Einige Monate später
       präsentierte die komplette Truppe „In Dahomey“ in London. Auch dort war die
       Begeisterung groß – die Truppe wurde gar von König Edward VII. in den
       Buckingham-Palast eingeladen.
       
       ## Cook warf seinem eigenen Publikum Heuchelei vor
       
       Trotz des Erfolgs zieht sich Cook aus der rassistischen Broadway-Welt mehr
       und mehr zurück. Stattdessen geht er mit Big Bands auf Tourneen, etwa den
       Tennessee Students, mit denen er Australien und erneut Europa bereist,
       inklusive eines Auftritts in Berlin. Schließlich schloss er sich dem Clef
       Club an, einer Vereinigung afroamerikanischer Musiker in New York, die
       einerseits Künstleragentur und Kreativzentrum war, andererseits auch eine
       eigene Big Band unterhielt, die regelmäßig in der Carnegie Hall auftrat.
       
       Auf einer Tournee mit dem Clef Club trug sich in Marion, Ohio, eine
       denkwürdige Szene zu, die charakteristisch für Cooks furchtlosen
       Antirassismus war: Nach dem Schlussapplaus erzählte er dem weißen
       Publikum, dass er und seine schwarzen Mitmusiker weder ein Hotel finden
       noch ein Restaurant betreten konnten. „Und dann kommen Sie heute Abend her
       und besitzen die Frechheit, unserer Musik zu applaudieren. Das ist
       Heuchelei und wir legen keinen Wert darauf.“ Warren G. Harding, Verleger,
       Senator und späterer US-Präsident, antwortete beschwichtigend aus dem
       Publikum und sorgte dafür, dass das Orchester Zimmer bekam.
       
       Leider gibt es keine Originalaufnahmen mit Cook, nicht mal Tonträger mit
       Einspielungen von „Clorindy“ oder „In Dahomey“. Eine Vorstellung dieser
       Mischung aus europäischer Kunstlied-Tradition und Ragtime gibt die CD-Reihe
       „Black Manhattan“ des Paragon Ragtime Orchestra, mit mitunter etwas zu
       bombastisch geratenen Neueinspielungen einiger Songs von Cook.
       
       ## „Ich habe viel geträumt und wenig erreicht“
       
       Darüber hinaus gibt es zahlreiche Versionen seines am meisten gespielten
       Songs „I’m Coming Virginia“ (allerdings ist nur der Text von ihm), etwa von
       Bing Crosby, Benny Goodman und Fats Waller. Ethel Waters’ erfolgreiche
       Aufnahme seiner Schnulze „Mammy“ ist ebenso auf YouTube zu finden wie Paul
       Robesons Interpretationen von „Down De Lover’s Lane“ und „Exhortation“.
       
       Selbst sah er sich gegen Ende seines Lebens – Cook starb 1944 – als
       gescheitert an: „Ich habe viel geträumt und wenig erreicht“, heißt es in „A
       Hell of a Life“. Zu „In Dahomey“ hatte ein Kritiker angemerkt, Cook sei
       „ein vielversprechender Musiker, der seiner Rasse den Dienst erweisen
       sollte, Arbeiten von ernsthafterem und dauerhafterem Charakter
       anzufertigen, als man sie in einer leichten und frivolen Produktion wie ‚In
       Dahomey‘ finden kann.“
       
       Darauf hatte er zurückgeschrieben: „Die große Schwierigkeit, mit der
       Komponisten von meiner Rasse fertig werden müssen, ist die mangelnde
       Bereitschaft der Amerikaner, ernsthafte Arbeiten von uns zu akzeptieren.
       Ich habe vor, zu den Höhen der Oper aufzusteigen. Sollte ich das nicht
       schaffen, gelingt es mir vielleicht zumindest, den Weg zu ebnen, für
       andere, die mir nachfolgen.“
       
       Darin war er tatsächlich erfolgreich. Viele junge Künstler verehrten ihn,
       Eubie Blake nannte ihn „Pop“, W. C. Handy sagte über ihn: „Er war mein
       Ideal.“ Cook verschaffte Josephine Baker ihre erste Hauptrolle in Paris,
       Dichter wie Sterling Brown und Jean Toomer bezeichneten ihn als Mentor.
       „Ich habe anscheinend die Gabe, Talent zu erkennen“, schrieb Cook in seinen
       Memoiren.
       
       1929 freundete er sich mit Duke Ellington an. Sie tauschten sich über
       Kompositionstechniken aus, Ellington nannte ihn „Dad“ und bat ihn um Rat,
       wenn er nicht weiterkam bei einem Stück. Später sagte er über Cook: „Die
       Zeit mit ihm waren die besten Lektionen, die ich je bekam.“
       
       27 Jan 2019
       
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